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       # taz.de -- Piraten im NRW-Landtag: Piraten nur bedingt arbeitsfähig
       
       > Ihre Laptops haben die Neulinge im NRW-Landtag schon aufgebaut. Aber wer
       > Fraktionschef wird, wissen sie noch nicht. Den rot-grünen Haushalt
       > könnten sie jedoch unterstützen.
       
   IMG Bild: Analoger Chatroom: Piraten beim Probesitzen im Plenarssal des Düsseldorfer Landtages.
       
       DÜSSELDORF taz | Fünf Tage nach ihrer Wahl wirkt die Piraten-Fraktion im
       nordrhein-westfälischen Landtag wie eine Besuchergruppe. Eine Mitarbeiterin
       der Verwaltung führt die frisch ins Parlament eingezogenen Abgeordneten
       durch das Gebäude am Rhein.
       
       Staunend stehen die Piraten im Plenarsaal. Der Jurist Dietmar Schulz aus
       Krefeld testet mit beinahe kindlicher Freude Mikrofonanlagen, die
       mindestens 25 Jahre alt sind. „Ah, der Totholzbereich“, sagt ein Pirat, als
       sich die Fraktion der Bibliothek nähert.
       
       Im eigenen Fraktionssaal aber herrscht Entsetzen. „Hier sind ja gar keine
       Steckdosen“, bemängeln die Nerds. Wie viele denn gebraucht würden, fragt
       die Mitarbeiterin. „42“, sagt Daniel Düngel aus Oberhausen. „Ach, das
       wissen sie schon so genau?“ Gelächter. „42“ ist im
       Science-Fiction-Klassiker „Per Anhalter durch die Galaxis“ von Douglas
       Adams – in der Computerszene als Kult verehrt – die Antwort auf alles.
       
       ## Suche nach der richtigen Webcam
       
       Auch politisch sind die Piraten nur bedingt arbeitsfähig. Zwar haben
       irgendwann alle Laptops aufgebaut. Doch ihre erste Fraktionssitzung beginnt
       erst, nachdem jemand im Baumarkt eine „möglichst weitwinklige“ Webcam
       besorgt hat. Die Landtagsneulinge bestehen darauf, ihre Treffen per
       Livestream zu übertragen. Öffentlich sollen die Sitzungen ohnehin sein.
       
       Ausgeschaltet werden soll der Stream nur aus Datenschutzgründen, etwa, wenn
       es um Bewerbungen künftiger Fraktionsmitarbeiter geht. Die könnten durchaus
       auch aus den Reihen der Linkspartei stammen, die bei der Wahl am 13. Mai
       aus dem Landtag geflogen ist. „Die haben Parlamentserfahrung“, sagt Daniel
       Düngel, der als Fraktionssprecher fungiert.
       
       Wie der Fraktionsvorstand besetzt ist, wer Fraktionschef und wer
       Parlamentarischer Geschäftsführer der 20 Piraten wird, soll erst in der
       laufenden Woche geklärt werden. Als aussichtsreicher Kandidat gilt
       Exspitzenkandidat Joachim Paul: „Ich werde auf jeden Fall meinen Hut in den
       Ring werfen“, sagt der Medienpädagoge aus Neuss.
       
       ## Drei Frauen in der Fraktion
       
       In der Faktion gibt es nur drei Frauen. Noch ist unklar, welcheR
       AbgeordneteR sich auf welche Themen spezialisiert. Die Bochumerin Simone
       Brand gilt als Fachfrau für Verbraucherschutz, die Exlandesparteichefin
       Birgit Rydlewski sieht als Wirtschaftswissenschaftlerin ihre Zukunft in den
       Ausschüssen für Bildung, Wirtschaft und Mittelstand. Um die Innenpolitik
       mit dem Piraten-Kernthema Überwachung rangeln zwei der Neuen: der
       Schriftsetzer Marc Olejak (Nickname „Grumpy Old Man“) und der Polizist Dirk
       Schatz.
       
       Die politische Linie gibt solange Paul vor. Initiativen will er zunächst
       dort starten, wo die Kernkompetenz der Piraten vermutet wird: in der
       Kommunikations- und Informationstechnik. In NRW sei die „kommunikative
       Schnittstelle zwischen Landesregierung und Bürgern“ an die
       Bertelsmann-Tochter Arvato outgesourct – und damit der demokratischen
       Kontrolle entzogen, ärgert er sich. Auch eine Privatisierung des heute
       unter „IT NRW“ firmierenden statistischen Landesamts will er verhindern.
       
       Die rot-grüne Regierung der designierten SPD-Ministerpräsidentin Hannelore
       Kraft darf sich zumindest punktuell über Unterstützung der Piraten freuen.
       Einige aus ihrer Fraktion würden wohl für Krafts einst umstrittenen
       Haushalt 2012 stimmen, der die Neuwahlen an Rhein und Ruhr überhaupt erst
       notwendig gemacht hat. Schließlich habe NRW „kein Ausgaben-, sondern ein
       Einnahmeproblem“, sagt Pirat Paul. Es klingt wie Rot-Grün.
       
       22 May 2012
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Andreas Wyputta
       
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