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       # taz.de -- Radfahren im Frühling: Holperstein im Sonnenschein
       
       > Lücken im Wegenetz, mangelnder Schutz der Radler, unsichere Finanzierung
       > von Radwegen. Vom Status einer modernen Fahrradstadt ist Berlin noch
       > meilenweit entfernt.
       
   IMG Bild: Im Frühjahr sind auch die Fahrradtouristen wieder unterwegs (Archivbild).
       
       Der Radfahrer stoppt an der roten Ampel. Ein paar Sekunden später kommt
       neben ihm eine dröhnende Lkw-Zugmaschine zum Stehen. Eine beängstigende
       Kulisse. Von 2010 auf 2011 stieg die Zahl der Unfälle mit
       Fahrradbeteiligung um 19 Prozent. Sechs RadlerInnen wurden beim Abbiegen
       von Lkw- und Autofahrern übersehen und starben. Die unzureichende
       Sicherheit der RadfahrInnen hängt auch mit dem weiterhin sehr
       uneinheitlichen Zustand der Berliner Radwege zusammen: Viele sind veraltet
       und werden nur langsam saniert, auch die Zahl der neu eingerichteten
       Fahrradspuren ist eher übersichtlich.
       
       Ein 52-jähriger Radfahrer in Kreuzberg ist mit dem Berliner Radwegangebot
       zufrieden. Er fahre regelmäßig mit dem Rad, auch weil er so mehr von seiner
       Umgebung wahrnehme, sagt er. In seinem Job als Kfz-Sachverständiger sei er
       aber vor allem im Auto unterwegs – nicht nur wegen der ständigen
       Ortswechsel. „Das würde schon komisch wirken, wenn ich in dieser Branche
       irgendwo mit dem Rad aufkreuze.“ Monika Brichta, die ein paar Meter weiter
       an der Ampel wartet, findet den Zustand der Berliner Radwege mies. Die
       45-jährige Ärztin ist an diesem Freitagmittag von Zehlendorf in die
       Innenstadt zu einem Termin geradelt. Aus ihrer Sicht sollte Berlin mehr in
       Radwege investieren und die Stadt fahrradfreundlicher machen. Was in Berlin
       die Ausnahme sei, gelte andernorts als feste Regel: „In Straßburg können
       Radfahrer auch umgekehrt in Einbahnstraßen fahren.“
       
       Mit den breiten Straßen und dem Raum erfülle Berlin im Prinzip bereits alle
       Voraussetzungen einer „Fahrradstadt“, sagt Philipp Poll,
       Landesgeschäftsführer des Allgemeinen Deutschen Fahrradclubs (ADFC). „Es
       hapert aber immer noch an vielen Stellen.“ Vor allem die Situation an
       großen Kreuzungen müsse sicherer werden. Nach Angaben des ADFC starben im
       vergangenen Jahr sechs RadfahrerInnen, die sich an Kreuzungen auf ihre
       Vorfahrt verlassen hatten und von abbiegenden Autos und Lastwagen erfasst
       wurden. Dagegen soll auch die zunehmende Einrichtung von Radschutzstreifen
       helfen, die der ADFC befürwortet. Radschutzstreifen verlaufen nicht wie
       ältere Fahrradwege auf dem Bürgersteig, sondern direkt am Straßenrand.
       
       Die vermehrte Planung solcher abgetrennten Spuren zeugt auch von einem
       Umdenken bei der Verkehrsgestaltung. In den 60er und 70er Jahren wurden
       Rad- und Autoverkehr stark getrennt, seit einigen Jahren versuche man, die
       Radfahrer mehr auf die Straße zu holen, sagt Andreas Tschisch,
       Verkehrssicherheitsreferent bei der Berliner Polizei. „Wichtig ist, dass
       die Autofahrer die Räder viel früher entdecken und nicht erst, wenn sie
       plötzlich hinter einem geparkten Fahrzeug herausflitzen.“
       
       In der vergangenen Woche kündigte die Polizei Maßnahmen für einen besseren
       Schutz von RadfahrerInnen an. So soll das Abbiegeverhalten von Autos an
       großen Kreuzungen besser überwacht werden. Auch AutofahrerInnen, die ihre
       Wagen in der zweiten Reihe parken und damit RadlerInnen zu gefährlichen
       Ausweichmanövern zwingen, sollen durch vermehrte Bußgelder stärker
       sanktioniert werden.
       
       Wie es um die finanziellen Mittel der Berliner Fahrradpolitik steht, ist
       weiterhin ungewiss. Zwar hat der rot-schwarze Senat die Mittel für den
       Neubau von Radwegen von 3 auf 3,5 Millionen Euro erhöht. Ob die vor wenigen
       Wochen angekündigte Halbierung der Mittel zur Sanierung bestehender Wege in
       Höhe von 2 Millionen Euro tatsächlich rückgängig gemacht wird, ist jedoch
       unklar. Dies hängt von dem Beschluss über den Berliner Haushalt ab, dessen
       erste Lesung am Freitag stattfand.
       
       Der endgültige Beschluss über den Doppelhaushalt 2012/13 soll am 14. Juni
       fallen. Bis dahin könnten keine Investitionen erfolgen, sagt Friedemann
       Kunst, Abteilungsleiter in der Senatsverwaltung für Verkehr. Zudem ist der
       ehrenamtliche Posten des Fahrradbeauftragten derzeit unbesetzt. Für den zum
       Ende der vergangenen Legislaturperiode ausgeschiedenen Arvid Krenz wurde
       bisher kein Nachfolger gefunden.
       
       In welche Richtung der neue Senat radeln wird, vermag der ADFC nicht
       vorauszusagen. Geschäftsführer Philipp Poll rechnet aber mit sinkenden
       finanziellen Mitteln.
       
       16 Mar 2012
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Johannes Kulms
       
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