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       # taz.de -- Film „Tomboy“: Sonnenlicht fließt durch die Bilder
       
       > Céline Sciammas Spielfilm „Tomboy“ erzählt von einem Mädchen, das so tut,
       > als sei es ein Junge. Es bleibt die Frage, warum Jungs
       > selbstverständlicher toben als Mädchen.
       
   IMG Bild: Das Drama hält sich in Grenzen in „Tomboy“.
       
       Das englische Wort tomboy bedeutet Wildfang. Es wird oft benutzt, um
       Mädchen zu bezeichnen, die wie Jungen aussehen und sich so verhalten.
       Laure, die Heldin in Céline Sciammas Film (Zoé Héran), ist zehn Jahre alt
       und tut nichts lieber, als Fußball zu spielen, zu raufen und das Auto zu
       lenken, während sie auf dem Schoß ihres Vaters sitzt.
       
       Sie hat kurze Haare, Röcke oder Kleider trägt sie nie, und bevor sie mit
       den anderen Kindern an den See geht, formt sie aus Knetmasse einen
       Penisersatz, den sie in ihre Badehose steckt. Während sie auf der Badeinsel
       mit den anderen balgt, schaut sie immer mal wieder ängstlich an sich
       herunter, ob auch nichts verrutscht ist. Wenn man sie fragt, wie sie heißt,
       sagt sie: Michael.
       
       Laures Familie ist gerade umgezogen. Mehrfamilienhäuser erstrecken sich auf
       Grünflächen, dahinter liegen Wald und Wiese und See, ein Paradies für
       Kinder, das die Kamerafrau Crystel Fornier mit dem Videomodus einer
       Fotokamera aufgezeichnet hat.
       
       Das Besondere an dieser Canon 7D ist, dass sie eine für eine Digitalkamera
       erstaunliche Tiefenschärfe erzielt und so sensibel auf Farben und Licht
       reagiert, dass der Film eine klare, kristalline Anmutung bekommt. Wenn das
       Sonnenlicht durch die Bilder fließt, ruft „Tomboy“ das Gefühl wach, das
       untrennbar mit den großen Ferien verbunden ist, ein Gefühl von
       Leichtigkeit, Nichtstun, Freiheit.
       
       ## Erstaunliche Tiefenschärfe
       
       Sciammas Film erklärt nicht groß, warum Laure Michael sein möchte, er
       registriert und beobachtet. Minimal psychologisch wird er höchstens da, wo
       er den Eindruck erweckt, der Vater behandele seine Tochter manchmal so, wie
       er einen Sohn behandeln würde.
       
       „Tomboy“ betreibt auch keinen queeren Aktivismus; der Film verwendet seine
       Energie nicht darauf, sich auf eine politisch verwertbare Weise gegen
       Rollenbilder und Zuschreibungen ins Zeug zu legen. Und während zum Beispiel
       in Alain Berliners „Ma vie en rose“ aus dem Jahr 1997 der kleine Held, der
       lieber ein Mädchen als ein Junge wäre, auf nichts als Unverständnis stößt,
       kann Laure auf eine wohlwollende, liebevolle Umgebung zählen.
       
       Sciamma hält die Engstirnigkeit der anderen Figuren in Grenzen – und damit
       auch das Drama. Doch die tolerante, lichte Stimmung macht den Schmerz nicht
       vergessen, der daher rührt, dass die Freiheit, sich zu balgen, zu toben,
       den Wald zu entdecken und Fußball zu spielen, nicht selbstverständlich ist,
       wenn man Laure statt Michael heißt.
       
       ## „Tomboy“. Regie: Céline Sciamma. Mit Zoé Héran, Malonn Lévana u. a.
       Frankreich 2011, 82 Min.
       
       2 May 2012
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Cristina Nord
       
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