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       # taz.de -- The Gossip in Berlin: Die Abba des Dancepunk
       
       > Von Disco zu Punkrock: Beim Berliner Konzert von The Gossip tritt ihr
       > mainstreamkompatibles Album „A Joyful Noise“ zugunsten von
       > Riot-Grrl-Attitüde in den Hintergrund.
       
   IMG Bild: Um ihre Hämorrhoiden ist's gut bestellt: Beth Ditto im Berliner Berghain.
       
       Dass Beth Ditto gern viel redet, ist bekannt. Aber weil die Sängerin der
       US-Dancepunk-Band The Gossip an diesem Dienstagabend im gut gefüllten
       Berliner „Berghain“ besonders viel redete, wurden die Pausen zwischen den
       Songs fast unerträglich.
       
       Zu erfahren war, wie es ihrer Vagina geht, dass es um ihre Hämorrhoiden gut
       bestellt ist und dass Beth Ditto „mindestens die Hälfte der Leute hier
       kennt“, womit wahrscheinlich der hippe Teil der zahlreichen
       Schnauzbartträger gemeint war. Ansonsten ließ einen der Auftritt zwar
       schweißnass und glücklich, aber auch etwas verwirrt zurück. Das lag daran,
       dass The Gossip den kathedralengroßen Dancefloor des weithin bekannten
       Berghain in einen Punkrock-Keller verwandelten. Diese Umfunktionierung war
       umso überraschender, weil das am Freitag erscheinende neue Album der Band
       genau den gegensätzlichen Weg beschreitet. „A Joyful Noise“, das
       mittlerweile fünfte Werk, schließt die Entwicklung von The Gossip zur
       Disco-Band ab.
       
       Kaum noch zu erkennen auf dem neuen Studiowerk ist die Herkunft des Trios
       aus der Riot-Grrl-Bewegung. Die Texte feiern zwar immer noch
       Identitätsfindung und Selbstbewusstsein von Gay- und Gegenkultur, aber
       musikalisch ist unüberhörbar, dass sich Ditto ein ganzes Jahr lang in das
       Gesamtschaffen von Abba vertieft hat. Noch deutlicher ist sogar der
       Einfluss des Produzenten Brian Higgins, der sich bislang vor allem als
       Sounddesigner für vergleichsweise gewöhnliche Pop-Acts wie Sugababes oder
       Kylie Minogue verdingte.
       
       Folgerichtig deckt „A Joyful Noise“ nun ein Spektrum ab, das vom fast etwas
       bräsigen Breitwand-Rock der ersten Single „Picture Perfect World“ bis zu
       leichtfüßigen, mit Streicher-Samples abgefederten Popsongs wie „Move In The
       Right Direction“ reicht. Die Hinwendung zur Tanzbarkeit ist zwar nicht neu
       bei The Gossip, aber sie dominierte noch nie so uneingeschränkt. Bereits
       „Standing In The Way Of Control“, das Album, mit dem ihnen Ende der nuller
       Jahre der Durchbruch vor allem in Europa gelang, war trotz aller Rotzigkeit
       extrem rhythmusorientiert.
       
       ## In den Klatschspalten
       
       Seitdem ist Ditto Stammgast in den Klatschspalten, auf Titelblättern und
       der „Wetten, dass ..?“-Couch, aber im Herzen von The Gossip ruht, das
       machte der Auftritt wieder einmal klar, immer noch Drummerin Hannah Blilie,
       deren Schlagzeugspiel scheinbar mühelos zwischen fein ziselierten Grooves
       und hemmungsloser Prügelei zu wechseln imstande ist. Die Gitarre von Brace
       Paine, die einst noch aus jedem von Chic geklauten Funkriff ein
       Punk-Statement machte, rückte dagegen etwas in den Hintergrund, weil die
       Triobesetzung sich am Dienstag von einem Bassisten und einem Keyboarder
       unterstützen ließ.
       
       Die Aufstockung führte zwar zu einem differenzierteren Sound, als man ihn
       von früheren Gossip-Konzerten gewohnt war. Aber am Ende brachen dann doch
       immer wieder die New-Wave-Wurzeln der Band durch, an die sie selbst
       fortgesetzt mit entsprechenden Zitaten erinnerten. „Psycho Killer“ von den
       Talking Heads verwandelte sich wie selbstverständlich in den eigenen Hit
       „Listen Up“, und mitten in „Standing In The Way Of Control“ tauchte
       plötzlich „Smells Like Teen Spirit“ von den ebenfalls aus dem Nordwesten
       der USA stammenden Nirvana auf.
       
       Problemlos integrierten Gossip aber auch die zweite Seele, die in der Brust
       der Band schlägt. „I Wanna Dance with Somebody“ von Whitney Houston brachte
       die hohen Wände des Berghain zum Wackeln, und in der einzigen Zugabe bewies
       Beth Ditto mit „I Will Always Love You“, dass ihr Stimmumfang dem einer
       Soul-Diva ebenbürtig ist. Trotzdem stand dieser Abend im Zeichen des Punk:
       Als Beth Ditto, die längst ihre glitzernde Robe abgelegt und das schlichte
       Schwarze durchgeschwitzt hatte, mal nicht sang und auch nicht redete,
       rülpste sie satt und selbstzufrieden.
       
       ## The Gossip, „A Joyful Noise“ (Columbia/Sony)
       
       9 May 2012
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Thomas Winkler
   DIR Thomas Winkler
       
       ## TAGS
       
   DIR Gossip
       
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