URI: 
       # taz.de -- Rot-grüne Koalition in NRW: Echte Freude, aber keine Fusion
       
       > Es wird keine Streitkoalition, aber auch keine Liebesheirat. Die
       > Chefinnen von SPD und Grünen, Hannelore Kraft und Sylvia Löhrmann, wollen
       > sich auf Augenhöhe begegnen.
       
   IMG Bild: So happy together: Hannelore Kraft (l.) und Sylvia Löhrmann.
       
       DÜSSELDORF taz | Mehr Harmonie war nie: Als sich Hannelore Kraft und Sylvia
       Löhrmann knapp eine Stunde nach den ersten Hochrechnungen im ZDF-Wahlstudio
       sehen, wirkt die Freude der Spitzenkandidatinnen von SPD und Grünen echt:
       Beide breiten die Arme aus. Mitten im ZDF-Set, das der Mainzer Sender im
       Plenarsaal des Düsseldorfer Landtags aufgebaut hat, führen sie eine Art
       Freudentänzchen auf. Vor laufenden Kameras berühren sich Kraft und Löhrmann
       immer wieder, deuten eine Umarmung an.
       
       Riesig ist die Freude über den rot-grünen Triumph bei der
       nordrhein-westfälischen Landtagswahl besonders bei der Sozialdemokratin.
       „Es ist ein so tolles Gefühl: zum ersten Mal nach zwölf Jahren wieder
       vorne“, hatte die Genossin schon auf der SPD-Wahlparty im Club „3001“ im
       schicken Düsseldorfer Medienhafen gejubelt – ein Dutzend lange Jahre lagen
       die Sozialdemokraten in ihrem einstigen Stammland hinter der CDU. „Wir
       werden unser Bestes geben“, versprach die alte und neue
       Ministerpräsidentin.
       
       Die Grüne Löhrmann klang dagegen schon am Wahlabend deutlich gedämpfter.
       „Ein ganz toller Arbeitssieg“, sagte Krafts Stellvertreterin über das
       Ergebnis nur. Denn gesiegt hat vor allem die SPD. Löhrmanns Grüne mussten
       dagegen leichte Verluste verkraften: Ihr Ergebnis sank von 12,1 Prozent
       2010 auf aktuell 11,3 Prozent – dabei hatten Umfragen die Grünen nach der
       Fukushima-Katastrophe auch in NRW bei 20 Prozent gesehen. Ein
       überwältigender Erfolg sieht anders aus.
       
       Rot-Grün sei eine Koalition „auf Augenhöhe“, betonten Sozialdemokraten wie
       Grüne am Montag nach der Wahl gerade deshalb. „Das ist die Grundlage für
       die kommenden fünf Jahre“, sagte der bisherige SPD-Fraktionschef Norbert
       Römer. „Keine Mätzchen“ – nur so sei das Vertrauen der WählerInnen gewonnen
       worden, machte auch Löhrmann klar.
       
       ## Noch vor dem Sommer soll der Vertrag stehen
       
       Besiegelt werden soll der Eindruck der rot-grünen Harmonie durch schnelle
       Koalitionsverhandlungen: Noch vor der Sommerpause soll der neue
       Koalitionsvertrag festgeschrieben und nach Wunsch der Grünen möglichst auf
       zeitgleich stattfindenden Parteitagen beschlossen werden. Auch der
       Landeshaushalt, an dem Krafts Minderheitsregierung zunächst scheiterte,
       soll noch vor den Ferien durch den Landtag.
       
       Dabei wissen führende Grüne, dass sie sich von der SPD unterscheiden müssen
       – der kleinere Partner könnte sonst von der größer gewordenen SPD schnell
       an den Rand gespielt werden: Im neuen Landtag sitzen 99 Sozialdemokraten
       und nur 29 Grüne.
       
       Wer bei den Landesvorsitzenden Sven Lehmann und Monika Düker nachfragt,
       stößt deshalb schnell auf inhaltliche Differenzen zu den Genossen.
       Wichtigstes politisches Ziel sei die Verabschiedung des ersten
       Klimaschutzgesetzes bundesweit, sagt Parteichefin Düker. Und danach müsse
       das Vorzeigeprojekt von Umweltschutzminister Johannes Remmel mit Leben
       gefüllt werden.
       
       Der Wirtschaftsflügel der SPD fürchtet dagegen nichts mehr als immer neue
       Auflagen für Nordrhein-Westfalens nicht gerade umweltfreundliche Stahlwerke
       und die Metall- und Elektroindustrie. Den Widerstand gegen das Gesetz
       dürfte er nur vorübergehend wegen der Neuwahlen eingestellt haben.
       
       ## Streitpunkt Verkehrspolitik
       
       Schwierigkeiten dürfte es auch in der Verkehrspolitik geben. Selbst mitten
       im Wahlkampf versuchte SPD-Wirtschafts-und Verkehrsminister Harry
       Voigtsberger, sich mit Planungen zum Weiterbau der Autobahn 1 zu
       profilieren. Die soll mitten durch die Eifel laufen – die Grünen träumen
       stattdessen von einem Naturschutz-Nationalpark. Umstritten bleibt auch die
       Flüchtlingspolitik. Grünen-Chefin Düker klagt immer wieder über
       Abschiebungen etwa ins Kosovo, die SPD-Innenminister Ralf Jäger auch im
       kältesten Winter durchsetzt.
       
       Und selbst Deutschlands einzige Urananreicherungsanlage, die vom
       münsterländischen Gronau aus jedes zehnte Atomkraftwerk mit Brennstoff
       versorgt, könnte unter den beiden Anti-Atom-Parteien für Streit sorgen: Die
       grüne Basis dringt auf einen schnellen Ausstieg – doch Regierungschefin
       Kraft fürchtet Schadenersatzforderungen in dreistelliger Millionenhöhe.
       
       Von einer Neuauflage des rot-grünen „Projekts“ in NRW will Parteichefin
       Düker deshalb nichts wissen. „Wir haben unsere Koalition nie so
       bezeichnet“, sagt die Düsseldorferin. „Nicht überhöht“ werden dürfe die
       „Zusammenarbeit auf Zeit“, macht sie klar. „Wir sind und bleiben zwei
       Parteien – sonst könnten wir ja fusionieren.“
       
       14 May 2012
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Andreas Wyputta
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Rot-grüne Koalitionsverhandlung in NRW: Der Sound hat sich verändert
       
       Nach außen geben sie sich gut gelaunt, doch hinter der Kulissen ist es
       weniger harmonisch: In Nordrhein-Westfalen streiten SPD und Grüne um die
       Prioritäten ihrer Koalition.
       
   DIR Heide Simonis zur Wahl in NRW: „Frauen tun einander nicht so weh“
       
       Heide Simonis über die junge Frau Kraft, weiblichen Führungsstil in der
       Politik, harte Planung und warum es meist eines Unfalls bedarf, damit
       Frauen eine Chance gegeben wird.
       
   DIR Rhetorik der Siegerinnen in NRW: Das bisschen Haushalt...
       
       Mit einer Politik der „Mütterlichkeit“ haben Kraft und Löhrmann die Wahl
       gewonnen. Weibliche Attribute haben Konjunktur – auch dank der aktuellen
       politischen Tagesordnung.
       
   DIR CDU nach der NRW-Wahl: Die Ruhige im Erdbeben
       
       Sein NRW-Debakel könnte Norbert Röttgens Karriere beenden. Doch die
       Kanzlerin hält an dem Gescheiterten fest, der sie mal beerben wollte. Denn
       noch nutzt er ihr.
       
   DIR Schluss mit Jammern an der Ruhr: Kraft durch NRW
       
       Die Zahlen stimmen zwar nicht, aber ihr Fußball ist gut. Und die Politik
       auch. Das einstige Rost- und Kohlenland ist plötzlich hip: Die Freude ist
       nach NRW gezogen.
       
   DIR Röttgen nach NRW-Wahl in der Kritik: Minister auf Bewährung
       
       Röttgen ist nach seiner Niederlage angeschlagen. Die Opposition fordert
       seinen Rücktritt: Er sei nicht nur als Spitzenkandidat überfordert gewesen,
       sondern auch als Minister.
       
   DIR Verlierer Linkspartei: Linke nach Lafontaines Gusto
       
       Der Saarländer will nur dann Parteichef werden, wenn die Partei seine
       Bedingungen erfüllt. Die Ostlandeschefs sprechen sich hingegen für Dietmar
       Bartsch aus.
       
   DIR Kommentar NRW: Wahlverlierer Umwelt
       
       Nach seiner dramatischen Niederlage in NRW wird Norbert Röttgen der
       durchsetzungsschwächste Minister in Merkels Kabinett sein. Schlechte
       Aussichten für die Umweltpolitik.
       
   DIR Wahldebakel der Linkspartei in NRW: Die Sache mit der „Alternativlosigkeit“
       
       Dass es schlimm werden wird, hatten sie alle geahnt. Dass es so schlimm
       werden würde, dann doch nicht. Und was darauf bei der Linkspartei folgt?
       Die Führungsdebatte.
       
   DIR FDP nach der Landtagswahl im Glück: Kronprinz Christian
       
       Der Wiedereinzug der tot geglaubten FDP in den Landtag NRW macht
       Spitzenkandidaten Christian Lindner zum starken Mann der Partei. Alle
       Blicke werden sich nun auf ihn richten.
       
   DIR SPD und Grüne in NRW: Landesmutter der Herzen
       
       Die Sozialdemokraten feiern ihr Comeback in Düsseldorf. Die pragmatische
       und treusorgende Landesmutter Kraft hat es geschafft. Und das nicht auf
       Kosten der Grünen.
       
   DIR Erfolg der Piraten in NRW: Ein bisschen „Chili“ im Landtag
       
       Piraten im vierten Landesparlament: Spitzenkandidat Paul verspricht, dass
       die Partei bald auch im Bundestag vertreten sein wird. Und DJ Dosenbier
       übernimmt.