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       # taz.de -- Flüchtlingsband geht auf Tour: Coming to dabadabadab
       
       > Flüchtlinge proben den Aufstand. „The Refugees“ wollen zeigen, welche
       > Talente in den Flüchtlingsheimen versauern, wenn sie nicht gleich
       > abgeschoben werden.
       
   IMG Bild: Der Asylantrag von Sam, der in Reutlingen im Lager lebt, wurde abgelehnt. Er ist geduldet.
       
       HAMBURG taz | Schwarze Strichmännchen, „BRING DEN MÜLL RAUS!“ in Rot an der
       Wand: geiles Treppenhaus. Und wenn einer versuchen wollte, Putz malerisch
       abblättern zu lassen – so müsste man’s machen (würde es aber nicht
       hinbekommen). Dann steht da plötzlich: „Müll hier“, roter Pfeil. So viel
       steht mal fest: In dem Haus sind sie sich, was die Entsorgung angeht, nicht
       einig.
       
       Mit jeder Stufe die Treppe hoch, wird „dadadadadamm“ lauter. Das
       Musikstudio gehört Bente Faust und heißt „Off Ya Tree“. Es ist in der
       Moorfleeter Straße in Hamburg, wir mussten um ein paar Ecken rum, und wenn
       dann keiner aus dem Fenster winkt, findet man’s nicht. Heute Abend nimmt
       Faust nicht die übliche Miete. Nicht von Heinz „Ratte“ Ratz und den
       Refugees. Die nicht nur so heißen.
       
       Faust hat auch mal ganz auf seine Miete verzichtet, als Yohannes,
       Saxofonist aus Äthiopien, nicht kam, trotz Zugticket. Weil ihn die
       bayerische Polizei auf dem Münchner Bahnhof so lange kontrollierte, bis der
       Zug weg war. Ratz hatte Yohannes ein Zugticket mit Zugbindung gekauft. In
       Hamburg saßen sie im Studio, in München saß Yohannes mit seinem Saxofon.
       Musste Ratz noch ein Ticket kaufen.
       
       Mit Flüchtlingen zu musizieren ist eine Herausforderung. Am Klavier sitzt
       Enno, am Schlagzeug Basti, die gehören zu Ratz’ Band „Strom & Wasser“. Sam
       trommelt, und Hossain singt. Ratz, 43, Musiker, Schriftsteller, Sportler,
       der in Kiel lebt, hat 2010 im Rahmen einer elend langen Radtour 80 deutsche
       Flüchtlingslager besucht. Er war „erschüttert“, er hat „so viele
       schreckliche Dinge gesehen“, dass er „am Ende was Schönes machen wollte“.
       Musik.
       
       In den Lagern sitzen Musiker, die aus Ländern mit totalitären Regimen
       abgehauen sind. Sitzen jahrelang da, ohne Instrumente. Haben Klänge nur im
       Kopf und die können nicht raus. „Da geht tolle Musik verloren“, sagte sich
       Ratz. Und änderte das. So entstand „Strom & Wasser feat. The Refugees“. Die
       Refugees, da fast alles Solomusiker, brauchten eine Begleitband, dafür
       halten Enno, Basti und Heinz her, der Bass spielt.
       
       ## Geld dürfen sie nicht kriegen
       
       Heute proben sie hier im „Off Ya Tree“, um eine CD aufzunehmen. Sie sind
       fast fertig, bald gehen sie auf Tour. Heute, Donnerstag, erster Auftritt in
       Osnabrück im Theater. Um zu touren, braucht Ratz für jeden Flüchtling eine
       Genehmigung der zuständigen Ausländerbehörde. Es gibt Behörden, von denen
       kriegt Ratz nie eine Antwort auf seine Anfragen. Es gibt Behörden, die
       lehnen sie ab, andere genehmigen mit Auflagen.
       
       „Die Route ist vorgeschrieben und das Datum, wann der Flüchtling wieder
       zurück sein muss“, sagt Ratz. Da darf man keinen Fehler machen, sonst war
       diese Genehmigung die letzte. Geld dürfen die Flüchtlinge nicht bekommen,
       sonst machen sie sich strafbar, und dann können sie ihren Asylantrag
       vergessen. Sie sollen mit den 40 Euro Bargeld, die es in den meisten
       Bundesländern gibt, nicht auskommen. Darum geht’s ja.
       
       „Ahijawoh“, kommt es aus dem Studio. Und dann groovt es. Die meisten Songs
       entstehen im Studio, ein paar bringen die Flüchtlinge mit. In Osnabrück
       sollen sechs Refugees auf der Bühne stehen, beim Folk Baltica-Festival in
       Grasten (Dänemark) am 12. Mai elf. Die Flüchtlinge haben Angst, dass
       Deutschland sie gerne rauslässt. Aber nie wieder rein.
       
       Sam, 29, aus Gambia, singt „ahijawoh“, und wenn er eine zweite Stimme
       braucht, macht das Hossain, 17, in Afghanistan geboren, dann in den Iran
       geflohen, seitdem auf der Flucht. Wann Enno einsteigen soll und wann Heinz
       aus, sagt Sam mit den Augen. Oder mit den Fingern, die er eigentlich fürs
       Trommeln braucht. Nur im Notfall Sprache.
       
       ## Maybe a little bit Pause
       
       Ratz wollte mal Roma nach Hamburg einladen, um mit ihm zu musizieren. Als
       er anrief, waren sie schon abgeschoben. Sieben Flüchtlinge, die er auf
       seiner Reise durch die Lager kennen lernte, haben sich umgebracht. Ratz
       sieht Band und CD als „politische Arbeit“: „Die Leute sollen merken, was
       wir den Flüchtlingen in den Lagern antun.“ Ratz sammelt Instrumente, die er
       in die Lager bringt , [1][er braucht Sponsoren]. Einfach geht nur die
       Musik.
       
       Wie soll der Song mit dem „ahijawoh“ enden? Vielleicht so, schlägt Enno
       vor, dann perlt was aus dem Klavier, hm, oder besser so? Noch ein paar
       Perlen. „Ahjoh“, das ist schwer. Sam spielt was, und „dann maybe a little
       bit Pause“, sagt er, und dann so weiter: „Ahehehehejo“, nein, zu viele
       „hes“. Vielleicht zwei statt vier? Hossain singt zwei „hehes“, findet vier
       aber besser. Hm. Und Enno sagt, dass das doch immer vier „hehehehes“ waren.
       „Ja“, nickt Sam, „in der Mitte“, aber doch nicht am Schluss des Songs.
       „Ah“, sagt Enno. Hm. „Ahjaho?“, wie klingt das?
       
       Also pass auf, wenn „ich mit meiner Stimme das mache, dann ist das the sign
       that we are coming to dabadabadab. Alles klar?“, fragt Sam. Enno, Basti und
       Heinz, der, wenn er sich konzentriert, rote Ohren und Wangen bekommt,
       nicken. Wenn Basti dann immer auf „jo“ laut wird und Heinz den Einsatz
       nicht verpasst, wird’s gut. Sam schwitzt ein bisschen. Nun der zweite Song,
       viel Solo für Sam.
       
       Hossain macht Pause. Schicker Gürtel, weiß, mit einem silbernen
       Dollarzeichen, den er da trägt. Aus dem Iran floh Hossain, weil es den
       dorthin geflohenen Afghanen nicht gut geht und weil die dort nichts für
       Hiphop übrig haben und sein Stiefvater nichts für Hiphop übrig hat und ihn
       aus ihrem Haus in Isfahan warf und weil er in Teheran im Gefängnis saß und
       weil sie ihn dort verprügelt haben. Hiphop ist wichtig, ist sein Ding.
       
       ## Warten auf die Anhörung
       
       Hossain lebte drei Monate in der Türkei, arbeitete dort als Tellerwäscher,
       floh nach Griechenland, mit dem Schiff, weil ihm jemand sagte, in
       Griechenland sei es besser und die Überfahrt kein Problem. „Auf dem Schiff
       starben acht Menschen: fünf Frauen, zwei Kinder und ein Mann“, sagt er,
       weil sie länger dauerte als geplant. In Griechenland, sagt er, war es
       schlimm: „Zu viele Flüchtlinge.“ In Griechenland sagten die Behörden zu
       ihm: „Du bis 16, du kannst nicht hier bleiben, du bist zu jung.“ Er hat im
       Park geschlafen, für Touristen Mundharmonika gespielt. „Nur die Touristen“,
       sagt er, „haben in Griechenland noch Geld.“
       
       Dann hat er einen Christian kennen gelernt, der sagte, er soll nach Berlin
       kommen, dort würde er ihm helfen, was die Musik anbelangt. Hossain machte
       sich auf den Weg nach Berlin. Geholfen hat ihm dort keiner. Jetzt lebt er
       in Hamburg, hat eine „Aufenthaltsgestattung“, das bedeutet, dass das
       Asylverfahren noch läuft und Hossain auf seine Anhörung wartet. Der
       Asylantrag von Sam, der in Reutlingen im Lager lebt, wurde abgelehnt. Er
       ist geduldet.
       
       Auch Hossains Bruder ist aus dem Iran geflohen: „Ich weiß nicht, wo er
       ist“, sagt er. Seine Mutter, mit der er dann und wann Kontakt hat, weiß es
       auch nicht. Er geht jetzt zur Schule, „mit Kindern zusammen“, sagt der
       17-Jährige, um Deutsch zu lernen. Er darf bald die Schule wechseln, damit
       er sich nicht mehr so komisch vorkommt. „Ich bin glücklich“, sagt er, „ich
       gehe zum Fußball, ich gehe in die Schule, ich gehe ins Fitnessstudio, ich
       darf Musik machen.“ Eine Zeit lang, sagt er, „hatte ich ein schweres Leben,
       jetzt ist es leichter“. Hossain hat drei Songs auf der CD, 14 im
       Repertoire.
       
       Keine „ahjahos“ und „ahehehehejos“ mehr aus dem Studio nebenan. Sam braucht
       Pause. Er geht an uns vorbei zur schweren Stahltüre, die das Equipment des
       Studios schützen soll. Sam zieht an der Tür, die geht nicht auf. Sie klemmt
       nur, aber für Sam fühlt sie sich abgeschlossen an. Sam macht ein Geräusch
       mit seiner Stimme, die gerade noch „ahehehehejo“ gesungen hatte, das
       besteht nur aus Panik.
       
       12 Apr 2012
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] http://1000bruecken.de/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Roger Repplinger
       
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