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       # taz.de -- S-Bahn vor Ausschreibung: Fahrt ins Ungewisse
       
       > Verkehrssenator Michael Müller (SPD) will die Teilausschreibung der
       > S-Bahn, seine Fraktion neigt zur Gesamtausschreibung, zugunsten der
       > Deutschen Bahn.
       
   IMG Bild: Da stimmt die Chemie zwischen Müller (links) und den Bahnern Ingulf Leuschel und André Zeug (Mitte), Ostkreuz-Eröffnung Mitte April.
       
       Die Zeit drängt: In fünf Jahren läuft der S-Bahn-Vertrag aus – und
       mindestens so lange dauert es, neue Züge bauen zu lassen. Verkehrssenator
       Michael Müller (SPD) will deshalb noch im Sommer entscheiden, wie es
       weitergeht. Müller neigt nach eigenen Worten dazu, nicht länger den
       kompletten Betrieb einem Unternehmen zu geben: Er will die sogenannte
       Teilausschreibung. Seine Fraktion aber will offenbar alles in einer Hand
       belassen und am Betrieb durch die Deutsche Bahn festhalten – sie bevorzugt
       eine Gesamtausschreibung und wartet dazu noch auf ein Gutachten. Für die
       CDU-Fraktion kommt wie für Müller nur eine Teilausschreibung infrage.
       
       Zur Erinnerung: Beim bisherigen Betreiber S-Bahn GmbH, einer Tochter der
       Deutschen Bahn AG, kam es im Zuge von Missmanagement und bewusstem
       Verschleiß zu Zugausfällen in immensem Ausmaß. Weiterhin sind längst noch
       nicht wieder alle Wagen auf der Schiene, die laut Vertrag fahren müssten.
       
       Eine Entscheidung ist zwar in der SPD noch nicht gefallen, aber viele
       Verantwortliche in der SPD scheinen das S-Bahn-Desaster verdrängt oder sich
       an die fortwährenden Ausfälle gewöhnt zu haben. Fraktionschef Raed Saleh
       gehört dazu genauso wie Daniel Buchholz, der Chef der
       Fraktionsarbeitsgruppe Daseinsvorsorge, kurz „AG Davos“. Gab es auf dem
       Höhepunkt der S-Bahn-Krise noch den Wunsch, sich von der Abhängigkeit von
       der Deutschen Bahn zu befreien, scheint das nun Vergangenheit.
       
       Eine Teilausschreibung ist für Buchholz eine Art Büchse der Pandora –
       einmal geöffnet, ließe sie sich nicht mehr schließen. Das vermeintliche
       Übel der Privatisierung der S-Bahn wäre in der Welt. „Mit der Deutschen
       Bahn können die meisten in der Fraktion besser leben als mit einer
       Aufsplittung“, sagt er.
       
       Eine Gesamtausschreibung, die die Bahn begünstigen würde, ist aber
       juristisch umstritten. Ob sie möglich ist, beschäftigt gerade im Auftrag
       der SPD den Wissenschaftlichen Dienst des Abgeordnetenhauses.
       Grünen-Fraktionschefin Ramona Pop ist eine derjenigen Abgeordneten, die
       eine Gesamtausschreibung für unmöglich hält: „Faktisch hieße das, dass man
       den Betrieb wieder an die Deutsche Bahn vergibt – und das nach allem, was
       die uns zumutet.“
       
       Pop hatte sich dafür stark gemacht, dass Berlin selbst Züge kauft und sich
       dann einen Betreiber sucht. Bringt der schlechte Leistung, könne man ihn
       zügig durch einen anderen ersetzen. Derzeit hat nur die Deutsche Bahn jene
       besonderen Wagen, die nur auf Berliner Gleisen fahren können, und dadurch
       eine Monopolstellung.
       
       SPD-Mann Buchholz lehnt einen landeseigenen Wagenpark ab: Zu schwierig wäre
       dann die Vertragsgestaltung bei möglicherweise drei Teilbetreibern, dem
       Land als Auftraggeber und der Deutschen Bahn, der weiterhin Bahnhöfe und
       Gleise gehören. „Wie man das macht, kann man sich doch beim Regionalverkehr
       abgucken“, sagt Pop.
       
       „Es läuft auf eine Teilausschreibung hinaus“, sagt CDU-Verkehrspolitiker
       Oliver Friederici. Seine Fraktion hat in Sachen S-Bahn einen echten Wandel
       hinter sich: Anfang 2010 warnte die Union gemeinsam mit der Linkspartei vor
       einer „Zerstückelung“ des Netzes. Die Rechtslage sei inzwischen eine
       andere.
       
       Während Senator Müller auf eine zügige Entscheidung drängt, will sein
       Parteifreund Buchholz das Gutachten abwarten: „Wir sind sowieso hinter dem
       Zeitplan, da macht ein Monat früher oder später auch nichts mehr.“ Das ist
       selbst in der SPD-Fraktion nicht einhellige Meinung: Ihr Verkehrspolitiker
       Ole Kreins will wie Müller eine Entscheidung noch vor der Sommerpause: Wenn
       die Ergebnisse von Buchholz’ AG Davos dann nicht vorlägen, könnten sie eben
       nicht berücksichtigt werden.
       
       29 May 2012
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Stefan Alberti
       
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