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       # taz.de -- Kommentar Urheberrechte: Wäre ich ein großer Rechteverwerter
       
       > Das Schlimmste, was den Kulturverwertern passieren könnte, ist eine
       > Emanzipation der Urheber. Es ist deshalb eine Schande, wie der Tonfall
       > der Debatte ist.
       
   IMG Bild: Man sollte freundlicher sein: Sven Regeners (r.) Wutausbruch erntete vor allem Wutausbrüche.
       
       Wäre ich ein großer Rechteverwerter, mich würde die aktuelle
       Urheberrechtsdebatte freuen. Seit Jahren wäre meine öffentliche Position
       nichts als Pein gewesen, ich hätte mühsam das Feindbild vom kriminellen
       Raubkopierer aufbauen und [1][eine ganze Nutzergeneration kriminalisieren]
       müssen, Studien missdeuten und Gesetze gutheißen müssen, deren Auswirkungen
       ich mühsam verschleiern müsste.
       
       Vor allem hätte ich fürchten müssen, dass meine Urheber mehr von den
       Chancen des Internets begreifen als ich – wenn das passiert wäre, hätte ich
       bestimmt gar keine Freunde mehr gehabt. In einem Satz, ich wäre fortwährend
       in der Defensive gewesen.
       
       Jetzt nicht mehr. Es war so einfach! Da bricht Sven Regener ein Staudamm im
       Hirn, woraufhin er fünf Minuten lang Richtiges, Halbrichtiges und ganz
       Falsches bunt durcheinander ins Mikrofon erbricht, und dann kommen 51
       Tatort-Drehbuchschreiber ums Eck und beklagen sich bitter über die
       Netzgemeinde, als wäre das der Feind.
       
       Zum ersten Mal seit langer Zeit könnte ich mich beruhigt zurücklehnen, um
       zuzusehen, wie sich Urheber und Publikum gegenseitig beschimpfen. Endlich
       wäre ich aus der Schusslinie und könnte mit meinesgleichen so tun, als
       wären wir die Kreativen, um uns in deren Fahrwasser als Garanten für
       Kultur, Fortschritt, Freiheit und Zivilisation aufführen.
       
       Zu durchsichtig? Keineswegs. Die Reaktionen auf Regener und die
       Tatort-Drehbuchschreiber wären genau in meinem Sinn: Es begann mit
       [2][Fritz Effenbergers vielbeachtetem Rant], ging weiter mit dem sehr
       unterhaltsamen, aber doch ziemlich süffisanten [3][Antwortschreiben der 51
       CCC-Mitglieder] und endete vorläufig mit der [4][Pressemitteilung der
       Piratenpartei], der offene Brief der Drehbuchautoren sei schlicht keine
       Diskussionsgrundlage. Man kann es auch klarer sagen: Ihr seid doof, euch
       braucht man nicht ernst zu nehmen.
       
       ## Bitte nicht abkanzeln!
       
       Es ist eine Schande, dass Regeners Rant die Tonlage vorgegeben hat für die
       nachfolgende Debatte. Es geht da durchaus ein Bruch durch die
       Urhebergemeinde: jene, die die Herausforderungen, die das Netz an die
       bestehende Ordnung stellt, verstehen und gelöst wissen wollen.
       
       Also jene, die nicht vergessen haben, dass das bestehende Urheberrecht
       ihnen und ihresgleichen [5][nicht eben Wohlstand im Überfluss gebracht
       hat], häufig [6][nicht einmal ihre Existenz sichert] und das Arbeiten mit
       Rechteverwertern [7][nicht immer angenehm] ist. Und den anderen, weniger
       netzaffinen, die das Internet nach wie vor als Bedrohung wahrnehmen; und
       gerade die gilt es aber zu überzeugen, nicht abzukanzeln.
       
       Marina Weisband hat gerade in einem anderen Zusammenhang gesagt, das
       Internet verleite Diskutanten dazu, [8][sich gegenseitig hochzuschaukeln].
       Es gibt eine gewisse Tradition des Schimpfens und der Beschimpfung im Netz,
       die Leuten, die nicht damit sozialisiert wurden, anmaßend, bedrohlich und
       (jadoch) unzivilisiert vorkommt.
       
       Das ist schön für den Lesenden, denn wer auf einen Rant mit einem Rant
       antwortet, hält den Unterhaltungsfaktor hoch; allerdings zu dem Preis, dass
       der Gegenüber sich kaum auf Argumente einlassen wird. Und dadurch ein
       Einverständnis verhindert wird.
       
       Wäre ich ein großer Rechteverwerter, wäre das meine größte Angst: dass sich
       die Urheber, von denen ich lebe und durch die ich verdiene, emanzipieren
       und eine eigene Position entwickeln. Dann könnte ich nämlich nicht mehr
       einfach nur behaupten, unumgänglich notwendig zu sein, sondern müsste das
       auch mal beweisen.
       
       Anmerkung der Redaktion: In einer ersten Fassung dieses Kommentars stand
       als Autor eines Rants zunächst Holger Klein statt Fritz Effenberger. Wir
       bitten um Entschuldigung.
       
       5 Apr 2012
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] http://www.stefan-niggemeier.de/blog/konvergenz-konsistenz-inkontinenz-die-deutsche-content-allianz/
   DIR [2] http://11k2.wordpress.com/2012/03/22/sven-regener-du-erzahlst-unsinn-und-ich-erklar-dir-warum/
   DIR [3] http://ccc.de/updates/2012/drehbuchautoren
   DIR [4] http://www.piratenpartei.de/2012/04/04/offener-brief-der-tatort-autoren-ist-keine-konstruktive-diskussionsgrundlage/
   DIR [5] http://www.malte-welding.com/2012/04/02/kurze-frage-eines-urhebers-wo-ist-mein-schotter/
   DIR [6] http://www.netzfundbuero.de/2012/04/02/was-verdient-eigentlich-so-ein-buchautor/
   DIR [7] http://d-trick.de/blog/mein-plattenladen-heist-herunterladen/
   DIR [8] http://www.marinaslied.de/?p=718
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Frédéric Valin
       
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