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       # taz.de -- Gewalt gegen Frauen in der Türkei: Neues Gesetz schützt nicht
       
       > Ayce Ince wollte sich scheiden lassen und wurde ermordet. Auch ein neues
       > Gesetz zum Schutz bedrohter Frauen konnte ihr nicht helfen.
       
   IMG Bild: „Die Liebe der Männer tötet uns“: Am Valentinstag demonstrierten Frauen in Istanbul.
       
       ISTANBUL taz | Bedrohte Frauen werden in der Türkei zu wenig geschützt –
       trotz neuer gesetzlicher Regelungen tun Staatsanwälte, Gerichte und
       Polizisten weiterhin zu wenig. Dies beklagt die türkische Frauenministerin
       Fatma Sahin.
       
       Anlass ist der Mord an der 34-jährigen Ayce Ince, die Anfang der Woche von
       ihrem Ehemann erstochen wurde. Ayce Ince wollte sich gegen den Willen ihres
       Mannes scheiden lassen. Weil dieser bereits gewalttätig geworden war, hatte
       sie schon vor Monaten Schutz bei der Polizei beantragt. Ein Gericht ordnete
       danach an, ihr Mann müsse sich von ihr fernhalten.
       
       Mehmet Ince hielt sich jedoch nicht daran, sondern griff seine Frau
       vergangene Woche bereits einmal an. Er wurde festgenommen, aber wenig
       später wieder freigelassen. Mehmet Ince nutzte dies, um seine Frau am
       Montag zu ermorden.
       
       Während einer Veranstaltung über „Gewaltverhütung und Schutz der Familie“
       griff Familienministerin Sahin die zuständigen Behörden daraufhin scharf
       an. Der Mord hätte nicht passieren dürfen, sagte sie vor einem Auditorium,
       in dem mehrheitlich Richter, Staatsanwälte und Polizisten saßen. „Jeder von
       uns muss sich fragen, warum dieser Mord nicht verhindert wurde.“
       
       ## 47 Frauenmorde seit Jahrebeginn
       
       Vor knapp zwei Monaten wurde in der Türkei ein neues Gesetz zur Bekämpfung
       von Gewalt gegen Frauen verabschiedet. Dieses Gesetz, so Sahin jetzt, „gibt
       jedem Staatsanwalt und jedem Polizisten alle rechtlichen Möglichkeiten, um
       Frauen, die von ihren Männern, ihren ehemaligen Ehemännern oder anderen
       Verwandten bedroht werden, wirksam zu schützen“. Sahin kündigte an, zu
       prüfen, ob der zuständige Staatsanwalt und die Polizisten im Fall Ayse Ince
       für ihr Versagen belangt werden können.
       
       Nach Zahlen der Medien-NGO Bianet geht das Morden von Frauen trotz des
       neuen Gesetzes fast ungebremst weiter. Allein in den ersten drei Monaten
       dieses Jahres sind nach Angaben von Bianet bereits 47 Frauen von ihren
       Männern oder früheren Ehemännern ermordet worden.
       
       Dabei sollte das neue Gesetz endlich Frauen, die von ihren Angehörigen
       bedrohte werden, wirksam schützen. Erstmals schrieb das Gesetz vor, dass
       nicht nur verheiratete, sondern auch verlobte Frauen und solche, die mit
       ihrem Freund zusammenleben, geschützt werden müssen. Für bedrohte Frauen
       wurde ein besonderes Schutzprogramm eingeführt. So sieht das Gesetz vor,
       dass der Staat nicht nur Frauenhäuser einrichten muss, sondern im
       Extremfall für die Frauen auch eine neue Identität und einen Neuanfang in
       einer anderen Stadt ermöglichen muss.
       
       Schon bei der Verabschiedung des Gesetzes wurde vielfach darauf
       hingewiesen, dass die wichtigste Voraussetzung für den Schutz von Frauen
       eine Änderung der Mentalität bei Polizei und Justiz ist. Noch immer
       behandeln Polizei und Staatsanwälte Fälle von häuslicher Gewalt als
       Bagatellgeschichten und schicken Frauen wieder nach Hause. Daran wird sich
       vermutlich trotz der Drohungen von Familienministerin Fatma Sahin so bald
       nichts Grundlegendes ändern.
       
       26 Apr 2012
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jürgen Gottschlich
       
       ## TAGS
       
   DIR Schwerpunkt Türkei
   DIR Frauenmord
       
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