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       # taz.de -- Medikamentenpreise in Deutschland: Pillen sind eben teuer
       
       > Im Streit über transparente Medikamentenpreise bieten die Krankenkassen
       > der Industrie einen Kompromiss an. Extern dürfen hohe Listenbeträge
       > genannt werden.
       
   IMG Bild: Die Pharmaindustrie strebt eine komplette Geheimhaltung der Medikamentenpreise an.
       
       BERLIN taz | Der Streit zwischen Pharmaindustrie und den gesetzlichen
       Krankenkassen (GKV) über die Vertraulichkeit von Arzneimittelpreisen könnte
       rascher beigelegt werden als gedacht. Die Kassen, die bislang auf absolute
       Transparenz der ausgehandelten Preise pochten und jede Form der
       Geheimhaltung strikt ablehnten, wollen den pharmazeutischen Herstellern nun
       offenbar einen Kompromiss vorschlagen.
       
       Das geht aus einem internen Argumentationspapier des GKV-Spitzenverbands
       mit dem komplizierten Titel „Reformvorschläge zur 16.
       Arzneimittelgesetz-Novelle“ hervor, das der taz vorliegt. Im Kern geht es
       darum, dass die Kassen der Industrie anbieten wollen, in der offiziellen
       Preisliste für Medikamente einen vom Hersteller frei festgesetzten
       Listenpreis zu nennen.
       
       Dieser Listenpreis mutet oft astronomisch an und hat meistens mit dem
       tatsächlichen späteren Erstattungspreis durch die Kassen wenig zu tun. Für
       die Hersteller hätte dies den Vorteil, dass sie vor allem gegenüber anderen
       europäischen Ländern, wo sie ihre Medikamente ebenfalls verkaufen,
       weiterhin behaupten könnten, ihre Produkte seien nun einmal so teuer.
       
       Dies geschähe unabhängig davon, welche Rabatte sie in Deutschland, das als
       Referenzland für den europäischen Markt gilt, tatsächlich gewähren. Die
       Industrie hatte zuletzt argumentiert, dass sie, sollten die deutschen
       Erstattungspreise öffentlich werden, Rabattsenkungen automatisch auch im
       Ausland realisieren müsste.
       
       ## Der Erstattungspreis als Verhandlungsgrundlage
       
       Dies liefe auf ökonomische Einbußen hinaus und sei nicht hinnehmbar. In
       diesem Punkt wollen die Kassen der Industrie nun also entgegenkommen. Im
       Gegenzug, und dies wäre der zweite Teil des Kompromisses, fordern die
       Kassen: Verbindliche Grundlage für alle weiteren Verhandlungen hierzulande
       müsste dann jedoch der verhandelte Erstattungspreis sein – und nicht der
       Listenpreis.
       
       Als ein Beispiel wird in dem GKV-Papier die Festlegung der
       Vergleichstherapie genannt. Konkret bedeutet das: Kommt etwa ein neuer
       Cholesterin-Senker auf den Markt, der den existierenden Medikamenten
       überlegen ist, weil er beispielsweise weniger Nebenwirkungen hat, dann
       bestehen die Kassen darauf.
       
       Beim anschließenden Feilschen um den Preis für das neue Medikament wird der
       Erstattungspreis der existierenden Therapie zugrunde gelegt – und nicht der
       sehr viel höhere Listenpreis. „Ohne diese Klarstellung [dass der
       Erstattungspreis gemeint ist, d. Red.] werden die vom Gesetzgeber
       anvisierten Einsparziele nicht erreicht“, heißt es in dem Papier.
       
       Die Koalition hatte 2010 beschlossen, dass für patentgeschützte
       Medikamente, die neu auf den Markt kommen und einen Zusatznutzen nachweisen
       können, die Hersteller und der GKV-Spitzenverband innerhalb von sechs
       Monaten einen Preis aushandeln müssen. Die Unternehmen können so anders als
       früher den Preis nicht mehr komplett selbst festlegen. Ziel sind
       Einsparungen von jährlich 2 Milliarden Euro.
       
       ## Komplette Geheimhaltung
       
       Die Industrie strebt derweil weiterhin eine komplette Geheimhaltung der
       Preise an. Verhandlungsergebnisse dürften ausschließlich dem Hersteller und
       der Kasse bekannt sein. Unterstützung hatte sie hierzu zuletzt von den
       Gesundheitsexperten von CDU und CSU erfahren.
       
       Ende Juni will der Bundestag über eine entsprechende Novelle entscheiden.
       Aus Kassenkreisen hieß es am Donnerstag: „Wenn die ausgehandelten
       Erstattungs-preise absolut geheim sind, ist das geplante Einsparziel der
       Arzneimittelreform ernsthaft gefährdet.“
       
       17 May 2012
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Heike Haarhoff
       
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