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       # taz.de -- Debatte Syrien und die Palästinenser: Nützliche Diktaturen
       
       > Das ungelöste Palästinaproblem ist die Achillesferse des Westens. Es ist
       > der Grund dafür, dass konkrete Pläne für einen Regimewechsel in Syrien
       > fehlen.
       
   IMG Bild: Shakehands auf dem französischen Nationalfeiertag 2008: Präsident Sarkozy begrüßt Baschar al-Assad.
       
       „O Gott, wir haben niemand außer Dir“. Diesen Slogan skandieren die
       oppositionellen Demonstranten inzwischen überall in Syrien. Sie drücken
       damit ihre tiefe Enttäuschung aus: Die arabische Welt und die
       internationale Gemeinschaft scheiterten bisher kläglich daran, dem Blutbad
       in Syrien ein Ende zu setzen.
       
       Fast ein Jahr nach Ausbruch des Volksaufstands gegen die syrische Diktatur
       herrscht in Syrien eine Pattsituation. Einerseits vermochte das syrische
       Regime trotz der brutalsten Gewaltanwendung gegen das eigene Volk seine
       absolute Macht nicht wiederherzustellen. Auf der anderen Seite konnte die
       Opposition das Regime weder stürzen noch es zu politischen Zugeständnissen
       zwingen.
       
       Warum steht immer noch der Arabische Frühling vor den Toren Damaskus? Und
       wie kommt es zum Versagen der Arabischen Liga und des Westens in Syrien,
       nachdem sie zuvor überaktiv und entscheidend beim Sturz Muammar al-Gaddafi
       waren?
       
       ## Keine Alternative zu Assad?
       
       Dass der Sturz des syrischen Regimes kein Spaziergang ist, liegt in der
       Tatsache begründet, dass die Assad-Dynastie im Innern über eine nicht zu
       unterschätzende politische und konfessionelle Basis verfügt und sich
       außenpolitisch auf ihre iranischen und russischen Bündnispartner verlassen
       kann.
       
       Zudem gibt es bisher weder auf arabischer noch auf westlicher Seite eine
       klare politische Linie hinsichtlich eines Regimewechsels.
       
       Die Arabische Liga, in der gegenwärtig die konservativen Golfmonarchien den
       Ton angeben, reagierte halbherzig und mit großer Verspätung auf die
       Situation in Syrien. Sie gab der syrischen Diktatur viel Zeit, um die
       Opposition zu unterdrücken.
       
       Den Ölscheichs, vor allem Saudi-Arabien, geht es nicht darum, der
       Demokratiebewegung zum Sieg zu verhelfen. Sie wollen den iranischen
       Einfluss in Syrien beenden und ihren Konflikt mit dem Mullah-Regime auf
       Syrien ausdehnen.
       
       ## Eine Strategie fehlt
       
       Dadurch besteht die Gefahr, dass dem syrischen Aufstand sein demokratischer
       Charakter genommen und der Kampf gegen die Assad-Diktatur in eine
       konfessionelle Konfrontation zwischen Sunniten und Alawiten verwandelt
       wird. Der Syrienplan der Arabischen Liga sieht außerdem keine eindeutige
       Entmachtung des syrischen Präsidenten Assad vor.
       
       Obwohl die EU und die USA politische und wirtschaftliche Sanktionen gegen
       Syrien verhängt und die Gewalt des Assad-Regimes gegen die Protestbewegung
       mit aller Schärfe verurteilt haben, fehlt dem Westen eine klare Strategie
       für einen Regimewechsel in Syrien und eine Konzeption für die Phase danach.
       
       Anscheinend sieht er praktisch keine Alternative zur regionalen Rolle der
       syrischen Diktatur. Tatsächlich gibt es für den Erhalt des jetzigen Status
       quo im Nahen Osten keine Alternative zum syrischen Regime, das die Ruhe an
       seiner Grenze mit Israel trotz seiner antiisraelischen Rhetorik vorbildlich
       wahrt und die libanesische Hisbollah unter Kontrolle hält.
       
       ## Stabilität für Israel
       
       Das syrische Regime profiliert sich in dieser Rolle und verbindet seine
       Existenz mit der israelischen Sicherheit. Entsprechend hält die israelische
       Regierung trotz der dramatischen Entwicklung in Syrien nur die Gefahren des
       Atomprogramms des iranischen Regimes im Visier.
       
       Dass zwischen Damaskus, Teheran und der libanesischen Hisbollah ein
       strategisches Bündnis besteht, erscheint vor diesem Hintergrund nachrangig.
       Man muss kein Anhänger von Verschwörungstheorien sein, um festzustellen,
       dass die israelische Regierung an einem Erfolg der syrischen Opposition
       nicht interessiert ist.
       
       Das ungelöste Palästinaproblem war bisher ein Argument, um die syrische
       Diktatur im Besonderen und die arabischen im Allgemeinen zu legitimieren,
       und es war ein ernstes Hindernis für die Demokratisierung der arabischen
       Welt. Wer die israelische Besatzung und die Siedlungspolitik toleriert, der
       wird auf die Dienste des Assad-Regimes nicht verzichten können.
       
       ## Freund und Feind zugleich
       
       Die doppeldeutige Haltung des Westens und vor allem der USA gegenüber der
       Assad-Dynastie ist nicht neu. Schon seit Mitte der 70er Jahre galt die
       syrische Diktatur als Freund und Feind zugleich.
       
       Niemand im Westen hat sich wegen der 30-jährigen syrischen Herrschaft im
       Libanon oder wegen der ständigen Unterdrückung und Massakrierung der
       Bevölkerung, wie etwa 1982 in der Stadt Hama, aufgeregt.
       
       Bis zum Ausbruch der arabischen Revolutionen galt Baschar al-Assad als
       anerkannter Gesprächspartner des Westens. Er war 2008 sogar Ehrengast bei
       den Feierlichkeiten zum französischen Nationalfeiertag.
       
       ## Syrien hängt nun vom Iran ab
       
       Natürlich kann die politische Krise in Syrien durch eine westliche
       militärische Intervention nicht gelöst werden. Dies wird selbst von der
       syrischen Opposition nicht verlangt. Das syrische Volk braucht jedoch
       politische Solidarität und vor allem humanitäre Hilfe.
       
       Dies bleibt ein leerer Wunsch, solange die westliche Politik in der
       arabischen Welt allein auf der Sicherung des Öls und der israelischen
       Sicherheit basiert, die faktisch mit der Missachtung der palästinensischen
       nationalen Rechte durch die israelischen Regierungen gleichgestellt wird.
       
       Mit dem letzten russisch-chinesischen Doppelveto gegen den
       Resolutionsentwurf der Arabischen Liga und des Westens ist die syrische
       Krise eindeutig zum Spiegelbild einer sich verändernden internationalen
       Machtkonstellation geworden.
       
       ## Ein Spielball der Mächte
       
       Syrien, das in den letzten drei Jahrzehnten als unverzichtbarer regionaler
       Machtspieler fungierte, verliert trotz aller Gegenwehr dramatisch an
       Souveränität und wird allmählich zum Spielball der regionalen und
       internationalen Mächte.
       
       Die Ironie der Geschichte ist nun, dass der syrische Diktator, der die
       brutale Unterdrückung des Volksaufstands als Akt der Verteidigung der
       Souveränität seines Landes gegen angebliche amerikanisch-israelische und
       islamistische Verschwörungen darstellt, damit genau das Gegenteil erreicht
       hat.
       
       Das Assad-Regime hat seine Unabhängigkeit gegenüber seinen russischen und
       iranischen Helfern nun vollends verloren und ist von ihnen existenziell
       abhängig geworden.
       
       Es hat die Tür für eine Internationalisierung der syrischen Krise geöffnet
       und den Weg für den beginnenden Bürgerkrieg geebnet. Die Hilfe Gottes lässt
       wie immer lange auf sich warten.
       
       6 Mar 2012
       
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