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       # taz.de -- Schäden durch Pestizide: Insektengift greift Hirne Ungeborener an
       
       > US-Forscher haben herausgefunden, dass Pestizide noch viel schädlicher
       > sind als angenommen. Eine Studie zeigt, wie ein Insektengift die
       > Hirnentwicklung Ungeborener beeinträchtigt.
       
   IMG Bild: In Neu-Delhis Wohngegenden werden Moskitolarven mit Pestiziden totgesprüht.
       
       WASHINGTON dapd | Ein auch in Deutschland gängiges
       Schädlingsbekämpfungsmittel verursacht bleibende Schäden am Gehirn von
       Kindern im Mutterleib. Selbst bisher als ungiftig geltende Mengen des
       Insektizids Chlorpyrifos greifen bereits in die Gehirnentwicklung der
       Ungeborenen ein. Sie lassen wichtige Bereiche der Großhirnrinde schrumpfen
       und führen später zu spürbaren Einbußen in den geistigen Leistungen der
       Kinder, wie US-amerikanische Forscher im Fachmagazin Proceedings of the
       National Academy of Sciences berichten.
       
       Bereits zuvor hatten Studien Hinweise darauf gefunden, dass eine Belastung
       mit Pestiziden aus der Gruppe der Organophosphate die geistige Entwicklung
       von Kindern hemmen könnte. Welche spezifischen Veränderungen der
       Hirnstrukturen diese Mittel verursachen, habe man aber erst jetzt
       nachgewiesen, sagen die Forscher. In ihrer Studie hatten die
       Wissenschaftler 40 New Yorker Kinder über sechs bis elf Jahre hinweg
       untersucht, die im Mutterleib verschieden stark mit dem Insektizid
       Chlorpyrifos belastet waren.
       
       „Unsere Ergebnisse sind besorgniserregend“, schreiben Virginia Rauh von der
       Columbia University in New York und ihre Kollegen. Denn das Insektizid
       Chlorpyrifos werde in der Landwirtschaft weltweit noch immer häufig
       eingesetzt. In Deutschland wird Chlorpyrifos vor allem im Obst- und Weinbau
       verwendet, ist aber auch in frei erhältlichen Mitteln zur Bekämpfung von
       Schädlingen in Haus und Garten enthalten. „So einen Befund muss man daher
       schon ernst nehmen“, kommentierte Hans Drexler, Direktor des Instituts für
       Arbeits-, Sozial-, und Umweltmedizin der Universität Erlangen. Die
       Ergebnisse seien biologisch plausibel. Das Bundesverbraucherministerium
       wollte sich auf Anfrage der Nachrichtenagentur dapd zunächst nicht äußern.
       
       Viele schwangere Frauen und kleine Kinder in ländlichen Gebieten seien
       hohen Dosen dieses Mittels ausgesetzt, warnen Rauh und ihre Kollegen.
       Wahrscheinlich sei die Belastung bei ihnen sogar noch weit höher als bei
       den in dieser Studie untersuchten Stadtkindern. Über Pestizidreste auf
       landwirtschaftlichen Produkten gelange das schädliche Mittel aber auch in
       die Nahrung der breiten Bevölkerung. Die Ergebnisse hätten daher große
       Bedeutung für die öffentliche Gesundheit. Die bisher geltenden Grenzwerte,
       die nur auf der direkten Giftwirkung des Chlorpyrifos basieren, sind nach
       Ansicht der Wissenschaftler nicht ausreichend, um Kinder vor diesen
       Langzeitfolgen des Insektizids zu schützen.
       
       ## Signifikante Anomalien in wichtigen Gehirnbereichen
       
       „Wir haben bei den stärker belasteten Kindern signifikante Anomalien in der
       Hirnoberfläche gefunden“, berichten die Wissenschaftler. Besonders
       betroffen seien Gehirnregionen, die für Aufmerksamkeit, Emotionen,
       Impulskontrolle und soziale Beziehungen zuständig seien. Die Hirnrinde
       dieser Gebiete sei geschrumpft, die darunter liegende weiße Substanz
       dagegen erweitert.
       
       Zusätzlich veränderte das Insektizid auch geschlechtstypische Merkmale des
       Gehirns bei den Kindern, wie Rauh und ihre Kollegen berichten.
       Normalerweise sind bestimmte Bereiche im männlichen Gehirn stärker
       ausgeprägt, andere dagegen kleiner als beim weiblichen. „Diese
       Geschlechtsunterschiede waren bei den stärker belasteten Kindern genau
       umgekehrt ausgebildet“, sagen die Forscher. Das stimme mit Tierstudien
       überein, in denen das Chlorpyrifos bei Nagern die normalen
       Geschlechtsdifferenzen im Verhalten, Lernen und Gedächtnis aufhob.
       
       ## Die Belastung und ihre Folgen wurden vom Mutterleib an verfolgt
       
       Für ihre Studie hatten die Forscher die Entwicklung von 40 Kindern von vor
       der Geburt bis zum sechsten, teilweise bis zum elften Lebensjahr verfolgt.
       20 von ihnen waren im Mutterleib mit mehr als 4,39 Pikogramm Chlorpyrifos
       pro Gramm Blutserum belastet, die anderen 20 Kinder mit deutlich geringeren
       Mengen.
       
       Die Blutwerte bei den untersuchten Kindern seien damit eher noch
       unterdurchschnittlich, betonen die Forscher. Proben aus einer Blutbank in
       Cincinnati aus der gleichen Zeit hätten durchschnittliche Belastungen von
       9,9 Pikogramm pro Gramm Serum ergeben. Das sei rund doppelt so viel wie bei
       den meisten Kindern aus der Studie. Alle Kinder wurden im Laufe der Studie
       regelmäßig Standardtests ihrer geistigen Leistungen unterzogen. Außerdem
       analysierten die Forscher ihre Gehirnstruktur mit Hilfe der
       Magnetresonanztomografie.
       
       1 May 2012
       
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   DIR Schwerpunkt Pestizide
       
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