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       # taz.de -- Blogforscher über Bürgerjournalismus: „Geschlagen werden gehörte dazu“
       
       > Die Aktivisten von „Global Voices“ beobachten und dokumentieren
       > internationale Blogs. Der Leiter Ivan Sigal sprach auf der
       > Bloggerkonferenz re:publica über Internetzensur.
       
   IMG Bild: Die Blogger-Messe lädt zur Diskussion über Netzpolitik ein, so sprachen wir mit Ivan Sigal.
       
       taz: Herr Sigal, auf Global Voices werden Blogeinträge und Berichte von
       Bürgerjournalisten aus aller Welt zusammengetragen – vor allem aus
       Entwicklungsländern oder Nationen, die in den Nachrichten wenig präsent
       sind. Wie genau arbeiten Sie? 
       
       Ivan Sigal: Wir beobachten die Blogosphäre in ihren lokalen Sprachen, lesen
       und analysieren sie. Teile und Auszüge der interessantesten Berichte
       übersetzen wir in andere Sprachen – mit Hilfe unserer ehrenamtlichen
       Mitarbeiter. Und wir betten die Aussagen und lokalen Blogeinträge von
       Leuten aus bestimmten Regionen, in Geschichten ein – um sie auch für ein
       breiteres Publikum zugänglich zu machen.
       
       Was ist ihr Ziel? 
       
       Anfangs lag unser Fokus darauf, zu verändern, wie Entwicklungsländer durch
       die Art und Weise, wie über sie berichtet wurde, im Westen wahrgenommen
       wurden. Jetzt interessiert uns mindestens genauso sehr, Informationsflüsse
       in viele Länder sicherzustellen. Dafür zu sorgen, dass eine Nachricht aus
       Venezuela den Weg nach Madagaskar findet oder aus China es bis nach Ägypten
       schafft.
       
       Warum ist das für Sie von Bedeutung? 
       
       Darüber entscheiden die Leute, die bei uns freiwillige Arbeit leisten,
       nicht ich. Wenn sie etwas schreiben oder etwas übersetzen, dann ist es
       offensichtlich von Interesse – sonst würden sie es nicht tun.
       
       Viel Aufmerksamkeit hat Global Voices durch den arabischen Frühling
       erhalten. Der Internetforscher Evgeny Morozov warnt, dass das größere
       Gewicht von sozialen Netzwerken und Kommunikation via Internet zu
       verstärkter Internetzensur und -repression in autoritären Systemen führt. 
       
       Die Linse, durch die Evgeny das betrachtet, ist komplett verkehrt. Es geht
       nicht darum, das Internet als Subjekt zu betrachten und die Leute als
       Objekte. Sondern anders herum.
       
       Doch tatsächlich ist es für Menschen in vielen Teilen der Erde einfach
       gefährlicher geworden, online zu berichten. 
       
       Es gibt Leute, die bereit sind, ein Risiko einzugehen. Erinnern Sie sich an
       die Solidarnosc-Bewegung in Polen: Wenn Sie da nicht ins Gefängnis kamen,
       dann galten Sie gar nicht als echter Aktivist. Zusammengeschlagen werden
       gehörte einfach dazu. Woher kommt diese Bewertung her – und welches Recht
       habe ich, mir ein Urteil darüber zu erlauben? Mir geht es darum, dass die
       Leute, wenn sie ihre Entscheidungen treffen, so gut wie möglich über
       potentielle Konsequenzen informiert sind – und auf Basis dessen entscheiden
       können.
       
       Seit dem Arabischen Frühling hat sich auch die Wahrnehmung von
       Bürgerjournalisten durch die Massenmedien stark verändert – so ist es heute
       ganz selbstverständlich, dass Nachrichtensender Bildmaterial zeigen, das
       Amateure mit ihren Smartphones gefilmt haben. Eine positive Entwicklung? 
       
       Wenn es darum geht, dass ein Bewusstsein dafür geschaffen wird, wie man
       seine Nachrichtenquellen diversifiziert und sich darum kümmert, sie zu
       verifizieren – dann ist das sicher eine nützliche Entwicklung.
       Anzuerkennen, dass andere Stimmen eine wichtige Rolle spielen – besonders
       bei Augenzeugenberichten – das verändert sicherlich die Rolle des
       Journalisten. Wichtig ist es doch, zu merken, dass Journalisten in einigen
       Fällen nicht mehr die alleinigen Gatekeeper für bestimmte Informationen
       sind.
       
       Sie sagen ja auch: Von Occupy bis hin zu Anonymous ist derzeit erkennbar,
       dass die Menschen die Notwendigkeit von hierarchischen Strukturen ablehnen.
       Warum ist das derzeit so populär? 
       
       Weil uns die Technologie erlaubt, uns Ideen, die anderswo kursieren, zu
       eigen zu machen. Im digitalen Raum zählt Leistung, nicht Verhalten. Es ist
       völlig egal, ob Sie oder ich etwas tun – jemand tut es. Ich lerne von einer
       Idee, die sich durch einen Raum bewegt. Dieser Raum benötigt keine
       Führungspersönlichkeit, keine Hierarchie. Dieser Raum erfordert neue Formen
       der Beziehungen zu einander. Und das ist es, womit diese Gruppen spielen.
       
       4 May 2012
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Meike Laaff
       
       ## TAGS
       
   DIR Kapitalismuskritik
   DIR Schwerpunkt Syrien
       
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