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       # taz.de -- Kolumne Bio: Die neue Pille für die Ausgebrannten
       
       > Manche denken beim „Guten Leben“ nur noch ihren eigenen Bauch – das gute
       > Essen, Yogakurs, Innerlichkeit. Der Begriff ist zum Fetisch geworden. Und
       > das Erbe von Petra Kelly wird beschmutzt.
       
       Gestern habe ich das letzte Möbelstück aufgestellt. Die Anleitung –
       unverständlich kleinteilig – verursachte permanenten Stress. Stundenlang
       kämpfte ich mit dem Schuhschrank, doch nun ist er an drei Ecken fixiert.
       Endlich: Die Module meines Lebens sind fertig. Farbschema A, Stimmung B,
       Bild C, Musik D – alles perfekt angerichtet.
       
       Das gute Leben! Wie ein Fisch im Wasser kann ich mich in meinem neuen
       Zimmer fühlen und mich freuen. Nur der Weg in den Ostflügel, in dem sich
       die Küche befindet, der ist nun weiter geworden.
       
       Aber das gute Leben ist ja nicht nur „das gute Essen“. Wäre ja schön
       einfach: Wir essen alle gutes Essen und retten damit die Welt! Esst, was
       euch schmeckt, seid glücklich und erlöset die Menschheit in
       glückselig-einiger Sattheit! Das wäre schon mal was; allein, man ist sich
       ja nicht mal einig, was überhaupt „gutes Essen“ sein soll. Außerdem
       verhindert das Wirtschaftssystem oder irgendeine andere böse Macht, dass
       Alle gutes Essen haben. Schlimm!
       
       Rainald Grebe sang: [1][„Da steht das gute Leben vor dem Kühlregal“] - und
       macht sich damit über die Umdefinierung des Begriffs in manchen Öko-Kreisen
       lustig. [2][Laut taz bzw. Marieluise Beck von den Grünen konnte
       Partei-Ikone Petra Kelly] nicht gut gelebt haben, denn sie ernährte sich ja
       „von Käsekuchen und Cola“. Sie war „oft gehetzt“, nervte also ihr Umfeld -
       wahrscheinlich mit Gedanken über Politik.
       
       Vielleicht ist diese Fetischisierung des guten Lebens eine gemütliche Pille
       für Ausgebrannte auf der Suche nach neuen Erfahrungen. Die sitzen dann beim
       tazKongress im Kretschmann-Panel, lachen bei debilen Witzen über den
       Länderfinanzausgleich, und glauben, dass Kinder in der Schule heute
       wirklich lernen müssen, wie man über ein iPad wischt.
       
       Kinder und Erwachsene müssen heute lernen, was unsere Computerwelt
       zusammenhält. Da hilft es mehr, sich für seinen Computer zu interessieren,
       Informationen zu googeln, in der Wikipedia zu lesen, mal einen Text ins
       Internet zu schreiben oder Programmiersprachen zu lernen. Die Piratenpartei
       könnte das rüberbringen. Wenn Christopher Lauer von den Piraten wie beim
       taz-Kongress auf seinem Handy spielt, während er in Diskussionsrunden
       sitzt, zeigt er vielleicht genau das: Dezentralität, andere Arbeitswelten,
       die Auflösung von Strukturen, Kontinuumzeit, Freude am Defragmentieren.
       Warum nicht so?
       
       Aber das nur nebenbei. Ich schweife ab – und es war ja auch nicht alles
       schlecht beim taz-Kongress. Für mich selbst war es sogar das pure gute
       Leben: Zuerst machte ich eine unverständliche Banner-Aktion. Hing mit den
       Onlinern rum. Später traf ich Christian Ströbele, der mir auf mein
       grimmiges „Na, wie findst du‘s hier mit den ganzen Ökos?“ ein relaxtes „das
       ist Familientreffen hier“ entgegensetzte. Das machte mich glücklich. Abends
       trank ich viele Biere und verkleidete mich als Eule.
       
       Schuhu! Be what you want. Oder eben, klassisch: Her mit dem schönen Leben!
       
       24 Apr 2012
       
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