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       # taz.de -- Russische Opposition sucht neue Wege: Katerstimmung nach Putins Wahlsieg
       
       > Zehntausende demonstrierten am Samstag gegen Putins Wahlsieg. Weniger als
       > erwartet. Ein Misserfolg? Noch vor sechs Monaten wäre nur ein kleines
       > Häuflein da gewesen.
       
   IMG Bild: Es werden weniger: Proteste in Moskau.
       
       MOSKAU taz | „Buddha brauchte sechs Jahre bis zur Erleuchtung. Wieviel
       brauchst Du?“ fragte ein Demonstrant den neugewählten Präsidenten Wladimir
       Putin auf einem Transparent. In Moskau gingen am Wochenende wieder Tausende
       auf die Strasse. Diesmal gegen Betrug bei der Präsidentschaftswahl vom
       letzten Sonntag, bei der Putin mit 64 Prozent unerwartet hoch siegte.
       
       Nach offiziellen Angaben waren es 10.000 Personen, die auf dem Nowy Arbat
       im Zentrum der russischen Hauptstadt zusammenkamen. Unter dem Motto „Das
       waren keine Wahlen. Das ist kein Präsident“. Tatsächlich dürften rund 30
       000 Demonstranten teilgenommen haben, die sich an einem massiven Aufgebot
       von Polzei und Truppen des Innenministeriums im Schneckentempo zum
       Versammlungsort vorbeischieben mussten.
       
       Moskau hat sich seit dem Wahlsonntag in ein Heerlager mit schwerem Gerät
       verwandelt. Die Staatsmacht demonstriert Stärke und setzt auf
       Einschüchterung. Das ist jedoch nicht der alleinige Grund, warum diesmal
       weniger Menschen teilnahmen als noch an den Kundgebungen wegen
       Fälschungswürfen bei den Dumawahlen.
       
       ## Müdigkeit macht sich breit
       
       Viele Bürger sind enttäuscht über den hohen Wahlsieg und den geringen
       Einfluss, den die Protestbewegung auf den Ausgang der Wahl nehmen konnte.
       Ausserdem hat sich nach sechs Großveranstaltungen seit Dezember bei
       Minustemperaturen Müdigkeit breitgemacht. Eine langfristige Strategie
       müsste jetzt entwickelt werden, um dem Regime langfristig Paroli bieten zu
       können, meinten viele Teilnehmer.
       
       Dazu gehöre auch der Aufbau neuer oppositioneller Strukturen.
       Defätistischer Stimmung trat der Politologe Dmitri Oreschkin entgegen: “Wir
       stehen am Beginn eines tiefgreifenden Umbruchs“, meinte er. Die Proteste
       würden in den nächsten Monaten an Fahrt gewinnen.
       
       Dafür spricht, dass immer mehr junge Leute an den „Mitings“ teilnehmen. Die
       Veranstalter räumten denn auch dem Nachwuchs mehr Redezeit ein. Bekannte
       Oppositionelle verzichteten zugunsten namenloser Wahlbeobachter auf einen
       Auftritt. Die Studentin und unabhängige Stadtteilparlamentarierin Vera
       Kitschanowa sagte, die Moskauer seien die ewig selben Gesichter leid und
       wollten nicht mehr für Putins Stabilität stimmen.
       
       „Sollte das hier eine „Orange Revolution“ sein, bin ich dafür. Wer ausser
       Putin fürchtet sie?“ Kitschanowa war bei den parallel abgehaltenen
       Kommunalwahlen am letzten Sonntag gewählt worden. Die Menge horchte auf,
       als sie sprach, und spendete erlöst Beifall.
       
       Auch der 27jährige Maxim Katz gehört zu der Riege junger
       Nachwuchspolitiker, die es einfach mal versuchen wollen. Auch er konnte
       sich bei den Wahlen fürs Regionalparlament gegen Konkurrenten der
       herrschenden Partei durchsetzen. Glaubt nicht, wenn eure Großmütter euch
       sagen, es hätte sowieso keinen Sinn, weil alles vorentschieden sei,
       munterte er die Masse auf.“
       
       ## Namen ändern und Haare schneiden
       
       Mir hat man einreden wollen, die Menschen würden mich nicht verstehen. Ich
       müsste erst meinen Namen ändern und die Haare schneiden“, sagte der
       Jungpolitiker, der sich als ehemaliger Pokerspieler vorstellte, unter
       Anspielung auf den jüdischen Namen und seine schulterlange Mähne.
       Frenetischer Applaus war ihm gewiss.
       
       Für einen Marsch durch die regionalen Parlamente plädierte auch der
       Abgeordnete von der Oppositionsbewegung „Solidarnost“ Konstantin
       Jankauskas. Er sagte, was alle hören wollten: „Der Protest hat nicht
       nachgelasssen, die Bewegung ist breiter geworden“. Jankauskas meinte damit
       die neuen Gesichter. Noch ist es nicht nachprüfbar, aber Autosuggestion
       hilft.
       
       Diesen Tenor vermittelten auch die Veranstalter: Wenn nach drei
       Protestmonaten 30.000 Demonstranten als Misserfolg gewertet würden, habe
       Russland in kürzester Zeit einen gewaltigen Sprung gemacht. Noch vor einem
       halben Jahr ging in Russland nur ein kleines Häuflein auf die Strasse. Die
       nächste Großdemonstrationen soll erst vor der Inauguration Wladimir Putins
       Anfang Mai stattfinden.
       
       „Gott, was sind wir doch für ein friedliches Volk“, klagte am Ende eine
       Rentnerin in Pelz und Gold. Etwas kämpferischer und aggressiver hätte sie
       sich das Ganze gewünscht. Immerhin fand die Broschüre“ Putin. Korruption
       auch in den Reihen der Polizei reissenden Absatz. „Je mehr Polizisten,
       desto mehr Aufgeklärte nächstes Mal“, sagte sie augenzwinkernd.
       
       11 Mar 2012
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Klaus Helge Donath
       
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