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       # taz.de -- Wunder in Aussicht: In der Hand der Roten Bullen
       
       > Der Hallesche FC, Tabellenführer der Fußball-Regionalliga, stolpert und
       > Holstein Kiel hat am letzten Spieltag wieder Chancen auf die Dritte Liga.
       
   IMG Bild: Da war der Elfmeter fällig, der zum 2:0 führte: Gäste-Torwart Sebastian Kischel legt Rafael Kazior.
       
       KIEL taz | Es ist kalt an der Bushaltestelle „Am Stadion“. Es regnet,
       starker Wind. Das Spiel zwischen Holstein Kiel und Germania Halberstadt ist
       seit etwas mehr als einer Stunde aus. Der Bus kommt, Einer steigt aus,
       fragt: „Na?“ Der Dicke mit der Glatze, rote Regenjacke, Falte überm Auge,
       könnte auch eine Narbe sein, antwortet: „Gewonnen.“ Der andere fragt im
       Weggehen: „Und Halle?“ Der Dicke mit der Glatze ruft ihm nach: „Verloren!“
       Der Typ, der weggeht, bleibt stehen: „Wie? Verloren?“ Das glaubt er nicht.
       Der Bus fährt ab.
       
       Überraschung am vorletzten Spieltag der Regionalliga Nord: Der Hallesche
       FC, Tabellenerster, verliert beim ZFC Meuselwitz mit 0:1. Der
       drittplatzierte, zum Brausekonzern Red Bull gehörende Rasenballsport
       Leipzig, spielt zu Hause nur 2:2 gegen die zweite Mannschaft des VfL
       Wolfsburg – so was wie die Prüfungskommission für Aufsteiger, vor die
       Holstein am letzten Spieltag noch treten muss. Kiel, der Tabellenzweite,
       gewinnt gegen Halberstadt mit 2:1 und hat damit 75 Punkte. Halle kommt auf
       76 Punkte und muss am letzten Spieltag zu Hause gegen Leipzig ran.
       
       ## Schenkt RB Leipzig jetzt ab?
       
       Leipzig hat 72 Punkte und ist aus dem Rennen, weshalb die Kieler im Bus auf
       dem Weg zum Bahnhof darüber diskutieren, „ob Leipzig das abschenkt“ oder
       gar „absichtlich verliert, weil sie Halle nächste Saison nicht mehr in der
       Liga haben wollen“ oder „noch mal richtig Fußball spielt“. Das wird, unter
       Zuhilfenahme einiger Becher Wodka-Cola, selbst gemischt, von allen Seiten
       beleuchtet. Fazit: „Leipzig kannse nicht trauen.“ Einige Kieler Fans trauen
       ihrer Mannschaft, die in dieser Saison kein Heimspiel verloren hat,
       allerdings auch keinen Auswärtssieg bei Wolfsburg II im Saisonfinale am
       kommenden Samstag zu.
       
       Gegen Halberstadt sind 4.000 Zuschauer im Stadion, sehen 20 Minuten lang
       eine ausgeglichene Partie. Dann wird Kiel besser, beherrscht Spiel und
       Gegner, hat zwei Chancen (23., 39.), die Marc Heider, gerade Vater
       geworden, vergibt. Die Alten auf der Tribüne kennen den Schuldigen: Das
       Neugeborene – es lässt den Papa nicht schlafen. Kiels Führung fällt nach
       einem Eckball: Innenverteidiger Aaron Berzel köpft ein (38.).
       
       Aus Meuselwitz haben die Fans zwei Infos: Das Spiel hat fünf Minuten später
       als das in Kiel begonnen und steht 0:0. Kiel hat Halberstadt unter
       Kontrolle, die Germania macht nicht den Eindruck, als wollte sie noch was
       gewinnen.
       
       Kurz nach Beginn der zweiten Halbzeit foult Halberstadts Keeper Sebastian
       Kischel den Kieler Mittelfeldspieler Rafael Kazior, Schiedsrichter Florian
       Steuer (Menden) gibt Elfmeter, den, in Abwesenheit des verletzten Stürmers
       Fiete Sykora, Deran Toksöz verwandelt (48.). Nun verlegt sich Kiel aufs
       Kontern und gibt das Spiel aus der Hand, Halberstadt wird besser. Die
       wollen doch noch was.
       
       Die Zuschauer auf der Haupttribüne halten sich die Ohren zu, wenn sie
       telefonieren, um den Spielstand in Meuselwitz zu erfahren, oder decken ihre
       Smartphones gegen den Regen ab, um zu lesen. Immer noch 0:0 in Meuselwitz,
       aber Halle hat viele Torchancen, nur noch eine Frage der Zeit bis …?
       
       ## Der Wind macht ein Tor
       
       In Kiel lässt Heider die nächste Chance (53.) liegen. „Wir wollten, wie in
       den anderen Heimspielen, viele Torchancen. Die hatten wir, nur die Tore
       haben wir nicht gemacht, auch nicht zum ersten Mal“, sagt Kiels Trainer
       Thorsten Gutzeit später. Halberstadt macht den Anschluss (64.), der Wind
       bläst einen Freistoß von Oliver Kragl über Kiels Keeper Daniel Strähle ins
       Tor. Meuselwitz geht gegen Halle in Führung, in Kiel bricht die 80. Minute
       an. Arme fliegen in die Luft, Aufregung, es wird noch mehr telefoniert und
       gestikuliert und gefragt und nachgefragt.
       
       Die Fans rufen: „Wir sind alle Holsteiner Jungs!“ Kiels Mittelfeldspieler
       Jaroslaw Lindner sagt: „Wir waren nicht über die Spielstände informiert,
       das war mir aber auch egal.“ Auf die Fans hat er nicht geachtet, „nur auf
       mich“. Sein Problem an der nun entstandenen Konstellation ist, „dass wir es
       nicht in der Hand haben, die Frage ist: Was macht Leipzig gegen Halle?“ Das
       fragen sich alle. Trainer Gutzeit sieht das letzte Spiel so: „Wir fahren
       nach Wolfsburg und haben eine Chance auf den großen Wurf.“
       
       13 May 2012
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Roger Repplinger
       
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