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       # taz.de -- Attentäter von Toulouse nicht in Terrorcamp: Das Internet als Motivator
       
       > Er gehörte zu keiner Terrorgruppe und besuchte keine Trainingscamps. Der
       > Serienmörder von Toulouse handelte allein. Die Polizei ist in Besitz von
       > Videos, die Merah gefilmt hat.
       
   IMG Bild: Gedenken an die Opfer von Mohamed Merah, über dessen Radikalisierung immer noch gerätselt wird.
       
       PARIS dpa/afp | Frankreich rätselt über die Radikalisierung des am
       Donnerstag getöteten Serienmörders von Toulouse. Mohamed Merah gehörte nach
       derzeitigem Stand der Ermittlungen weder zu einer Terrorgruppe noch
       besuchte er ein Trainingscamp in Afghanistan. „Nach unserer Kenntnis gab es
       keine Zelle“, sagte Staatschef Nicolas Sarkozy am Montag in einem
       Radiointerview. „Er hat kein Ausbildungslager absolviert, er war an keiner
       religiösen Hochschule und er hat sich nicht an terroristischen Handlungen
       beteiligt.“ Merah habe sich über das Internet selbst radikalisiert, sagte
       Sarkozy.
       
       Merah hatte an drei Tagen im März insgesamt sieben Menschen erschossen,
       darunter an einer jüdischen Schule drei Kinder und einen Lehrer. Bevor er
       am vergangenen Donnerstag bei der Stürmung seiner Wohnung getötet wurde,
       hatte er sich selbst als Mudschahedin (Gotteskrieger) bezeichnet und
       erklärt, dem Terrornetzwerk al-Qaida nahezustehen.
       
       Die französische Polizei ist unterdessen in den Besitz von
       Videoaufzeichnungen von Merah gelangt. Der arabische Fernsehsender
       Al-Dschasira habe den Behörden Kopien der Videos zukommen lassen, hieß es
       am Montag aus Polizeikreisen in Paris. Den Angaben zufolge zeigen die
       Aufnahmen einen Zusammenschnitt mehrerer Morde des 23-jährigen Attentäters.
       Demnach ist das Video mit Musik unterlegt und mit Versen aus dem Koran
       besprochen.
       
       ## Familie streitet über Beisetzung
       
       Die Familie des von der Polizei erschossenen Serienmörders streitet
       unterdessen über den Ort für die Bestattung. Während einer der Brüder von
       Merah eine Beisetzung in Frankreich befürworte, wolle die Mutter den
       Leichnam ihres Sohnes nach Algerien überführen lassen, sagte ein Vertreter
       der muslimischen Organisation CRCM am Montag nach Angaben der französischen
       Nachrichtenagentur AFP. Sie befürchtet offensichtlich, dass das Grab ihres
       Sohnes in Frankreich geschändet werden könnte. Merah selbst soll seinem
       Bruder gesagt haben, er wolle in seinem Geburtsland Frankreich beigesetzt
       werden. Algerien ist lediglich das Herkunftsland der Eltern.
       
       Als einziger möglicher Mitwisser gilt bislang Merahs Bruder Abdelkader.
       Gegen ihn leitete die Justiz am Sonntagabend ein Anklageverfahren.
       Abdelkader Merah verurteile die Taten zutiefst und hoffe, „nicht zum
       Sündenbock für das zu werden, was sein Bruder getan hat“, sagte
       Pflichtverteidigerin Anne-Sophie Laguens am Sonntagabend nach der
       Ausstellung des Haftbefehls.
       
       ## Wahlkampfthema Innere Sicherheit
       
       In Paris ging am Montag die Diskussion um mögliche politischen Konsequenzen
       der Attentate weiter. Wenige Wochen vor den Präsidentschaftswahlen
       dominiert das Thema Innere Sicherheit die Kampagnen der Kandidaten. Sarkozy
       kündigte am Montag an, den geplanten Auftritt des umstrittenen
       Islamgelehrten Scheich Jussif al-Karadawi in Le Bourget bei Paris
       verhindern zu wollen. Der in Katar lebende ägyptische Fernsehprediger sei
       im Land nicht willkommen, sagte Sarkozy, dem Umfragen zufolge eine
       Wahlniederlage gegen den Sozialisten François Hollande droht.
       
       Al-Karadawi ist vor allem durch seine von Al-Dschasira ausgestrahlte
       Sendung „Das islamische Recht und das Leben“ bekanntgeworden und steht auf
       der Einladungsliste eines großen Muslime-Treffens Anfang April (6.-9.) in
       Le Bourget. Es wird jährlich vom Dachverband der islamischen Organisationen
       in Frankreich (UOIF) organisiert.
       
       Der Ägypter ist in der arabischen Welt und auch unter europäischen Muslimen
       umstritten. Extremistische Prediger, die zur Intoleranz gegen „Ungläubige“
       aufrufen, finden ihn zu moderat. Im Westen ist er vor allem wegen einer
       „Fatwa“ (islamisches Rechtsgutachten) kritisiert worden, in der er
       Selbstmordattentate in Israel rechtfertigte. „Leute, die die Werte der
       Republik nicht achten, haben bei uns nichts verloren“, sagte Sarkozy am
       Montag.
       
       27 Mar 2012
       
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