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       # taz.de -- Asylpolitik in Bad Heilbrunn: Das Christstollen-Missverständnis
       
       > In Bayern leben viele Flüchtlinge in Gemeinschaftsunterkünften. Bad
       > Heilbrunn zeigt, dass es anders geht: 18 Asylbewerber finden hier
       > Zuflucht.
       
   IMG Bild: In dieser Postkarten-Idylle finden Asylbewerber Zuflucht.
       
       BAD HEILBRUNN taz | An der Wand hängt ein Plan von Bad Heilbrunn, darüber
       steht in arabischen Lettern „Bitte nicht rauchen“. Hinter dem
       Spitzenvorhang sind die grünen Hügel des Voralpenlandes zu sehen. Im
       Gemeinschaftsraum läuft der Fernseher: heute mal Sat.1 statt, wie so oft,
       al-Dschasira.
       
       Der 28-jährige Ramez, der seinen Nachnamen lieber nicht in der Zeitung
       lesen möchte, sitzt in Jeans und Flipflops auf einer beigen Couch. „Uns
       gefällt es hier“, sagt er und schmunzelt, weil er weiß, dass diese Aussage
       überrascht.
       
       Hier, im oberbayerischen Bad Heilbrunn, Landkreis Bad Tölz, haben seit
       Dezember 18 Asylbewerber Zuflucht gefunden. Die meisten von ihnen stammen,
       wie Ramez, aus Aleppo in Syrien. Von dort kamen sie in den
       3.000-Einwohner-Ort, in dem der katholische Pfarrer fast jeden kennt, auf
       der Wiese vor dem Gemeindearchiv das Dorfwappen prangt und die Sparkasse
       eineinhalb Stunden Mittagspause hat.
       
       In seiner Heimat war Ramez Schreiner. Sein Alltag hier? „Kaffee trinken und
       warten“, sagt er. Seit Dezember wartet er auf den Bescheid der Asylbehörde,
       wie neben ihm derzeit rund 21 000 andere Menschen in Bayern. Erstmals seit
       den Neunzigerjahren ist die Zahl der Asylbewerber angestiegen. Nicht alle
       haben Platz in Gemeinschaftsunterkünften – daher sprießen „kleine
       Lösungen“, etwa in Pensionen.
       
       ## Keine Gemeinschaftsunterkunft für Ramez
       
       Ramez, seine Frau und ihr kleiner Sohn haben Glück gehabt – denn sie sind
       nicht, wie die Hälfte der Asylbewerber in Bayern, in einer der 131
       Gemeinschaftsunterkünfte untergebracht worden. Das sind oft ehemalige
       Kasernen am Stadtrand, in denen jeder Bewohner sieben Quadratmeter in
       Gemeinschaftszimmern zur Verfügung hat und Essen in Paketen ausgeteilt
       wird.
       
       In keinem anderen Bundesland wohnen so viele Asylbewerber in Lagern. Glaubt
       man Bayerns Sozialministerium, dann ist das nicht nur günstiger, sondern
       ermöglicht angeblich auch eine bessere Beratung und Betreuung. Und noch
       einen Vorteil hat diese Variante: die „Rückführung in das Heimatland“ wird
       gefördert, wie es in der Asyldurchführungsverordnung heißt.
       
       Ramez und seine Familie dagegen wohnen in einem Haus am Wiesenrand, das
       einst Feriengäste nutzten. Dabei war die Skepsis anfangs groß, als
       CSU-Bürgermeister Thomas Gründl verkündete, dass 20 Asylbewerber in den
       Kurort kommen würden. Gemeinsam mit dem katholischen Pfarrer besuchte er
       die Gäste am Tag nach ihrer Ankunft: „Ein bisschen Englisch, ein bisschen
       Hände und Füße“, so beschreibt er den ersten Kontakt – um zu „zeigen, wir
       sind für euch da“. Ganz einfach war die Eingewöhnung für beide Seiten
       nicht.
       
       Pfarrer Christian Hartl sitzt im Pfarrhaus und erzählt die Geschichte mit
       dem Christstollen. Kurz nachdem Ramez und die anderen angekommen waren,
       hatten wohlmeinende Nachbarn das Weihnachtsgebäck an die Tür gehängt. Weil
       die neuen Bewohner den Kuchen nicht kannten, landete er über Umwege beim
       Nachbarhund. „Das sorgte für Verstimmungen.“
       
       ## Regelmäßige Treffen
       
       Die Missverständnisse sind nun ausgeräumt. Denn die beiden Pfarrer und der
       Bürgermeister entschieden, sich alle vier Wochen mit Landratsmitarbeitern,
       den Asylbewerbern und hilfsbereiten Bürgern zu treffen. Ein
       palästinensischer Syrer, der seit 20 Jahren in Bad Tölz arbeitet, hilft zu
       übersetzen. Mittlerweile erteilt eine ehemalige Lehrerin den Flüchlingen
       zwei Mal in der Woche Deutschunterricht – „ab nächste Woche sogar dreimal“,
       freut sich Ramez.
       
       Eine Frau hat einen Fernseher vorbeigebracht, und der örtliche
       Burschenverein war im Januar mit vier der Männer wandern. Hinterher gab es
       ein Abendessen, bei dem die Helfer kurdische Gerichte serviert bekamen.
       „Das war zwar chaotisch, aber sehr positiv“, erinnert sich Elisabeth
       Feichtmair von karitativ-sozialen Arbeitskreis der Gemeinde. „Durch den
       runden Tisch haben Bürger und Flüchtlinge viel voneinander erfahren“, sagt
       Pfarrer Hartl. Er hat die Bedeutung von Schoko-Ostereiern erklärt und weiß
       jetzt, „dass es 20 Sorten Reis gibt“.
       
       Der Geistliche nennt das, was seine Mitbürger leisten, als
       Selbstverständlichkeit – und weiß doch, dass es keine ist. „Ich denke, es
       ist wichtig, dass der Bürgermeister, mein evangelischer Kollege und ich von
       Anfang an gesagt haben: Das sind Menschen in Not, da müssen wir helfen.“
       Einen politischen Anspruch weist er von sich. Durch sein Engagement aber
       stellt er die Gemeinschaftsunterkünfte in Frage.
       
       Das bayerische Sozialministerium hält zwar noch an ihnen fest. Doch das
       „Modell Bad Heilbrunn“ macht aber Schule. Alexander Thal vom Bayerischen
       Flüchtlingsrat sieht einen Trend: „Bei den Leuten ist angekommen, dass man
       nicht wie bisher weitermachen kann“, sagt er. Das Bewusstsein habe sich
       verändert; die Zahl der Bürger, die finden, dass Flüchtlinge anständig
       leben sollen, habe zugenommen. Und das hat Folgen: „Die Staatsregierung
       nimmt inzwischen öfters hin, dass die Lagerpflicht unterlaufen wird“, hat
       er bemerkt.
       
       4 May 2012
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Lea Hampel
       
       ## TAGS
       
   DIR Schwerpunkt Pegida
       
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