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       # taz.de -- Verantwortungslose Politik bleibt ungesühnt: Schuld ist Islands Landesbank
       
       > Islands Expremier Haarde wird für seine mangelhafte Informations-politik
       > vor dem Finanzcrash 2008 nicht bestraft. Das Verfahren vor einem
       > Sondergericht endete glimpflich.
       
   IMG Bild: Der ehemalige isländische Regierungschef Geir Haarde hat in der Bankenkrise zwar gegen die Verfassung verstoßen, bleibt aber straffrei.
       
       STOCKHOLM taz | Islands Exministerpräsident Geir Haarde hat sein Kabinett
       im Jahr 2008, in den letzten Monaten vor dem Crash, unzureichend über die
       gefährliche Lage auf dem Finanzmarkt informiert und damit gegen die
       Verfassung verstoßen. Strafbar war das aber nicht, weil der Zusammenbruch
       der Banken damals nicht mehr hätte vermieden werden können.
       
       Mit dieser folgenlosen Verurteilung in dem einen und Freispruch in vier
       weiteren Anklagepunkten endete am späten Montag in Reykjavik ein einmaliger
       Prozess: Es ging um die Frage, ob ein Politiker wegen seiner politischen
       Entscheidungen juristisch zur Verantwortung gezogen werden kann.
       
       Das Verfahren fand vor einem Sondergericht statt, das erstmals in der
       Geschichte des Landes einberufen worden war. Nach einem mehr als 100 Jahre
       alten Gesetz drohte Haarde eine Haftstrafe von bis zu zwei Jahren. Dass der
       Expremier straffrei ausging, liegt zum einen daran, dass die Anklage trotz
       ihres Umfangs von 4.000 Seiten in der zentralen Frage zu unklar geblieben
       war: Was genau hätte die Regierung zu welchem Zeitpunkt anders machen
       müssen?
       
       Zum anderen hatte sich die Staatsanwaltschaft auf einen zu engen Zeitraum
       beschränkt. Wenn überhaupt, hätte man das Ruder im Sommer 2007 noch
       herumreißen können, meinten die Richter. Damals gab es erste Warnungen vor
       einem Platzen der Kreditblase der isländischen Banken.
       
       ## Es gab keine entsprechende Finanzaufsicht
       
       Und die neue Regierungskoalition aus der Selbstständigkeitspartei von Geir
       Haarde und den Sozialdemokraten hätte die Möglichkeit gehabt, die
       Liberalisierungspolitik umzusteuern, unter der der isländische Finanzsektor
       massiv expandiert war, ohne dass es eine entsprechende Finanzaufsicht
       gegeben hätte. Im Jahr 2008 sei es dazu zu spät gewesen.
       
       Die eigentliche Schuld verortet das Gericht in seinem 415-seitigen Urteil
       nicht bei der Politik, sondern bei der Zentralbank des Landes. Diese habe
       versäumt, die bei ihr einlaufenden Informationen über die beunruhigende
       Lage der isländischen Banken an die Regierung weiterzugeben.
       
       Während einzelne Demonstranten mit Trillerpfeifen vor dem Kulturhaus
       protestierten, in dem der Prozess stattfand, bezeichnete Haarde das
       Verfahren und das Urteil als „komisch und absurd“. Er hatte von Anfang an
       von einem „parteipolitischen Winkelspiel“ gesprochen, weil er als einziger
       von allen potenziell politisch Verantwortlichen vor Gericht gestellt wurde.
       
       ## „Nie Raum für eine Anklage“
       
       Selbst den Verfassungsverstoß hätten die Richter nun konstruieren müssen,
       um nicht zugestehen zu müssen, dass das Verfahren unmotiviert gewesen sei,
       sagte Haarde, der sich vorbehielt, den europäischen
       Menschenrechtsgerichtshof anzurufen.
       
       Ministerpräsidentin Jóhanna Siguršardóttir nannte das Urteil
       „erwartungsgemäß“: Sie persönlich habe „nie Raum für eine Anklage“ gegen
       Haarde gesehen. Birgitta Jónsdóttir, Parlamentsabgeordnete der
       linksunabhängigen Bewegung, erwartet, dass das Verfahren trotz des
       weitgehenden Freispruchs einen Effekt haben wird: „Ich kann mir vorstellen,
       dass Minister daraus lernen und in Zukunft verantwortungsbewusster sein
       werden.“
       
       25 Apr 2012
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Reinhard Wolff
       
       ## TAGS
       
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   DIR Island
       
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