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       # taz.de -- Anti-AKW-Veteran erhält Recht: Ende der Bremer Doktorspiele
       
       > Das Verwaltungsgericht wirft der Bremer Uni vor, sie habe die Promotion
       > von Holger Strohm ohne Grund blockiert. Nun muss sie ihm wohl den
       > Doktorgrad verleihen.
       
   IMG Bild: Wird wohl im Rentenalter doch noch Doktor: Holger Strohm, 69, Vordenker der Anti-AKW-Bewegung.
       
       BREMEN taz | Die Bremer Uni wird Holger Strohm den Doktorgrad verleihen
       müssen. In der anderthalbstündigen Verhandlung ließ die sechste Kammer des
       Verwaltungsgerichts am Dienstag keinen Zweifel daran, dass der
       „Promotions-Ausschuss Dr.phil.“ das 2002 begonnene Promotionsverfahren des
       politischen Publizisten aus Mölln willkürlich verzögert hat, um es
       schließlich, nach erfolgreicher Prüfung seiner Dissertation über Gewalt von
       Lehrern gegen Schüler, zu torpedieren (taz berichtete). Der 69-jährige
       Strohm ist der wohl wichtigste Impulsgeber der deutschen
       Anti-Atomkraft-Bewegung und einer der Väter des politischen
       Umweltschutz-Gedankens (siehe Kasten).
       
       Als „menschenverachtend“ hatte der ehemalige Hamburger Verfassungsrichter
       Harald Falckenberg den Umgang der Bremer Uni-Verwaltung mit Strohm
       bezeichnet: Die Akten zeichneten das Bild eines „einzigartigen Falls
       schikanösen Verhaltens“. Das Gericht kam im Kern zur gleichen Bewertung: Es
       ziehe sich, so das Resümee der Kammer, „eine Abwehrhaltung durchs
       Verfahren“.
       
       Dabei habe sich der nur für formale Fragen zuständige Ausschuss mehrmals
       widerrechtlich in die fachlich-inhaltlichen Bereiche eingemischt.
       Andererseits habe der Ausschuss gegenüber der von ihm selbst mit der
       fachlichen Prüfung betrauten Experten-Kommission „keine klare Linie
       verfolgt“. Jedes Mal, wenn die Kommission eine der Ausschuss-Fragen
       beantwortet hatte, sei „plötzlich der nächste Punkt aufgetaucht“, schildert
       Richter Rainer Vosteen den Ablauf: „Es wirkt, als hätte man so lange
       gefragt, bis man die erwartete Antwort bekommt.“ Eine nämlich, aus der man
       einen tragfähigen Ablehnungsgrund hätte konstruieren können.
       
       Besonders deutlich wird das in den Beschlüssen des Jahres 2009: Noch im
       Februar befindet der Prüfungsausschuss, dass den Gutachtern keinesfalls
       Befangenheit unterstellt werden könne. Zwei Monate später kassiert er dann
       das ganze Verfahren – weil die Professoren Bodo Voigt und Johannes Beck
       befangen gewesen wären. „Blödsinn“, sagt Erstgutachter Beck, der als
       Zuschauer zur Verhandlung gekommen ist, der taz. „Wir kannten Holger Strohm
       ja vorher gar nicht persönlich.“ Nur als Publizisten – wie fast jeder, der
       die 1980er Jahre als politisch denkender Mensch erlebt hat. Und obwohl sich
       Uni-Justitiarin Petra Banik redlich müht – auch nach ihrem Vortrag kann das
       Gericht „keinen Anhaltspunkt für Befangenheit“ entdecken. „Hier verteidigt
       das Verwaltungsgericht die Wissenschaftsfreiheit gegen die Uni“,
       kommentiert Beck.
       
       Warum der Ausschuss das Verfahren blockiert hat, wird sich wohl nicht
       klären lassen: Vielleicht verbirgt sich ein Streit um die akademische
       Richtung dahinter, ein Methodenstreit. Vielleicht bot auch die recht
       wildwüchsige Dissertation willkommene Gelegenheit, alte Rechnungen zu
       begleichen. Jedenfalls gehören die Gutachter Beck und Voigt zur Generation
       der Uni-Gründer, die manche gerne getilgt sähen. Dass es darum ging, das
       Thema Lehrergewalt zu verhindern, vermutet Strohm. „Diese permanente
       Menschenrechtsverletzung“, sagt er, „kommt mir nach wie vor zu kurz.“
       
       Wer die Akten durchforstet, entdeckt, dass sich die geradezu hysterische
       Abwehrhaltung des Ausschusses am Namen Strohm und seinem Ansehen entzündet
       – und zwar nach dem öffentlichen Examenskolloquium. Damals hatte ein
       inzwischen verstorbenes Prüfungsausschussmitglied den alten Recken
       gegoogelt und war darauf gestoßen, dass manche ihn wie einen Heiligen
       verehren – und dass Strohm, den Energiewirtschaft und Verfassungsschutz
       seit Ende der 1970er wegen seiner Schriften drangsalierten, einen Hang zu
       Verschwörungstheorien hat.
       
       Das Mitglied lässt prüfen, ob nicht die Zulassung zur Promotion von 2002
       noch rückgängig zu machen ist. Nein, sagt schon damals die Rechtsabteilung
       der Uni. Am Dienstag bringt Justitiarin Banik die Frage ganz zum Schluss
       doch noch mal aufs Tapet. Sie will nichts unversucht lassen. „Also nein“,
       sagt da Richter Hartmut Hülle, und klingt fast ärgerlich, „die Zulassung
       hat wirklich Bestandskraft.“
       
       25 Apr 2012
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Benno Schirrmeister
       
       ## TAGS
       
   DIR Anti-AKW-Proteste
   DIR Nazis
       
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