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       # taz.de -- Debatte Urheberrecht: Der Sharer ist die Zukunft
       
       > Es gibt eine Möglichkeit, Künstlern und denen, die ihre Arbeit nutzen,
       > gerecht zu werden. Dafür muss aber die Polarisierung beider Seiten
       > beendet werden. Ein Vorschlag.
       
   IMG Bild: Mag manchmal schwerfallen, aber: Sharing ist vernünftig – auch im Bereich des geistigen Eigentums.
       
       Nicht nur in Deutschland steht die liberale Gesellschaft vor einem
       moralischen Dilemma: Es gibt eine neue Betätigung, die sozial legitim, aber
       im Kontext des Urheberrechts strafbar ist: Sharing.
       
       Wer sich fragt, wie wir schonender mit den Ressourcen unseres Planeten
       umgehen können, ohne gleich an Wohlstand einzubüßen, kommt schnell darauf:
       Wir müssen mehr Dinge teilen. Traut man den Pionieren, dann könnte der
       ineffiziente Kapitalismus bald ein untergeordnetes Funktionselement der
       wesentlich effizienteren Sharing-Economy darstellen.
       
       Die Figur der Zukunft ist also der Sharer. Er und sie suchen den
       Reputationsgewinn durch das Teilen von Eigentum und Information. Ihr Ziel
       ist nicht vorrangig die Nutzenmaximierung, sondern die Steigerung der Zahl
       ihrer Gefolgschaft.
       
       Damit wir uns richtig verstehen: Der Sharer ist im Recht – im Recht der
       kommenden Zeit, deren Praxis längst unsere geltende Rechtsordnung ad
       absurdum geführt hat. Wer sich heute gegen den Sharer stellt, stellt sich
       stur gegen den Weltgeist. Sharing ist vernünftig – auch im Bereich des
       geistigen Eigentums.
       
       Dumm nur, dass gerade unsere kreative Klasse sich auf die Fahnen
       geschrieben hat, sich wie Neandertaler aufzuführen. Sven Regener etwa hat
       jüngst mal wieder bewiesen, dass der Wille zum blinden Widerstand
       ungebrochen ist. Trotzdem hat der Schriftsteller und Sänger von Element of
       Crime natürlich in einem zentralen Punkt recht: Der Sharer ist nicht
       kreativ, der Urheber schon.
       
       Es genügt die unzähligen Aufforderung in den Warezblogs zu lesen, man solle
       sich doch endlich mal für das freizügig geteilte geistige Eigentum fremder
       Menschen bedanken, um festzustellen, wie eitel der Sharer ist. Er lechzt
       nach Reputation und nicht nach Schöpfung. Vom Sharer ist keine Innovation
       zu erwarten. Er kann die Leistungen der kreativen Klasse nicht selbst
       erbringen.
       
       ## Sharing gehört zur bürgerlichen Freiheit
       
       Wir müssen also auf der einen Seite den Geist unserer Zeit und den Mensch
       unserer Zukunft akzeptieren. Der Sharer wird bleiben. Daran werden auch
       Acta und andere nichts ändern. Wir werden den Sharer nur vertreiben können,
       wenn wir bereit sind, unsere bürgerliche Freiheit an den Nagel zu hängen.
       
       Und wer für diesen Weg ist, der ist ein ärgerer Feind als derjenige, der
       das Urheberrecht verletzt. Auf der anderen Seite wäre es gesellschaftlicher
       Selbstmord, unsere kreative Klasse im Stich zu lassen. Autoren,
       Filmemacher, Musiker und Künstler müssen von ihrer Arbeit gut leben können.
       Ihr Anliegen ist ebenso gerecht und liegt ebenso im allgemeinen Interesse
       wie das des Sharers.
       
       Erkennt man das Recht beider Seiten an – und gerade an der wechselseitigen
       Anerkennung beider Seiten fehlt es –, dann ist die Verhärtung, die sich im
       Streit um das Urheberrecht gebildet hat, nicht mehr allzu schwer zu lösen.
       Alles, was wir brauchen, ist eine Lösung, die beide gleichzeitig bevorteilt
       und voneinander abhängig macht.
       
       Eine mögliche Lösung, die der Logik der Reputation des Sharings und der
       Entschädigung des Urhebers zugleich dienen könnte, wäre etwa ein
       sekundäres, also vom Urheber wählbares Urheberrecht, dass wie ein
       Pyramidenschema konstruiert ist.
       
       ## Der Urheber ist der erste Sharer
       
       Der Urheber ist der erste Sharer. Er teilt seine Kreation zu einem Preis,
       den er selbst festsetzt. Die Sharer jeder weiteren Ordnung erwerben dadurch
       zum einen das Recht, das erkaufte Gut so oft zu teilen, wie sie wünschen,
       und dafür den Preis zu verlangen, den sie wollen.
       
       Zum anderen verpflichten sie sich, einen Teil ihres Ertrags (ob er durch
       Werbung oder Verkauf erwirtschaftet wird, sei hier dahingestellt) an
       denjenigen zu geben, der das Erzeugnis mit ihnen geteilt hat. So entsteht
       eine Art goldene Pyramide, die den Urheber am stärksten belohnt und gute
       Sharer neben ihrem Reputationsgewinn auch noch entlohnt.
       
       Es sorgt gleichzeitig dafür, das die Sharer kein Interesse an
       Trittbrettfahrern haben können, die die Produkte umsonst teilen. Wenn im
       Netz eine Norm eine Durchsetzungschance hat, dann nur eine solche, die
       internetaffine Trägergruppen verteidigt. Gleichzeitig ist ein Kunstwerk,
       eine Musikdatei oder ein Buch, das oft und von vielen geteilt wird, am Ende
       der Kette auf Grund einfacher Marktgesetze am Ende sehr günstig.
       
       Das Verfahren brächte also nicht nur Sharer und Urheber in ein Boot, es
       käme auch noch dem Endabnehmer zugute. Auch das Crowdfunding ließe sich in
       das grob skizzierte Verfahren einflechten. Etwa könnten Sharer Urheber
       „staken“, also deren Risiken für einen Teil an ihren Gewinnchancen
       übernehmen. Wenn sie der Meinung sind, dass jemand ein tolles Projekt hat,
       könnten sie das Projekt vorab finanzieren, um so einen Sharingvorteil zu
       erzielen.
       
       ## YouTube ist ein Problem
       
       Dies ist natürlich nur ein grober Vorschlag, an dem viele Details
       ausgearbeitet werden müssten, aber eine der vielen Möglichkeiten, die sich
       eröffnen, wenn man erst einmal die zentrale Verwirrung beseitigt hat. In
       unserer Welt kämpfen nämlich nicht Sharer gegen Urheber, sondern große
       Unternehmen darum, sich Sharingmonopole anzueignen.
       
       Das berühmteste dürfte YouTube sein. Unternehmen dieser Art verleiben sich
       im Moment ein Großteil der Profite ein, die nach unserem
       Gerechtigkeitsempfinden eigentlich den Urhebern und den Sharern – also
       denjenigen, die das Produkt eines Urhebers populär machen und verbreiten –
       zustehen.
       
       Dass die kulturelle Blüte, die das Urheberrecht ausgelöst hat, aber nicht
       auf die geschickte Bewirtschaftung der kreativen Klasse durch kluge
       Unternehmer, sondern auf ihre Ermächtigung zurückgeht, sollte man sich in
       Erinnerung rufen. Auch sollte nicht vergessen werden, dass YouTube und Co.
       weniger leisten als Verleger.
       
       ## Sharer müssen bewusster Handeln
       
       Sie sind, wenn eine solche Analogie überhaupt statthaft ist, eher mit den
       Buchdruckern zu vergleichen. YouTube und Co. sind Hosting-Infrastuktur,
       deren Zweck in der Verfügbarmachung von Kopien zu sehen ist – mehr nicht.
       Infrastruktur darf natürlich etwas kosten. Dass sie sich den Löwenanteil
       einverleibt, ist hingegen dreist.
       
       Es ist höchste Zeit die richtigen Parteien in ein Boot zu bringen und die
       weitestgehend banalen Mittelsmänner auszuschalten. Dafür müssen sich die
       Sharer ihrer Rolle in der kommenden Gesellschaft bewusst werden. Noch
       verharren sie in einer naiven Antihaltung.
       
       9 May 2012
       
       ## TAGS
       
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   DIR Schwerpunkt Urheberrecht
       
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