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       # taz.de -- Jugendgefährdende Nazimusik: Nur der Hass ist der gleiche
       
       > Drei Nazi-Alben, Filterkaffee und Bananen: Wann und warum wird Musik
       > indiziert? Ein Besuch bei der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende
       > Medien.
       
   IMG Bild: Hetzen nach Noten, meistens verboten: Indizierung von Nazimusik.
       
       BONN taz | Der erste Eindruck täuscht. So holprig, so eintönig, so ewig
       gestrig wie Nazimusik noch vor 10, vor 20 Jahren geklungen hat, klingt sie
       heute nicht mehr. Inzwischen ist es rechtsradikalen Kräften gelungen, Bands
       und Sänger für ihre Zwecke halbwegs professionell zu produzieren.
       
       Viele Genres, die unter Jugendlichen als rebellisch gelten, werden von den
       Nazis zweckentfremdet. So sind Blackmetal und HipHop inzwischen äußerst
       beliebt. Auch die Kleidungsstile der Nazis sind anderen Jugendkulturen zum
       Verwechseln ähnlich. Nur der Hass ist der gleiche wie früher.
       
       „Man muss sich nicht mit den Codes der Jugendkultur auskennen, um
       herauszufinden, ob in dieser Musik zum Rassenhass aufgerufen wird“, erklärt
       Elke Monssen-Engberding nüchtern. Die Juristin ist Vorsitzende der
       Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien. Zusammen mit ihren Kollegen
       prüft Monssen-Engberding Monat für Monat, ob auf Tonträgern gegen die
       Kriterien des Jugendschutzes verstoßen wird.
       
       So auch wieder am vergangenen Donnerstag, als das zwölfköpfige Gremium zur
       monatlichen Sitzung zusammenkommt. Hier entscheiden die Mitglieder, welche
       Werke indiziert werden. Bis die Verfahrensbeteiligten davon in Kenntnis
       gesetzt sind, vergehen noch einmal vier Tage.
       
       ## Drei Nazi-Alben zur Beurteilung
       
       Indizierung sei „nur ein Fingerzeig“ für die Strafermittlungsbehörden,
       beschreibt Monssen-Engberding ihre Arbeit. Die 61-Jährige ist seit 1991
       Leiterin der Bonner Behörde. Und sie ist damit noch nicht die Älteste im
       Gremium. In aller Ruhe setzen sich die Anwesenden, neben Monssen-Engberding
       sechs Männer und fünf Frauen, mit den Inhalten der rechtsradikalen Musik
       auseinander, trinken Filterkaffee und essen zur Stärkung Bananen und
       Mandarinen. Drei Nazi-Alben haben sie zur Beurteilung vor sich.
       
       Am bekanntesten ist „Die Schulhof-CD“ der NPD, ein Sampler mit 18
       Beiträgen, der als Erstes unter die Lupe genommen wird. Unter den Bands
       sind in der Nazi-Szene kultisch verehrte wie die Lunikoffverschwörung, aber
       auch brauner Nachwuchs wie der Gütersloher Rapper Makks Damage. Früher hat
       er sich als Stalinist bezeichnet, dann wechselte er die Seite und hat
       inzwischen Horst Mahler zu seinem Vorbild erklärt.
       
       Makks Damage ist mit seinem Nazi-HipHop in eine neue Dimension
       vorgedrungen. Er behauptet, seine Videos auf YouTube würden gesperrt, wenn
       sie Klickzahlen von mehr als 20.000 aufweisen. Von der Bundesprüfstelle
       gibt es eine 37-seitige Liste mit indizierten Werken. Angefangen mit einer
       CD der Zillertaler Türkenjäger wurden seit 1997 weit über 1.000 Naziwerke
       indiziert. Darunter wird nach der Sitzung auch die NPD-Schulhof-CD sein.
       
       ## Aufruf zum Fremdenhass
       
       Männliche Interpreten sind darauf in der Mehrheit, aber das von zarten
       Synthesizerklängen umspülte Intro wird von einer anonymen Frau gesprochen:
       „Mädels, seid ihr es nicht leid, als minderwertig angesehen zu werden?
       Wollt auch ihr unterdrückt werden oder euch sogar verhüllen müssen?“, heißt
       es da scheinheilig. Der eigentliche Grund der Indizierung, Aufruf zum
       Fremdenhass, ist auch durch das Stück „An die Mädels“ gegeben.
       
       Songtexte und Statements liegen dem Gremium in gedruckter Form vor. Zur
       Beurteilung lassen sie sich die Musik aber auch vorspielen. Neben HipHop
       und Blackmetal grummelt der altbekannte Skin-Stumpfrock mit unterirdischen
       deutschen Texten vor sich hin. „Aus aller Herren Länder kommen sie her /
       Sie werden nicht weniger / nein, die werden ständig mehr / Rock gegen
       Überfremdung – für unser Land /Rock gegen Überfremdung – nationaler
       Widerstand“, wird in dem „Rock gegen Überfremdung“ genannten Lied gebellt.
       Der Gesang ist nach hinten gemischt, die Botschaft bleibt
       unmissverständlich.
       
       Die Schulhof-CD der NPD landet nach eingehender Beratung auf dem Index mit
       dem Zusatz „B“. „B“ heißt strafrechtlich relevant. Für das Album bedeutet
       das, es darf nicht mehr in der Öffentlichkeit verkauft werden. Auch der
       Versandhandel ist untersagt und Jugendlichen unter 18 Jahren darf es nicht
       mehr zugänglich gemacht werden.
       
       Wer sich nun fragt, ob eine Indizierung überhaupt etwas gegen die
       Weiterverbreitung von Nazimusik ausrichten kann, dem antwortet Elke
       Monssen-Engberding so: Die Indizierung helfe mit, dass Jugendämter und
       Kommunen bei Konzerten mit Nazibands erkennen können, ob dabei
       strafrechtlich relevante Inhalte dargeboten würden.
       
       ## Nazimusik hat an Bedeutung gewonnen
       
       Dass rechtsradikale Popmusik inzwischen in anderen Dimensionen ist, zeigt
       auch der Dokumentarfilm „Blut muss fließen“, der mit versteckter Kamera auf
       Nazikonzerten gefilmt wurde: Nazimusik hat durch die Globalisierung an
       Bedeutung gewonnen.
       
       Die Rechten haben längst verstanden, dass sie über populäre Ästhetik
       leichter an die Alltagskultur von Jugendlichen herankommen, und sie machen
       das unter Einsatz modernster Kommunikationstechnik. Konzerte finden vor
       mehreren hundert, bei Festivals auch vor mehreren tausend Zuschauern statt.
       
       Nach einer Pause nimmt sich das Gremium des zweiten Nazialbums an. Es ist
       eine Split-CD. Eine Beisitzerin hat herausgefunden, dass die Plattenfirma
       Gjallarhorn Klangschmiede der Hammerskin-Organisation nahesteht. Die Musik
       beider Bands ist harter Stoff. D.S.T. (der Bandname steht für Deutsch Stolz
       Treu) spielt lupenreinen Speedmetal mit Dagga-Dagga-Gitarre und dem
       kehligen Raspelgesang: „Wir haben es satt / Überfremdung in jeder Stadt.“
       
       Die Sitzungsleiterin weist auf Track 9 hin. „Irrenhaus“, von Sturmkommando,
       der anderen Band des Albums. „Ich dreh das Radio auf / und höre Holocaust.“
       Die zweite Silbe von Holocaust wird eklig in die Länge gezogen. Das allein
       sieht die Bundesprüfstelle nicht als jugendgefährdend an. Die Tatsache,
       dass in demselben Song Homosexuelle beleidigt werden, bringt dem Album eine
       Indizierung mit dem Buchstaben A ein. Das bedeutet: keine Beschlagnahme.
       
       Man kann den Anwesenden die Erleichterung ansehen, als das Verfahren gegen
       die dritte Band, Kraft Durch Froide, nach kurzer Beratung eingestellt wird:
       Auf ihrem Album werden Volkslieder dargeboten. Die klingen zwar unangenehm
       und die Richtung ist auch klar, die Band ist einschlägig bekannt. Aber
       indiziert wird hier und heute nicht.
       
       6 Mar 2012
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Julian Weber
   DIR Julian Weber
       
       ## TAGS
       
   DIR Schwerpunkt Neonazis
   DIR Nazis
       
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