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       # taz.de -- Patentstreit um Krebsmedikament: Bayer verliert in Indien
       
       > In Indien ist das Krebsmedikament Nexavar für viele unbezahlbar. Der
       > Pharmakonzern Bayer muss sein Patentrezept jetzt preisgeben. Das Beispiel
       > könnte Schule machen.
       
   IMG Bild: Teure Pillen aus Leverkusen: In Zukunft können HIV-Medikamente auch für ärmere Patienten erschwinglich werden.
       
       BERLIN taz | Ein Urteil in Indien sorgt innerhalb der internationalen
       Pharmaindustrie für Aufruhr. Das indische Patentamt hat am Dienstag eine
       Zwangslizenz für ein Generikum des Krebsmittels Nexavar erteilt, auf das
       der deutsche Pharmariese Bayer Patent hält. Künftig wird der indischen
       Hersteller Natco Pharma das Produkt zu einem erschwinglicherem Preis
       anbieten. Bayer erhält als Entschädigung eine Lizenzgebühr von 6,0 Prozent
       des Umsatzes.
       
       Natco hat sich verpflichtet, das Nachahmepräperat für nicht mehr als 187
       Dollar monatlich auf dem indischen Markt zu verkaufen. Derzeit kostet das
       Original von Bayer gegen Leber- und Nierenkrebs etwa 5.500 Dollar. Jährlich
       macht der Levenkusener Pharmakonzern mit Nexavar einen Umsatz von etwa 725
       Millionen Dollar weltweit. Damit gilt das viertwichtigste Medikament des
       Unternehmens als Kassenschlager.
       
       Etwa 70 Prozent der weltweit eingesetzten Generika stammen aus Indien.
       Allein 80 Prozent der Nachahmepräperate zur Behandlung von HIV und Aids
       werden dort hergestellt. Auf Grundlage dieses Urteils könnten nun auch
       neuere Aids- und HIV-Medikamente für ärmere Patienten erschwinglich werden.
       Indien gilt als eines der Länder jenseits des südlichen Afrikas mit der am
       stärksten wachsenden Aidsrate. 6 Millionen Infizierte und Erkrankte können
       sich aufgrund fehlender Medikamente nicht richtig behandeln lassen.
       
       „Diese Entscheidung hat gezeigt, dass Patentmonopole kein Freifahrtsschein
       für überhöhte Preise sind“, erklärte Philipp Frisch von Ärzte ohne Grenzen.
       Bayer habe nicht nur versäumt, das Medikament zu einen angemessenen Preis
       sondern auch in ausreichender Menge auch in ländlichen Gegenden
       bereitzustellen. „Wir hoffen nun, dass das Urteil zum Präzedenzfall wird,
       damit sich auch weitere Generikahersteller um Zwangslizenzen bemühen“, so
       Frisch weiter.
       
       ## Blankoscheck für Zwangslizenzen
       
       Der deutsche Pharmaverband ((VFA) kritisiert indes die Entscheidung des
       indischen Patentamtes. “Das indische Patentrecht bietet faktisch keinen
       Schutz für ausländische Medikamenteherstellermehr“, sagte Rolf Hömke,
       Wissenschaftsexperte der VFA. Laut der Formulierungen könne für Präperate
       aus dem Ausland eine Zwangslizenz auferlegt werden, sofern sich ein Teil
       der Gesellschaft das Medikament nicht leisten könne. Dies sei letztendlich
       der Blankoscheck, Zwangslizenzen auf jede beliebige Arznei zu erteilen.
       
       Zusätzlich sei das indische Gesundheitssystem nicht in der Lage, alle
       Bevölkerungschichten zu erreichen. „Es gibt in Indien Generika nahezu aller
       HIV-Medikamente zu kaufen, aber nur 26 Prozent der Betroffenen werden
       tatsächlich behandelt“, so Hömke. Schuld daran sei die schlechte
       medizinische Infrastruktur.
       
       ## Verhandlungen mit Indien
       
       „Dass die medizinische Versorgung in Indien nicht derart ausgereift ist wie
       die Deutsche, ist doch kein Argument dafür, Krebsmedikamente zu überhöhten
       Preisen anzubieten,“ konterte Ärzte-ohne-Grenzen-Sprecher Frisch. Auch
       rechtlich sei die Lage eindeutig: Das Abkommen über handelsbezogene Aspekte
       der Rechte des Geistigen Eigentums (TRIPS) der Welthandelsorganisation
       regele eindeutig, dass Länder in bestimmten Notlagen Zwangslizenzen
       erteilen dürften.
       
       Derzeit verhandelt die EU mit Indien über ein Freihandelsabkommen, dass die
       Position der Generikahersteller immens schwächen könnte. Ausländische
       Unternehmen dürften dann die indische Regierung vor Schiedsgerichten
       verklagen, wenn profitmindernde politische Entscheidungen getroffen werden
       - auch wenn sie dem Schutz der öffentlichen Gesundheit dienen. Bis zum
       Herbst dieses Jahres soll das Abkommen unter Dach und Fach sein.
       
       Bayer will nun Beschwerde gegen das Nexavar-Urteil einlegen. „Wir werden
       unser Patent mit allen Mitteln verteidigen“; erklärte Sabina Cosimano,
       Sprecherin von Bayer Health-Care. Warum der Konzern keine freiwillige
       Lizenz für Nexavar vergeben und damit selbst für eine günstigere Variante
       auf den indischen Markt sorgen wollte, erläuterte Cosimano nicht. Sie
       verwies auf ein Patientenzugangsprogramm in Indien, bei dem ausgewählte
       Patienten das Bayerpräperat günstiger angeboten bekämen.
       
       „Wenn diese Patienten die Kosten der Behandlung selbst tragen, erhalten sie
       Nexavar für zehn Folgemonate kostenfrei“, teilte die Sprecherin mit. Die
       Frage wieviele Teilnehmer das Programm in Indien einschließt, konnte
       Cosimano jedoch nicht beantworten.
       
       15 Mar 2012
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Susann Schädlich
       
       ## TAGS
       
   DIR Schwerpunkt Bayer AG
   DIR Pharmaindustrie
   DIR Generika
       
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