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       # taz.de -- Völkermordprozezess in Den Haag: Mladic tritt vor seine Richter
       
       > Der ehemalige Kommandant der bosnischen Serben muss sich vor dem
       > UN-Tribunal in Den Haag wegen Völkermordes verantworten. Er streitet
       > jedoch alle Vorwürfe ab.
       
   IMG Bild: Angeklagt wegen Völkermord, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit: Ex-General Ratko Mladic.
       
       SPLIT taz | Für die überlebenden Opfer des Bosnienkrieges von 1992–1995 ist
       der Beginn des Gerichtsverfahrens vor dem UN-Kriegsverbrechertribunal in
       Den Haag eine große Genugtuung. Dem jetzt 70-jährigen „Schlächter des
       Balkan“ war es zwar über 16 Jahre lange gelungen, in Serbien und dem
       serbischen Teilstaat von Bosnien und Herzegowina unterzutauchen, bis er
       dann doch noch bei einem in Serbien lebenden Verwandten aufgespürt werden
       konnte.
       
       Doch jetzt steht Ratko Mladic vor Gericht. Der ehemalige Kommandeur der
       serbisch-bosnischen Truppen muss sich ab Mittwoch wegen Völkermordes und
       anderer Kriegsverbrechen verantworten.
       
       Er soll nach Auffassung der Anklage nicht nur Chefplaner des
       Srebrenica-Massakers gewesen sein, bei dem im Juli 1995 mehr als 8.000
       Jungen und Männer ermordet wurden. Er wird auch für die Kriegsverbrechen zu
       Beginn des Bosnienkrieges 1992 geradestehen müssen, ebenso der politische
       Führer der bosnischen Serben, Radovan Karadzic.
       
       Mit beider Namen verbinden sich die Verbrechen der „ethnischen Säuberungen“
       mit der Vertreibung von mehr als zwei Millionen Menschen zu Beginn des
       Krieges, dem Zehntausende zum Opfer gefallen sind.
       
       Weiterhin wird Mladic der Tod von 11.541 Menschen in der belagerten
       bosnischen Hauptstadt Sarajevo vorgeworfen. Hinzu kommt die Geiselnahme von
       200 UN-Blauhelmsoldaten und Militärbeobachtern.
       
       ## Die Anklage
       
       Ingesamt wird Mladic zwei Mal wegen Völkermords, vier Mal wegen
       Kriegsverbrechen und fünf Mal wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit
       angeklagt.
       
       Der am 12. März 1942 in der ostbosnischen Gemeinde Kalinovik geborene
       Exgeneral leugnet, in Verbrechen verstrickt zu sein. Er stellt sich als
       Verteidiger der serbischen Volksgruppe in Bosnien und Herzegowina dar.
       
       Er sieht die Serben als auserwähltes Volk und Opfer der Geschichte.
       Einblick in sein Denken gab sein Ausspruch zu Beginn des Massakers von
       Srebrenica, als er seine Truppen aufforderte, „Rache an den Türken“ wegen
       der angeblich verlorenen Schlacht des serbischen Königs gegen die Türken
       1389 zu nehmen.
       
       ## Symbol für Nationalisten
       
       Stärker als Karadzic ist Mladic für nationalistische Serben ein positives
       Symbol. Anders als der 2008 gefasste Karadzic, der als Heilpraktiker Dr.
       Dabic verkleidet und mit Bart unkenntlich gemacht im Belgrader Untergrund
       lebte, machte sich Mladic nicht die Mühe, seine Identität zu verbergen.
       
       Er besuchte noch bis 2002 unbehelligt von der serbischen Polizei Cafés und
       Restaurants in Belgrad und bezog seine Generalsrente vom serbischen Staat.
       Zudem pendelte er zwischen Serbien und Bosnien hin und her. In Bosnien fand
       er Schutz vor etwaigen Verfolgern der Nato in den Bunkeranlagen von Han
       Pijesak.
       
       Wie die ehemalige Chefanklägerin des Tribunals, Carla del Ponte, in ihren
       Memoiren beschreibt, wurde Mladic von der Armee Serbiens und den
       politischen Autoritäten in Belgrad geschützt.
       
       Auch dem 2003 von kriminellen und nationalistischen Spezialpolizisten
       ermordeten ehemaligen Ministerpräsidenten Zoran Djindjic gelang es nicht,
       Mladic verhaften zu lassen.
       
       ## Heimliche Helfer
       
       Die Schutzmauer um Mladic umfasste laut del Ponte sogar viele hohe
       westliche Diplomaten und Geheimdienste, die trotz anderslautender
       öffentlicher Äußerungen jahrelang in Wirklichkeit nichts unternahmen,
       Mladic zu fassen.
       
       Die Haltung Belgrads änderte sich erst, als die EU klarstellte, die von Den
       Haag gesuchten Kriegsverbrecher müssten vor dem Beitrittsprozess
       ausgeliefert werden.
       
       Mladic erkennt das UN-Tribunal nicht an. Sein Gesundheitszustand ist nach
       Angaben seines Verteidigers kritisch. Er wird, so befürchten Juristen in
       Den Haag, versuchen auf Zeit zu spielen und den auf drei Jahre angesetzten
       Prozess hinauszuzögern.
       
       16 May 2012
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Erich Rathfelder
       
       ## TAGS
       
   DIR Radovan Karadžić
   DIR UN-Kriegsverbrechertribunal
       
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