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       # taz.de -- Entlassung des KP-Chefs von Chongqing: Machtkampf auf Parteichinesisch
       
       > Bo Xilai fiel als Parteichef von Chongqing mit neomaoistischem Stil auf.
       > Jetzt ist er entmachtet. Sein Nachfolger dürfte keine politischen
       > Reformen bringen.
       
   IMG Bild: Bo Xilai wusste sich wirklich in Szene zu setzen.
       
       BERLIN taz | Nach wochenlangen Spekulationen über einen hinter den Kulissen
       tobenden Machtkampf hat Chinas KP-Sprachrohr Xinhua am Donnerstag Morgen
       die Entmachtung des Parteichefs der Megacity Chongqing verkündet.
       
       Gründe, warum der schillernde Bo Xilai nicht mehr mächtigster Mann der
       30-Millionen-Metropole sein darf, nannte die Ein-Zeilen-Meldung nicht. Doch
       gilt Bos Sturz als vorläufiges Ende eines Politkrimis an der KP-Spitze, an
       der im Herbst ein Führungs- und Generationswechsel ansteht.
       
       Die Entmachtung des 62-jährigen Bos, eines ehemaligen Handelsministers,
       deutete sich bereits am Mittwoch an. Da hatte Premierminister Wen Jiabao
       bei der Abschlusspressekonferenz des jährlichen Plenums des Nationalen
       Volkskongresses an das sonst tabuisierte Leid während der Kulturrevolution
       erinnert. Auch forderte er die Genossen in Chongqing auf, aus dem Fall Wang
       Lijun zu lernen. Das galt als in der Öffentlichkeit ungewöhnlicher und
       direkter Angriff gegen das Politbüromitglied Bo, den Wen nicht namentlich
       nannte.
       
       Bo hatte in Chinas größter Stadt Chongqing nicht nur mit einer Bevorzugung
       von Staatsbetrieben und mit Kampagnen für Aufsehen gesorgt, die der
       Kulturrevolution entlehnt waren, sondern war auch seit Februar wegen des
       offensichtlichen Fluchtversuchs seines Polizeichefs Wang Lijun in den
       Schlagzeilen. Bo hatte den in China als „Superbullen“ bezeichneten Wang
       nach Chongqing geholt und zum Polizeichef gemacht.
       
       Mit ihm lancierte er eine populistische Kampagne gegen örtliche
       Mafiabanden. Dabei soll es jedoch nicht mit rechten Dingen zugegangen sein.
       Wang, inzwischen Vizebürgermeister, flüchtete Anfang Februar in das sechs
       Stunden entfernte US-Konsulat in Chengdu. Es wird spekuliert, dass er
       entweder etwas gegen Bo in der Hand hatte oder dieser gegen ihn.
       
       ## Verstoß gegen den Kodex
       
       Nachdem Polizisten aus Chongqing das US-Konsulat mehrere Stunden umstellt
       hatten, begab sich Wang, der bei den Amerikanern um Asyl gebeten haben
       soll, lieber in die Obhut der Sicherheitsbehörden aus Peking. Wie Xinhua
       ebenfalls gestern bekannt gab, verlor er inzwischen seine Ämter.
       
       Der rätselhafte Fall Wang Lijun trübte die Aussichten von Bos angestrebtem
       Aufstieg in den Ständigen Ausschuss des Politbüros. Von dessen neun
       Mitgliedern scheiden beim Parteitag im Herbst sieben aus. Bo ist wegen
       seines neomaoistischen Stils und seines großen Ehrgeizes umstritten.
       
       Er sorgte dafür, ständig in den Medien präsent zu sein und unterstrich
       damit seine Ambitionen, versuchte sie zugleich mit populistischen Aktionen
       zu untermauern. Damit verstieß er gegen einen ungeschriebenen Kodex der
       Partei. Denn bisher hatte die KP-Führung stets den Eindruck der
       Geschlossenheit vermittelt und versucht, die Ambitionen Einzelner wie
       mögliche Machtkämpfe nie nach außen dringen zu lassen.
       
       ## Anti-Mafia-Kampagne
       
       Es könnte jetzt eine Reihe von Gründen geben, die zu Bos Sturz führten:
       Außer mit seinem Verstoß gegen den bisherige Stil der KP-Führung könnte er
       sich auch mit seiner Anti-Mafia-Kampagne mächtige Feinde gemacht haben. Und
       im Fall Wang Lijun könnte auch etwas gegen ihn vorliegen: Entweder macht er
       mit Wangs Ernennung einen schweren Fehler oder dieser belastet ihn direkt.
       
       Zudem brachte Bo mit seiner Politik und maoistischen Rhetorik liberale
       Reformer gegen sich auf. Doch sein Sturz zeigt jetzt keine
       Richtungsänderung. Der am Donnerstag zum Nachfolger gekürte 65-jährige
       Vizepremier Zhang Dejiang gehört wie Bo zur Fraktion des früheren
       Parteichefs Jiang Zemin und ist auch bereits Mitglied im Politbüro. Zhang
       ist ebenfalls ein sogenannter Prinz, also Sohn eines früheren KP-Führers.
       Auch Zhangs Abschluss in Wirtschaft an Nordkoreas Kim Il-sung Universität
       lässt nicht auf politische Reformen hoffen.
       
       Doch vor allem hatte Zhang bei der Sars-Krise 2003 versagt. Damals war er
       Parteichef der Südprovinz Guangdong, wo die ansteckende tödliche
       Lungenkrankheit zuerst aufgetreten war. Zhang ordnete ihre Vertuschung an
       und ging gegen Medien vor, die darüber berichten wollten.
       
       „China hat die Tücken eines Führungswechsels nicht umschifft, der
       traditionellen Achillesferse autoritärer Regime“, kommentiert der
       China-Forscher Nicholas Bequelin von Human Rights Watch in Hongkong. „Die
       Politik der Elite bleibt unberechenbar und gefährlich.“
       
       15 Mar 2012
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Sven Hansen
       
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