URI: 
       # taz.de -- Ausstellung über Verleger Axel Springer: Fluchtpunkt Jerusalem
       
       > Axel Springer stand hinter Israel, ließ aber Altnazis für sich arbeiten.
       > Das Jüdische Museum Frankfurt dokumentiert seine ambivalente Beziehung zu
       > Juden und Ex-Nazis.
       
   IMG Bild: Ein emotionaler, oft naiver Mensch: Axel Springer im Jahr 1975.
       
       „Ich geniere mich“, gestand Axel Springer einmal ein, „bei Auslandsreisen
       oft, meinen deutschen Pass zu zeigen.“ Diesen Reflex, der lange deutsche
       Linke auszeichnete, erklärte sich der überzeugte Konservative so: „Diese
       Scheu entspringt dem Gefühl einer Kollektivscham und widerspricht nicht
       meiner Liebe zu meinem Vaterland.“
       
       Sein Vaterland war Deutschland, doch der erfolgreichste westdeutsche
       Verleger fand in Israel eine zweite Heimat. 1966, im Alter von 54 Jahren
       reiste er zum ersten Mal dorthin und schon bald küsste er nach jeder
       Landung in Tel Aviv den Boden. Kurz vor seinem Tod 1985 kaufte er sich in
       Jerusalem eine Wohnung.
       
       Anderthalb Jahre nach seiner ersten Israelreise erließ er eine
       „Unternehmensverfassung“, die die Redakteure der Axel Springer AG bis heute
       als Teil ihres Arbeitsvertrags unterschreiben müssen. Punkt zwei lautete:
       „Das Herbeiführen einer Aussöhnung zwischen Juden und Deutschen, hierzu
       gehört auch die Unterstützung der Lebensrechte des israelischen Volks.“
       
       Als im Juni 1967 die israelische Armee die Streitkräfte der arabischen
       Nachbarstaaten innerhalb von sechs Tagen demütigte, kämpften die
       Springer-Blätter mit. Über den damaligen israelischen Verteidigungsminister
       Mosche Dajan titelte Bild: „SIEG! Dajan – der Rommel Israels“.
       
       ## Emotional, oft naiv
       
       Chefredakteur war zu dieser Zeit Peter Bönisch, vormals Mitglied der NSDAP
       (Nr. 9710043). Paul Karl Schmidt, vormals SS-Mitglied und Leiter der
       Presseabteilung des Auswärtigen Amts, wurde unter dem Pseudonym Paul Carell
       zu Springers Sicherheitsberater, Redenschreiber und Vertrautem.
       
       Die Wertschätzung für einstige Nazis und die Liebe zu Israel erscheinen als
       eklatanter Widerspruch und sind es auch: Axel Springer war ein emotionaler,
       oft naiver Mensch ohne konsistente politische Positionen.
       
       Dem komplexen Verhältnis von Springer zu den Juden und zu Israel widmet
       sich jetzt das Jüdische Museum Frankfurt mit einer großen Ausstellung, die
       am Mittwoch eröffnet wird. Mittels Dokumenten und Fotos wird das emotional
       beladene Thema präsentiert; auf Videos zu sehen sind Interviews mit
       Springer-Kritikern wie Daniel Cohn-Bendit oder Günter Wallraff, aber auch
       Springer-Führungskräften wie Kai Diekmann und Mathias Döpfner.
       
       Zudem haben der Museumsdirektor Raphael Gross, sein Stellvertreter Fritz
       Backhaus und der Kurator Dmitrij Belkin einen umfänglichen Begleitband mit
       dem Titel „Bild dir dein Volk“ veröffentlicht: eine sehr interessante
       Aufsatzsammlung, die ins Detail geht, wobei der umstrittene Verleger
       größtenteils eine freundliche Behandlung erfährt.
       
       ## Der Verleger wird zum Philosemiten
       
       Gleichwohl wird genau herausgearbeitet, dass in Springers Verlag, wie bei
       den meisten von den Alliierten nach dem Krieg lizensierten Blättern, bald
       etliche alte Nazis tätig waren. Chefredakteur der 1946 gestarteten, überaus
       erfolgreichen Programmzeitschrift Hör Zu war zum Beispiel Eduard Rhein, der
       wenige Jahre zuvor für die NS-Propaganda-Illustrierte Signal gearbeitet
       hatte. Er beschäftigte dann als Illustrator den vormaligen SS-Mann Wilhelm
       Petersen, den der Reichsführer SS Heinrich Himmler in seinen persönlichen
       Stab berufen hatte.
       
       Auf der anderen Seite erschütterte der Holocaust Springer. Er mag auch ein
       schlechtes Gewissen gehabt haben, weil er sich 1938 als stellvertretender
       Chefredakteur der Altonaer Nachrichten von seiner ersten Frau Martha
       scheiden ließ, deren Mutter Jüdin war. In jedem Fall identifizierte er sich
       mit den jüdischen Opfern der Nationalsozialisten. Auf seinem Schreibtisch
       stand das berühmte Foto des Jungen mit Schiebermütze und erhobenen Händen
       aus dem Warschauer Ghetto. Der Verleger wurde zum Philosemiten.
       
       Weil Springer den Judenmord als ungeheures Verbrechen empfand,
       unterstützten seine Zeitungen auch die in der Bevölkerung nicht populäre
       juristische Aufarbeitung der NS-Verbrechen. Im Dezember 1963, zu Beginn des
       Auschwitz-Prozesses in Frankfurt, hieß es in der Bild: „Nicht nur den
       sanften Kerzenschimmer beschert uns die Weihnachtszeit, sondern auch eine
       flammende Rückblende auf die Epoche der Grausamkeit, des Hasses der
       Mordlust.“
       
       Springers Scham vor dem Holocaust kam auch die Übernahme des einst
       deutsch-jüdischen Ullstein Verlages entgegen. 1956 erwarb er zunächst 26
       Prozent, drei Jahre später die restlichen Anteile des Verlags und wurde so
       Besitzer der Westberliner Blätter B.Z. und Berliner Morgenpost.
       
       ## Kontroversen in Israel
       
       Als Springer 1966 zum ersten Mal nach Israel reiste, hatte dessen Regierung
       erst ein Jahr zuvor mit der Bundesrepublik diplomatische Beziehungen
       aufgenommen. Springer freundete sich mit Teddy Kollek an, dem Bürgermeister
       von Jerusalem, und sagte spontan zu, den rund 700.000 US-Dollar teuren Bau
       der Bibliothek des Israel-Museums zu finanziere.
       
       Als ein Bevollmächtigter Springers allerdings anregte, einen Teil des
       Gebäudes nach dem deutschen Verleger zu benennen, brach in Israel eine
       heftige Debatte los. Linke Politiker und Zeitungen lehnten es ab, überhaupt
       Geld von einem Deutschen zu nehmen. Springer telegrafierte, er wolle nur
       helfen, nicht genannt werden. Und bei der Grundsteinlegung traf er den
       richtigen Ton, als er sagte: „Keine Spende kann mit dem Verbrechen
       aussöhnen.“
       
       Nicht nur als mystischen Christen, sondern auch als sentimentalen Patrioten
       und Konservativen zog ihn Israel an: „Es ist ein Land, in dem man zum
       Beispiel das Wort Vaterland noch ohne bösen Beigeschmack sagen kann. Hier
       darf man Mutter und Vater ehren, hier ist Pornografie immer noch
       Pornografie und keine Kunst.“
       
       Was Israel anbelangt, gestaltete sich das Verhältnis von Springer zu seinen
       größten Feinden in Deutschland, den Linken der 68er Bewegung, paradox.
       Ulrike Meinhof etwa, die als Journalistin Springers Medienmacht geißelte,
       begann mit der RAF einen tödlichen Kampf gegen Exnazis wie Siegfried Buback
       und Hans-Martin Schleyer, aber liierte sich dafür mit Palästinensern, die
       Israel vernichten wollten. Springer, der keine Berührungsängste mit alten
       Nazis hatte, unterstützte wiederum bedingungslos Israel in den Kriegen
       gegen Palästinenser und Araber.
       
       In Israel förderte Axel Springer dutzende von vorwiegend kulturellen
       Projekten mit großzügigen Spenden und bekam 1983 den Ehrentitel „Bewahrer
       Jerusalems“ verliehen. Der erste israelische Botschafter in der
       Bundesrepublik, Asher Ben Natan, sagte:. „Er hat uns geliebt und wir haben
       ihn geliebt.“
       
       12 Mar 2012
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Michael Sontheimer
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR „Welt“-Vorwürfe gegen Wallraff: Alle Jahre wieder
       
       Die Geschichte ist zwar mehr als dünn, doch Springer legt nach: Laut „Welt“
       betreibt Günter Wallraff mit seinen journalistischen Arbeitsmethoden
       „klassische Agententätigkeit“.
       
   DIR Verleger Axel Springer: „Der mächtigste Deutsche seit Hitler“
       
       Er dachte in Schwarz und Weiß und hatte ein gespaltenes Verhältnis zu
       seinen Blättern: Axel Springer. Kein deutscher Zeitungsverleger war so
       erfolgreich – und keiner so umstritten.
       
   DIR Rautenraub bei Springer: ### für ein Halleluja
       
       Drei Rautenzeichen sollen nun etwas bedeuten – und zwar „meine Tweets sind
       frei“. Wie Springers "Welt Kompakt" einmal versuchte, das Internet zu
       regieren.
       
   DIR Medienkonzern stellt Jahreszahlen vor: Springer feiert sich selbst
       
       Die Axel Springer AG erzielte 2011 ein Rekordergebnis. Besonders
       ertragreich war das Onlinegeschäft. Die Anleger reagieren trotzdem
       skeptisch.