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       # taz.de -- Popkongress „Apocalypse Now (and then)“: Musik gewordener Optimismus
       
       > Drei Tage lang untersuchte eine Konferenz in Berlin das Ende der Welt in
       > der Popkultur: „Apocalypse Now (and then)“ flirtet mit der Katastrophe
       > und denkt den Untergang.
       
   IMG Bild: Gewagt, aber gelungen: Die Neubearbeitung von Chris Markers Kultfilm „La Jetée“ (1962).
       
       Musik nimmt gesellschaftliche Umbrüche vorweg, schrieb Jacques Attali in
       seiner Studie „Noise. The Political Economy of Music“. Ein Satz, der schon
       in der Einführung des von Christoph Gurk und Tobias Rapp am Berliner HAU
       kuratierten Kongresses „Apocalypse Now (and then)“ neue Konjunktur bekam.
       In zahlreichen Vorträgen gingen ReferentInnen der Rede vom Ende der Welt in
       der Popkultur nach. Konzerte rundeten das Programm der drei Klausurtage ab.
       
       Flirting with Disaster, nach dieser Logik funktioniert Pop zwar von
       Anbeginn. Angesichts der realen Katastrophe von Fukushima oder der
       anhaltenden Finanzkrise habe apokalyptisches Reden aber eine andere
       Dimension erhalten, schickte Christoph Gurk voraus.
       
       Der britische Autor Simon Reynolds nahm in seinem Vortrag „The Endless End“
       Bezug auf die vorherrschenden Untergangsszenarien in Popsongs: das
       biblische Armageddon, Angstvorstellungen, wie etwa in dem von
       millenaristischem Sektenwissen geprägten Reggae, und soziale Unordnung, wie
       sie zum Beispiel die junge kalifornische Popsängerin Kesha inszeniert.
       
       Die Gemachtheit des Weltuntergangs untersuchte Falko McKenna anhand eines
       biblischen Urtextes. Das klassische Material der Johannes-Offenbarung sei
       ein synthetisches Kompositum verschiedener Autoren, legte der
       Religionswissenschaftler überzeugend dar. Auch die religiösen „Visionen vom
       Weltende“ seien einer Verwertungslogik unterworfen gewesen. Der Text
       verdanke sich der verschärften Konkurrenzsituation zwischen verschiedenen
       Sekten. Er bringe eine Sehnsucht nach Gewissheit zum Ausdruck. Etwas, das
       McKenna als „Pop der Apokalypse“ bezeichnete.
       
       Die Neubearbeitung von Chris Markers Kultfilm „La Jetée“ (1962) durch den
       britischen Dubstep-Produzenten Steve Goodman zusammen mit dem Videokünstler
       MFO und der Sängerin Ms. Haptic war gewagt, aber gelungen. Die drei
       Künstler zerlegten den Experimentalfilm über einen Protagonisten, der nach
       einer nuklearen Katastrophe ins zerstörte Paris zurückkehrt, sie
       verlängerten ihn zeitlich und gaben ihm eine weibliche Perspektive.
       Goodmans Soundtrack funktionierte wie eine Untertitelung.
       
       ## Holocaust in Schlagern
       
       Der zweite Tag, „Nach der Katastrophe ist vor der Katastrophe“ umschrieben,
       beschäftigte sich eingehend mit der Situation nach dem Zweiten Weltkrieg.
       Was konnte Pop gegen Massenvernichtung leisten? Und was wurde mit Adornos
       Diktum, nach Auschwitz könne es keine Kunst mehr geben, unmöglich? Der
       Filmwissenschaftler Tobias Nagl konstatierte in seinem Vortrag „Alles denkt
       den Untergang. Pop und Apokalypse in Westdeutschland nach 1945“ eine
       kulturelle Stummheit gegenüber dem Holocaust in Schlagern und Heimatfilmen
       aus der Zeit des Wiederaufbaus.
       
       Stattdessen wurden die Trümmerdeutschen in den Liedern liebenswert und naiv
       besungen. Diesen Zustand änderte erst Krautrock, der ab Ende der Sechziger
       „die postfaschistischen Charaktermasken“ herunterriss. Auch die radikal
       negative Materialästhetik der Einstürzenden Neubauten sei ein erfolgreicher
       Versuch gewesen, das Böse des Nationalsozialismus zu exorzieren, wie Nagl
       ausführte.
       
       Der Tel Aviver Musikkritiker Yehuda Nuriel – er lebe knapp eine Stunde
       südlich der Berge Armageddon und Sodom – beschäftigte sich mit dem
       schwarzen Loch der Erinnerung, wie es über Jahrzehnte in der israelischen
       Popkultur klaffte. Die Erinnerung an den Holocaust trug so schwer, so
       Nuriel, dass sie bis weit in die achtziger Jahre nur in der Sphäre des
       Politischen zur Sprache gebracht wurde. Das änderten erst die Musiker der
       Postpunkband Minimal Compact und in den Neunzigern das unabhängige
       israelische Kino, das sich mit Trauma und Tabu der Massenvernichtung aktiv
       auseinandersetzt und Bilder für das Undenkbare findet.
       
       „Viel Spaß mit der afroamerikanischen Apokalypse“ wünschte die Moderatorin
       Nina Scholz am dritten Konferenztag, was der New Yorker Kulturtheoretiker
       Greg Tate ohne Weiteres einlöste. Sein Diavortrag über die Aliens der Black
       Culture von Nat Turner über Sun Ra bis Octavia Butler, den Tate quasi in
       Zungen sprechend vollführte, war Musik gewordener Optimismus im Angesicht
       der von vielen Katastrophen getroffenen schwarzen Geschichte.
       
       7 May 2012
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Julian Weber
   DIR Julian Weber
       
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   DIR Vergewaltigung
       
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