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       # taz.de -- „Grüne Intelligenz" auf der Hannover Messe: Holzcomputer und Bioplastik
       
       > Die weltgrößte Industrieschau setzt auf grüne Technologien. Unter dem
       > Leitthema „Green Intelligence“ werden ressourcenarme Häuser gezeigt – und
       > auch ein roter Lippenstiftfarbstoff.
       
   IMG Bild: Holzgehäuse: Todschick und total PC.
       
       HANNOVER taz | In grünem Gewand zeigt sich die Industrie in diesen Tagen
       auf der Hannover Messe. Noch bis Freitag präsentieren knapp 5.000
       Aussteller aus 69 Ländern auf der weltgrößten Industrieschau ihre
       Technologien und Produkte zur nachhaltigen Energieerzeugung – ganz gemäß
       des diesjährigen Leitthemas der Messe, „Green Intelligence“. Zugleich
       zeigen Hochschulen und Forschungseinrichtungen, welche Entwicklungen bei
       Umwelt- und Klimaschutz noch möglich sind.
       
       Einen Ausstellerzuwachs von acht Prozent verzeichnet die Messe im ersten
       Jahr nach dem schwarz-gelben Atomausstiegsbeschluss. Die Energiewende sei
       für die Industrie „eindeutig ein Investitionsprogramm“, ist dann auch das
       klare Signal, das Thomas Lindner, Präsident des Verbands Deutscher
       Maschinen- und Anlagenbau (VDMA) gleich zum Auftakt in Hannover setzt. Dort
       zeigt sich die Branche zuversichtlich: Trotz eines Auftragseinbruchs zu
       Jahresbeginn rechnet der VDMA für 2012 mit anziehender Konjunktur.
       
       Für Missstimmung bei einigen Ausstellern sorgt lediglich, dass China als
       Partnerland der Messe auftritt und sich als ernstzunehmender Konkurrent in
       Sachen Elektromobilität, Windenergie und ressourcenschonender
       Produktionstechnik präsentieren kann. Die Ankündigung von Chinas
       Premierminister Wen Jiabao, man wolle sich für einen besseren Schutz
       geistigen Eigentums einsetzen und bis 2015 das Handelsvolumen mit
       Deutschland verdoppeln, stößt da auf offene Ohren.
       
       Dass grüne Technologien weltweit immer mehr zum existenziellen Interesse
       der Industrie werden, hoffen unterdessen die Forschungseinrichtungen, die
       ihre Entwicklungen in Hannover zeigen. Allein die Fraunhofer-Gesellschaft
       ist mit sechs Ständen vertreten.
       
       „Bei unserer hohen Abhängigkeit von der Wirtschaft“, sagt deren Präsident
       Hans-Jörg Bullinger, „überlegt man immer, ob man mit seinen Themen Aufträge
       bekommt.“ Mit einem „Haus der Nachhaltigkeit“ zeigt die Organisation, die
       sich zu einem Drittel mit staatlichen, ansonsten mit Geldern aus der
       Wirtschaft finanziert, an ihrem Hauptstand ihre Vision einer „lebenswerten
       Zukunft“, wie es Bullinger formuliert.
       
       ## Akzeptierte Biokunststoffe
       
       In der Küche Putzmittel mit Tensiden, die statt aus Erdöl aus
       nachwachsenden Pflanzenölen und -zucker gewonnen werden. Das Besteck ist
       ebenso aus Biokunststoff, der aus Cellulose hergestellt wird, wie die
       Hüllen der Kugelschreiber im Arbeitszimmer. Weltweit, führt Bullinger an,
       werden im Jahr 2015 etwa 1,7 Millionen Tonnen Kunststoff aus nachwachsenden
       Rohstoffen hergestellt werden.
       
       „Das ist natürlich wenig“, sagt er, „zeigt aber, dass Bedarf und Akzeptanz
       vorhanden sind.“ Im Wohnzimmer steht der Öko-Computer „imameco“: Das
       Gehäuse ist aus Holz, insgesamt sind 98 Prozent der Materialien
       recyclingfähig.
       
       Regenwasser fürs Bad wird in einer Anlage im Garten aufbereitet. Die
       Toilette ist Teil einer Vakkuumanlage und verbraucht statt vier bis acht
       maximal einen Liter pro Spülung. In Bioreaktoren wird das Abwasser
       biologisch gereinigt, organische Bestandteile werden zu Biogas und Dünger
       verarbeitet. Der Lippenstift neben den Waschbecken ist mit einem Farbstoff
       aus Algen rot gefärbt.
       
       Die könnten laut Fraunhofer-Gesellschaft ohnehin zum wichtigen Grundstoff
       einer „grünen Chemie“ werden: Algen liefern nicht nur Farbstoffe und
       Fettsäuren, sie produzieren auch Öle, die als Biokraftstoff genutzt werden
       können. Algenrestmasse eignet sich für Biogasanlagen – und steht im
       Gegensatz zu Mais nicht in Konkurrenz zu Nahrungsmitteln. Schwindende
       Ressourcen, sagt Präsident Bullinger, seien angesichts dieser Entwicklungen
       „nicht schicksalhaft“. Ein Großteil der Technologien sei fertig entwickelt
       – die Industrie müsse sie nur aufgreifen.
       
       24 Apr 2012
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Teresa Havlicek
   DIR Teresa Havlicek
       
       ## TAGS
       
   DIR Schwerpunkt Klimawandel
       
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