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       # taz.de -- „Die Türen“ in Berlin: Klugscheisser mit Keule
       
       > Koketterie, Larmoyanz und der Sound der neuen deutschen Welle: Beim
       > Konzert der Türen im Festsaal Kreuzberg erklärt ein Mann mit
       > Geheimratsecken ironisch die Welt.
       
   IMG Bild: Wir sind gekommen um zu kokettieren: Die Türen.
       
       „Das Gegenteil von gut ist gut gelaunt“, singen Die Türen relativ zu Anfang
       ihres Konzerts im Berliner Festsaal Kreuzberg. Bei vollem Saal, mit derlei
       Weisheiten und so richtig guter schlechter Laune ausgestattet, sollte
       eigentlich nichts schiefgehen: Das neue Türen-Album
       „Abcdefghijklmnopqrstuvwxyz“ ist hochgelobt und ziemlich witzig, das
       Mick-Jagger-Dance-alike-Video auch und sowohl das Label Staatsakt als auch
       das Publikum lässig.
       
       Aber irgendwie hat es schon genervt, dass man als Erstes, noch bevor der
       erste Ton erklingt, von der Band zugetextet wird. Man solle jetzt immer
       „Rentner und Studenten“ singen, also auch dann, wenn man es vergisst und
       so, blabla. Und auch wenn außer dem Sänger Maurice Summen danach kein
       anderes Bandmitglied mehr etwas sagt, sondern alle prima spielen, sabbelt
       Summen in den Songtexten derart repetitiv und naseweis vor sich hin, dass
       es schnell ziemlich aggressiv macht.
       
       Was auf der Platte lustig und klug-charmant rüberkommt, ist live echt
       schwer auszuhalten, auch wenn die Musik ganz gut ist. Es ist Musik, die zum
       Nachdenken inspirieren kann, aber nicht muss. Es wird wenig gereimt, und es
       gibt keine Lieder über die Liebe, das ist doch mal erfrischend.
       
       Dafür sieht man auf dem Konzert aber stundenlang einen Mann mit schütterem
       Haar, der einem die Welt erklärt. Das braucht doch kein Mensch, nicht auch
       noch in der Musik. Und dann versteht man es nicht einmal. „Don’t Google
       yourself“, wird einem geheißen. Ja, aber warum denn nicht?
       
       Das aufzuklären ist offenbar unter der Würde des ironischen Klugscheißers
       mit den Geheimratsecken. Wenn er sagen würde, er googelt sich nicht, dann
       wäre das ja sein gutes Recht, man könnte überlegen, ob man sich dieser
       Haltung anschließen möchte. Stattdessen wiederholt er andere subtile
       Parolen wie „Planet Pluto muss zum Arbeitsamt“ und „Die Welt ist schlecht“
       oder, am allerliebsten „Wer hat gesagt das schmeckt mir nicht?“.
       
       Fast wünscht man sich die soeben aufgelöste Band Wir sind Helden zurück,
       die uns Anfang des Jahrtausends poppig-kritisch mit der Keule, aber
       zumindest ironiefrei wissen ließen, dass unser aller Leben nur dann nicht
       zwickt und drückt, wenn man sich bückt. Guten Tag!
       
       ## Nein, meine Suppe ess ich nicht
       
       „Wer hat gesagt, das schmeckt mir nicht“, grölt der ganze Saal mit,
       Jutebeutel werden geschwenkt und Köpfe gewippt, massig Beck’s und Club Mate
       in gut zwei Stunden Konzert verschluckt. Zwischen 20 und 60 Jahren ist
       altersmäßig alles vertreten, die meisten liegen genau dazwischen.
       
       Und noch einmal: „Wer hat gesagt, das schmeckt mir nicht“ – das hat schon
       etwas von Grips Kindertheater, dem es finanziell gerade leider gar nicht
       gut geht. Hihi, meine Suppe ess ich nicht, die soll jemand anderer
       auslöffeln. Da bleibt einem die versalzene Suppe im Hals stecken.
       
       Koketterie, Larmoyanz und das Zitat- und Verweisspiel, dazu der Sound der
       neuen deutschen Welle und den derzeitigen deutschen Musik-Superman Andreas
       Spechtl an der Gitarre – Die Türen haben gar nichts falsch gemacht und sind
       doch in ihrer Selbstgefälligkeit so last century, dass es keinen Spaß
       macht, ihnen zuzuhören. Aber auch darauf haben die weisen Männer eine
       Antwort: „Spaß macht mir keine Freude“ zum Beispiel. Oder, noch besser:
       „Alles nicht so schlimm“.
       
       16 Apr 2012
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Julia Niemann
       
       ## TAGS
       
   DIR Musik
       
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