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       # taz.de -- Pro und Contra: Brauchen wir den Frauentag noch?
       
       > Der Internationale Frauentag wird auf der ganzen Welt am 8. März
       > gefeiert. Er entstand Anfang des 20. Jahrhunderts im Kampf um die
       > Gleichberechtigung und das Wahlrecht für Frauen. Sollte man ihn heute
       > noch begehen oder lieber abschaffen?
       
   IMG Bild: Sogar für manche Männer ein Grund zu feiern: Der hundertste Frauentag 2011 im Hamburger Rathaus
       
       ## Mit bestem Dank zurück
       
       Wir begehen den Frauentag zwischen dem Tag der gesunden Ernährung und dem
       der Rückengesundheit und das entspricht ziemlich genau seiner
       Bedeutsamkeit. 2012 steht er unter dem Motto "Heute für morgen Zeichen
       setzen", was so waberig ist, dass man es vergisst, bevor man zu Ende
       gelesen hat und nicht einmal versucht, sich an das vom vorigen Jahr zu
       erinnern.
       
       Den Frauentag umgibt ein muffiger Geruch, er wartet mit einer Häufung von
       Doppelnamen in seinem Umfeld auf, aber das allein erklärt nicht, warum so
       viele Frauen - und vielleicht auch Männer - sich von ihm fernhalten. Warum
       ist die Arbeit an der Frauen-taz milde formuliert kein umkämpftes Gut,
       sondern ein Wanderpokal, den man, so man geübt im Nein-Sagen ist - eine
       wesentliche Tugend auf dem Weg zur Emanzipation - tunlichst weiterreicht?
       Weil den Frauentag ein eigentümlicher Geruch von Machtlosigkeit und
       Opferstatus umgibt, ein Gefühl, als schwenke man Pappschilder in einer
       Tiefgarage, weil es nun mal so Brauch ist.
       
       Möglich, dass das einmal anders war. Vielleicht war der Frauentag Anfang
       des 20. Jahrhunderts ein schlagkräftiges Instrument. Heute sorgt er für
       Befremden, bestenfalls Mitleid. Seht her, sagen die Frauen am 8. März, wir
       sind eine Spezies in Bedrängnis, aber in drei Wochen geht es um die
       Meteorologie und bald würdigen wir den Fieberklee.
       
       Was in keinster Weise bedeutet, dass es nicht genügend dringende Anliegen
       in Sachen Gleichberechtigung gäbe. Gerade in Deutschland, dem europäischen
       Land, wo die Gehaltsschere zwischen Männern und Frauen am weitesten
       auseinanderklafft. Wo Familienarbeit vielfach noch immer als Frauendomäne
       begriffen wird. Was, nebenbei, zu einer anderen Baustelle führt: Wieso wird
       die Vereinbarkeit von Familie und Beruf noch immer vor allem als Problem
       von Frauen begriffen? Und warum wird die Debatte so unbegreiflich normativ
       geführt? Zwischen naturgegebenem Hausfrauendasein und ebenso naturgegebenem
       100-Prozent Karrierestreben gibt es keinen Raum und selbst wenn man sich
       als Frau auf einer Seite des Extrems wiederfinden sollte, wird es eine
       starke Fraktion geben, die eben diese Position verdammt.
       
       Natürlich könnte man argumentieren, dass der Frauentag ebenso wenig schadet
       wie der Welttag der Logopädie oder der der Hauswirtschaft. Lasst sie sich
       treffen, die Frauen, könnte man sagen, und nachgrübeln, was "Heute für
       morgen Zeichen setzen" bedeuten könnte und die Zeitungen werden ihre
       Sonderausgaben schon füllen. Aber das hieße, Energie und Geld zu
       verschwenden. Und, schlimmer noch, jedes Jahr aufs Neue das falsche Signal
       zu setzen: Man mag zu der von EU-Kommissarin Viviane Reding angestrebten
       Frauenquote im oberen Management stehen wie man will - ein Thema sollte sie
       jenseits des 8. März sein. Wie gleiche Entlohnung, Gewalt gegen Frauen und
       repressive Schönheitsideale.
       
       Der 8. März verstellt den Blick darauf, dass die Gleichberechtigung von
       Frauen einen anderen Status hat als die Rückengesundheit, das Töpfern oder
       die Reinheit deutschen Bieres. Viviane Reding hat ihn als Feigenblatt
       bezeichnet - und ihn damit in seiner Fatalität nahezu unterschätzt.
       
       Es ist erstaunlich, sich mal wieder auf eine Linie mit Alice Schwarzer zu
       finden, aber da hat sie einfach recht: Er ist gönnerhaft, dieser 8. März
       und das muss man sich als Frau nicht antun, nicht jedes Jahr aufs Neue.
       Friederike Gräff
       
       ## Endlich das Symbol aufwerten
       
       Heute ist Frauentag, und dass sich recht unaufgeregt über seine Abschaffung
       diskutieren lässt, zeigt nur, wie dringend notwendig er noch ist:
       Christenkampftage wie Weihnachten oder Pfingsten genießen Bestandsschutz,
       ebenso unantastbar ist der 1. Mai. Die zur Disposition zu stellen - das
       würde Proteststürme auslösen.
       
       Wegen der Inhalte? Quatsch. Nur, während man sich am Tag der Arbeit die
       Eier kraulen kann, muss er am 8. März arbeiten - und frau sowieso. Von
       daher lässt sich feststellen: Der 8. März hat formal nur den Rang des
       Origami-Welttags. Und sicher betont das den gönnerhaften Charakter der
       Veranstaltung. Den hat sie sich, um Alice Schwarzers Argument ein wenig
       ausführlicher zu zitieren, zugelegt, weil der Tag in größerem Umfang früher
       nur in der DDR und ihren sozialistischen Bruderstaaten gefeiert wurde, als
       so was wie der igittigitt-Muttertag, nur auch noch in ost, pfui! Und
       deshalb gehört das abgeschafft.
       
       Dass die DDR einen sinnvollen Festtag in der ihr eigenen Spießigkeit
       begangen hat, soll das ein Argument sein dafür, ihn hier, mehr als 20 Jahre
       nach dem Untergang des Unrechtsstaates, abzuschaffen? Das ist doch ein
       bisschen - irrational, oder? Wenn sich das durchsetzen sollte, müsste es
       auch finster aussehen für die Freunde des 1.Mai, den die Nazis zum Feiertag
       gemacht haben. Und abgeschafft gehört dann erst recht das Verbot,
       karfreitags zu tanzen, weil die Christen da in Ruhe ihren Antisemitismus
       genießen wollen.
       
       Klar, wie jeder Gedenktag ist auch der 8. März nicht die erwartete
       Wiederkunft Jesu Christi, also die Verwirklichung der Idee, sondern er ist
       ein Symbol. Er verweist auf den Kampf um Gleichberechtigung, der andauert.
       Er erinnert aber auch an die Opfer, also die Toten, die Verletzten, die
       Misshandelten und die Verunglimpften, die der gefordert hat, und an die
       Erfolge: Das ist wichtig, denn wer vorwärts gehen will, darf nicht
       vergessen.
       
       Zweifellos ist zu beklagen, dass sein Status dieser Bedeutung in keinster
       Weise entspricht. Dieses Missverhältnis lässt sich aber nicht durch
       Abschaffen, sondern nur durchs Aufwerten des Symbols beseitigen - also,
       indem man ihn zum beweglichen Feiertag macht. Das fordert die bedeutende
       hannoversche Feministin Luise Pusch seit Jahren. Auch aus ihrem Wissen
       heraus, dass der Kampf der Emanzipation einer um die Herrschaft im Reich
       der Zeichen ist. Auf ein Symbol zu verzichten, heißt da - zu resignieren.
       Dazu besteht kein Grund. Benno Schirrmeister
       
       7 Mar 2012
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Friederike Gräff
   DIR Benno Schirrmeister
       
       ## TAGS
       
   DIR Schwerpunkt Feministischer Kampftag
   DIR Schwerpunkt Gender und Sexualitäten
   DIR Muttertag
   DIR Alice Schwarzer
       
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