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       # taz.de -- SPD und Grüne in NRW: Landesmutter der Herzen
       
       > Die Sozialdemokraten feiern ihr Comeback in Düsseldorf. Die pragmatische
       > und treusorgende Landesmutter Kraft hat es geschafft. Und das nicht auf
       > Kosten der Grünen.
       
   IMG Bild: Zupackend, treusorgend, optimistisch - ihr Nachname ist Programm.
       
       DÜSSELDORF taz | Als um 18 Uhr die erste Prognose über die Bildschirme
       flackert, ist der Jubel grenzenlos. Freudetrunken liegen sich die Genossen
       in den Armen. Hannelore Kraft hat es geschafft. Die große Wahlsiegerin will
       ganz auf Nummer sicher gehen und wartet die erste Hochrechnung ab. Dann
       tritt sie vor ihre Parteifreunde. „Es so ein tolles Gefühl: das erste Mal
       seit 12 Jahren wieder vorne!“, strahlt sie. Die Sozialdemokraten sind
       wieder stärkste Partei in Nordrhein-Westfalen.
       
       „Es war ein harter Wahlkampf“, sagt Kraft. „Aber wir haben das Richtige
       getan: den Menschen in den Mittelpunkt gestellt.“ Es ist ein erwarteter
       Sieg. Doch als der Landtag Mitte März seine Selbstauflösung beschloss,
       hatten selbst die kühnsten Wahlstrategen in der Düsseldorfer Parteizentrale
       in der Kavalleriestraße kaum geglaubt, dass er so deutlich ausfällt. Nach
       34,5 Prozent 2010 jetzt mehr als 38 Prozent. Und die Union von Krafts
       Herausforderer Norbert Röttgen liegt weit abgeschlagen hinten.
       
       „Das ist ein klarer Ausdruck, dass die Menschen uns wieder vertrauen“, sagt
       SPD-Landtagsfraktionschef Norbert Römer der taz. „Sie haben gemerkt, dass
       es Hannelore Kraft ehrlich meint.“ Sie sei eben „authentisch“. Dass die
       alte auch die neue Regierungschefin sein wird, daran gibt es am Wahlabend
       keinen Zweifel.
       
       ## Ein „Arbeitssieg“
       
       Zumal die Zugewinne für die SPD nicht auf Kosten ihres grünen
       Koalitionspartners gegangen sind: Die Grünen bleiben bei rund 12 Prozent.
       Damit reicht es für eine satte rot-grüne Mehrheit. „Das ist ein
       Arbeitssieg“, freut sich die grüne Spitzenkandidatin Sylvia Löhrmann. Wir
       freuen uns, dass wir jetzt unsere gemeinsame Arbeit so partnerschaftlich
       wie bisher fortsetzen können“.
       
       Die SPD ist zwar immer noch weit von jenen Traumergebnissen entfernt, die
       früher Johannes Rau einfahren konnte, aber zumindest die persönlicher
       Beliebtheitswerte Krafts erinnern an jene des seligen „Bruder Johannes“,
       der von 1980 bis 1995 das bevölkerungsreichste Land mit absoluter Mehrheit
       regierte. Ganz wie Rau setzte Hannelore Kraft im Wahlkampf mehr auf
       Stimmung denn auf Inhalte. „NRW im Herzen“ lautete ihr zentraler Slogan.
       „Das war der Kraftfaktor“, strahlt SPD-Landesinnenminister Ralf Jäger. Und
       er ist sich sicher: „Das wird ein langer, schöner Abend!“
       
       Die 50-jährige Diplomökonomin hat der SPD das Selbstbewusstsein
       zurückgegeben, das die Partei unter ihren sozialdemokratischen Vorgängern
       Wolfgang Clement und Peer Steinbrück verloren hatte. Als Kraft nach
       Steinbrücks schwerer Wahlniederlage 2005 den Landesvorsitz übernahm, lag
       die SPD in ihrem einstigen Stammland in Trümmern. Aber Kraft schaffte den
       Wiederaufbau.
       
       ## Pragmatisch, volksnah, treusorgend und zupackend
       
       Schnell gelang es ihr, in die Rolle der treusorgenden „Landesmutter“
       hineinzuwachsen. Kraft präsentierte sich pragmatisch, zupackend und
       volksnah. Mit ihrer bodenständigen Art konnte die Tochter eines
       Verkehrsmeisters und einer Verkäuferin, die seit Kinderzeiten im
       proletarisch geprägten Mülheimer Ortsteil Dümpten wohnt, die Menschen
       begeistern.
       
       Mit ihrem Amtsbonus ging Kraft diesmal als Favoritin ins Rennen. Im
       Wahlkampf ließ sie dabei keinen Zweifel, auch künftig mit den Grünen
       regieren zu wollen. Allerdings hatte Kraft für den Fall, dass es
       rechnerisch für Rot-Grün nicht reichen sollte, weder eine große Koalition
       mit der CDU noch eine Ampel mit Grünen und FDP ausgeschlossen. Doch darüber
       muss sie sich am Wahlabend keine Gedanken mehr machen.
       
       13 May 2012
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Pascal Beucker
       
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