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       # taz.de -- Journalistin Mely Kiyak: Feindbild der Sarrazin-Fans
       
       > Weil sie Thilo Sarrazin beleidigt hat, steht eine Journalistin jetzt am
       > digitalen Pranger. In rechten Blogs wird über sie hergezogen. Auch die
       > Springer-Presse berichtet einseitig.
       
   IMG Bild: „Gesichter von Ausländern“: Hate Poetry, hier mit Mohamed Amjahid, Özlem Topçu, Mely Kiyak, Özlem Gezer, Malek Samo und Deniz Yücel.
       
       Als „lispelnde, stotternde, zuckende Menschenkarikatur“ hat die
       Journalistin Mely Kiyak den Bestsellerautor Thilo Sarrazin jüngst
       bezeichnet. Diese flapsige Randbemerkung in einer ihrer Kolumnen, die
       regelmäßig in der Frankfurter Rundschau und der Berliner Zeitung
       erscheinen, hat der 36-jährigen Autorin jetzt die geballte Wut der
       Sarrazin-Fans eingebracht. Rechte bis rechtsextreme Blogs wie „Achgut“,
       „Pi-news“ oder „Via Dolorosa“ hetzen seitdem gegen die „feiste Kurdin“,
       „Furie“ und „unverschämte Tippse“.
       
       Sicherlich hat Mely Kiyak mit ihrer Formulierung einen zu groben Klotz auf
       einen groben Keil gesetzt. Offenbar war ihr nicht bekannt, dass Sarrazin an
       einer halbseitigen Gesichtslähmung leidet, seit ihm vor acht Jahren ein
       Tumor am Ohr entfernt wurde, was bei ihm den Eindruck der Einfältigkeit und
       Empathielosigkeit verstärkt. „Hätte ich den physiologischen Hintergrund
       gekannt hätte, hätte ich das Bild nicht gewählt“, gab sich die Autorin in
       einer Stellungnahme jetzt reumütig. Der Verlag hat die umstrittene Kolumne
       inzwischen aus dem Netz genommen in der Hoffnung, die Wogen zu glätten.
       
       Doch den fanatischen Sarrazin-Fans reicht das nicht. Die Bild-Zeitung
       forderte in großen Lettern: „Diese Journalistin muss sich bei Sarrazin
       entschuldigen.“ Verlag und Chefredaktion aber stehen hinter ihrer Autorin,
       die für ihre scharfzüngigen Kolumnen 2011 den renommierten
       Theodor-Wolff-Preis gewann, am Literaturinstitut in Leipzig studiert hat
       und auch Essays, Sachbücher und Kurzgeschichten schreibt.
       
       Kiyaks Satz mag Sarrazin schmerzen. Denn der hält sich ja offenbar für
       einen Lippizanerhengst, während er Einwanderer gerne mit Ackergäulen
       vergleicht, wie er es Anfang des Jahres im sächsischen Döbeln getan hat.
       Bemerkenswert an der Empörungswelle, die jetzt über die Autorin
       hereingebrochen ist, ist allerdings nicht nur, wie Sarrazins Fans plötzlich
       Begriffe wie „Menschenwürde“ und „Minderheitenschutz“ im Mund führen – und
       wie egal ihnen auf einmal die Meinungsfreiheit ist, die sie sonst für sich
       beanspruchen.
       
       Das Beispiel zeigt auch, wie eng die Bande zwischen der rechten Blogosphäre
       und dem Springer Verlag in solchen Fällen sind. Die „Achgut“-Autorin Cora
       Stephan jedenfalls unterstelle Mely Kiyak am Dienstag in der Welt gar einen
       „Vernichtungswillen“ gegen Sarrazin, ohne über die vielen Ausfälle gegen
       sie – oder Sarrazins Rassismus – auch nur ein Wort zu verlieren.
       
       29 May 2012
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Daniel Bax
       
       ## TAGS
       
   DIR Ausgehen und Rumstehen
       
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