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       # taz.de -- Libyen und die alten Konfilkte: Wüste der Feindseligkeit
       
       > Der Arm des Staates reicht nicht mehr bis in den Süden. In Kufra stehen
       > sich arabische Zuweia und schwarzafrikanische Toubou gegenüber.
       > Revolutionäre versuchen zu vermitteln.
       
   IMG Bild: Revolutionäre versuchen in Kufra, die verfeindeten Völker zu befrieden.
       
       KUFRA taz | Der Landeanflug auf eine der lebensfeindlichsten Ecken der
       Sahara bietet eine Überraschung. Riesige kreisrunde Felder liegen verstreut
       in der Wüste, obwohl schon ein Vierteljahrhundert kein Regen mehr gefallen
       ist. Mit Wasser, gepumpt aus hunderten Metern Tiefe, produzieren die Bauern
       Kufras für den Rest des Landes Tomaten, Kartoffeln und Getreide.
       
       Ein gigantischer unterirdischer See versorgt über Pipelines zudem die 1.000
       Kilometer entfernte Mittelmeerküste. Mitten im Dünenmeer setzt die erste
       Passagiermaschine nach dem Ende des Krieges in Libyens trockener Kornkammer
       auf.
       
       Hier im Südosten des Landes, wo die Kolonialmächte willkürlich Grenzen
       zwischen Ägypten, dem Tschad, dem Sudan und Libyen gezogen haben, herrscht
       seit Jahren ein stiller Krieg. „Über Jahrhunderte zogen die Karawanen aus
       Zentralafrika durch Kufra an die Küste. Jetzt macht uns der Schmuggel mit
       Menschen, Waffen und Drogen kaputt“, sagt ein Anwohner.
       
       Eine Handvoll Journalisten, aus Tripolis eingeflogen, schaut sich auf den
       ramponierten Straßen um. Die libysche Armee existiert zwar nur auf dem
       Papier, doch ein gutwilliger General hat den fragilen Waffenstillstand in
       Kufra nun für eine hastig organisierte Pressereise genutzt.
       
       Kufra ist jetzt eine geteilte Stadt. Die eine Hälfte kontrollieren die
       arabischstämmigen Libyer der Zuweia, die andere Hälfte die dunkelhäutigen
       Libyer vom Volk der Toubou.
       
       Nach Monaten der Angst stellen die Händler nun vorsichtig ihre Ware heraus.
       Den Weg zur Waffenstillstandslinie findet man leicht – immer den größer
       werdenden Zerstörungen und den verstörten Blicken der Einwohner nach.
       
       ## Bewaffnete Erskorte
       
       Der Bus der Journalisten wird von einer Einheit von Revolutionären aus
       Bengasi eskortiert, die zwischen den Toubou und Zuweia vermitteln sollen
       und die libysche Armee vorläufig vertreten.
       
       Am Checkpoint, der mit ein paar Steinen markiert ist, heißt es warten bis
       zur Weiterfahrt in den Toubou-Sektor. Keine 100 Meter entfernt spähen
       sichtlich nervöse Toubou-Jugendliche herüber, die ihre Kalaschnikows von
       der Schulter nehmen. Während der Revolution haben sie noch mit den Jungs
       der Zuweia gemeinsam gegen Gaddafi gekämpft.
       
       „Anfang Januar haben uns die Toubou aus dem Tschad angegriffen, und die
       Toubou aus Kufra haben ihnen geholfen. Es sind sogar immer noch Kämpfer aus
       dem Tschad dort drüben versteckt,“ erregt sich Mohamed aus dem arabischen
       Teil und zeigt wie zum Beweis zum Toubou-Stadtteil, wo in weiter Ferne
       einige Vermummte doch nur zu erahnen sind.
       
       „Mit den Toubou aus Kufra haben wir keine Probleme, wir leben seit
       Jahrhunderten zusammen. Ich kann aber wegen vermummter Scharfschützen nicht
       mehr auf meine Farm“, fügt er hinzu. 150 Menschenleben haben die Kämpfe der
       letzten Wochen gekostet.
       
       ## Gaddafis langer Atem
       
       Den Grund für den Konflikt glauben alle arabischen Libyer längst zu kennen,
       und die Zuweia von Kufra erzählen es bereitwillig in die Mikrofone: Der in
       Algerien lebende Teil des verbliebenen Gaddafi-Clans habe die Toubou im
       Tschad dafür bezahlt, in Südlibyen Unruhe zu stiften. Daher müssten die
       Toubou aus dem Tschad vertrieben werden.
       
       Den Journalisten reicht das als Erklärung nicht aus, und obwohl der Bus
       eigentlich schon wieder zum Flughafen umkehren müsste, bestehen sie auf
       einen Besuch bei den Toubou.
       
       Kommandeur Iachija Gassabi aus Bengasi gibt schnell nach. Nun aber
       verweigert der Toubou-Sheik die Weiterfahrt, und um den Bus versammeln sich
       immer mehr junge Leute mit Waffen.
       
       ## Feindselige Blicke
       
       Der Toubou-Sheik macht ein Angebot. Die Journalisten dürften kommen, nicht
       aber die von Einschusslöchern durchsiebten Pick-ups ihrer Bewacher. Doch
       die feindseligen Blicke der Toubou lassen dann den gesamten Konvoi
       umkehren.
       
       „Kaum jemand von der Küste kennt Kufra und schon gar nicht die Toubou,
       obwohl sie Libyer sind. Gaddafi hat uns von allem ferngehalten. Ich will
       jetzt mit eurem Sheik sprechen, um das alles zu verstehen!“, ruft ein
       Journalist enttäuscht einem Toubou zu, als die Busse abdrehen.
       
       Abubaker Ualih ist der einzige Arzt im Krankenhaus des Toubou-Sektors. Er
       hat für den Konflikt eine ganz andere Version parat. „Wir werden von den
       arabischen Zuweia unterdrückt. Mit und ohne Gaddafi. Es gibt doch gar keine
       Angreifer aus dem Tschad, es geht den Zuweia in Wahrheit um die Grenze, die
       nach der Revolution von einer Toubou-Einheit kontrolliert wird. Sie wollen
       uns alle vertreiben. Jetzt lassen sie nicht einmal unsere Verletzten ins
       Krankenhaus“, behauptet er.
       
       Längst verläuft die gesellschaftliche Bruchlinie in Libyen nicht mehr
       zwischen Anhängern und Gegnern Gaddafis. Alte Minderheitskonflikte werden
       mangels staatlicher Strukturen zunehmend mit Waffen ausgetragen – im Süden
       in Kufra und Sebha, im Westen in Ghadames, wo sich die Tuareg unterdrückt
       fühlen.
       
       ## Ureinwohner der Sahara
       
       Seit Jahrhunderten besiedeln die Toubou die Sahara auf einer Fläche so groß
       wie Westeuropa. Vom Gilf-Kenir-Plateau im heutigen Ägypten bis ins Herz
       Darfurs im heutigen Sudan, vom Karoar-Gebirge in der heutigen Republik
       Niger bis zum Tschadsee.
       
       Wie die Tuareg sind auch sie Ureinwohner der Sahara. 1730 vertrieb ein
       arabisches Heer die Toubou ins Tibesti-Gebirge, einem südlich der heutigen
       libyschen Grenze gelegenen Gürtel aus erloschenen Vulkanen, auch Gebirge
       des Hungers genannt. Dort wächst kein Strauch.
       
       Gaddafi heuerte während der Revolution viele Männer aus dem Tschad und
       Niger als Söldner an. Sie brachten auch nach Kufra Angst und Schrecken.
       Daher halten viele in Libyen Schwarze aus den südlichen Nachbarländern und
       die Tuareg pauschal für Gaddafi-Anhänger.
       
       ## Revolutionäre der ersten Stunde
       
       „Gaddafi hat zwar die Toubou im Tschad unterstützt, um auf den dortigen
       Präsidenten Druck auszuüben“, sagt der Arzt Abubakr Ualih. „Aber uns hat er
       unterdrückt. Wir in Kufra waren Revolutionäre der ersten Stunde gegen ihn.
       Nun sind wir das Opfer der Machtpolitik in diesem Gebiet und der
       Vorurteile, die dadurch entstanden sind.“
       
       Während die Tuareg in den letzten Wochen mit Gaddafis Waffen große Teil des
       Niger und Malis erobert haben, sind die Toubou hier eher schlecht
       ausgerüstet. Viele in Kufra besitzen nicht einmal die libysche
       Staatsbürgerschaft, selbst wenn sie im Staatsdienst gearbeitet haben.
       
       In einem schäbigen Gebäude im Zentrum von Kufra haben die Revolutionäre aus
       Bengasi eine weitere Gruppe Unglücklicher versammelt. Zerlumpte aus zehn
       afrikanischen Ländern hocken in Reih und Glied. Ihnen wird vorgeworfen, mit
       den Angreifern aus dem Tschad gekämpft zu haben. Sie besitzen nicht mehr
       als das, was sie am Leibe tragen, einige haben keine Schuhe.
       
       ## Zwischen allen Fronten
       
       „Ich habe vierzig Tage in der Wüste ausgeharrt“, erzählt Dereje aus
       Äthiopien. „Den Sudan durfte ich erst verlassen, als ich tausend Dollar
       gezahlt habe. Wir waren ungefähr dreißig Personen. Einige hatten das Geld
       nicht, sie harren wohl noch in der Wüste aus.“
       
       Die Schlepper haben ihn dann im Tschad, hundert Kilometer von Kufra
       entfernt, im Tibesti-Gebirge abgesetzt. Losmarschiert seien zwanzig
       Äthiopier, zehn Sudanesen und neunzig Somalier.
       
       An der Grenze habe sie dann ein Schwarzer mit Namen Issam auf Arabisch
       angesprochen. „Seine Leute haben uns mitgenommen und vor Kufra einfach
       zwischen die Fronten gestellt“, schließt Dereje.
       
       ## Hoffnungen im Elend
       
       Edi aus Eritrea ist Automechaniker. Er starrt auf den Boden. Edi berichtet
       von Maklern, die ihm versprachen, dass es in Libyen genug Arbeit gebe. Zwei
       Monate saß er an der Grenze, 200 Kilometer südlich von Kufra, gefangen in
       einem fensterlosen Bau. Die Verlegung in das Auffanglager in der Stadt
       lässt ihn hoffen. „Hier schlägt uns niemand. Vielleicht lassen sie uns ja
       sogar weiter nach Europa.“
       
       Das Gaddafi-Regime hat den Menschenhandel jahrelang gefördert, um die EU
       unter Druck zu setzen. Von dem Schmuggel haben alle in Kufra profitiert.
       Für die Fahrt aus der unwirtlichen Sahara nach Tripolis zahlten die
       Flüchtlinge 400 Euro.
       
       ## Gemüselaster aus Kufra
       
       In Tripolis kann sich mancher gut an die Gemüselaster aus Kufra erinnern,
       unter deren Planen Flüchtlinge versteckt waren. Fischer, vom Geheimdienst
       gezwungen, verkauften ihre Boote an die Flüchtlinge, die dann, ohne vorher
       jemals auf See gewesen zu sein, in Richtung Italien losfuhren. Andere
       wurden als Söldner einfach in Uniformen gesteckt, um für Gaddafi zu
       kämpfen, gerade in der Revolution.
       
       In die grimmige Miene von Kommandeur Iachija Gassabi mischt sich Entsetzen,
       als er von den grauenvollen Bildern bei seinen Einsätzen an der Grenze hier
       bei Kufra – in dem auch für ihn fremden und unkontrollierbaren Sandmeer –
       erzählt:
       
       „Die illegale Migration ist eine ganz große menschliche Katastrophe hier
       und hat den Konflikt in Kufra erst möglich gemacht. Die Menschenhändler aus
       dem Tschad nehmen ihnen oft ihr gesamtes Geld ab. Wir haben hunderte
       Verhungerte oder Verdurstete in der Wüste gefunden. Europa will doch diese
       Leute nicht, dann sollte Europa uns hier helfen.“
       
       11 Apr 2012
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Mirco Keilberth
       
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