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       # taz.de -- Nazi-Gedenken in Lettland: Niemand stoppt die SS-Veteranen
       
       > Weder Lettland noch Europa haben dem Skandal Einhalt gebieten können. Am
       > 16. März soll es wieder eine Parade der Waffen-SS-Veteranen durch Riga
       > geben.
       
   IMG Bild: Auch im Jahr 2009 marschierten SS-Veteranen durch Riga, bewacht von der Polizei.
       
       STOCKHOLM taz | Noch immer geht der Kampf um den jährlichen Aufmarsch der
       Waffen-SS in Lettland. „Alle Versuche, der Personen zu gedenken, die für
       die Waffen-SS gekämpft und mit den Nazis kollaboriert haben, sollten
       verurteilt werden.
       
       Alle Versammlungen oder Märsche, die in irgendeiner Weise den Nazismus
       legitimieren, sollten verboten werden.“ So lautet eine Empfehlung des
       Europarats in seinem Ende Februar veröffentlichten Bericht der „Kommission
       gegen Rassismus und Intoleranz“ (ECRI) über die Situation in Lettland.
       
       Doch dort will man dieser Aufforderung nicht folgen. Am 16. März soll es
       wieder die jährliche Parade der Waffen-SS-Veteranen durch die Hauptstadt
       Riga geben. Staatspräsident Andris Berzins bezeichnet gar jede Kritik daran
       als „unfair“.
       
       Schließlich seien der Großteil der 140.000 lettischen „Legionäre“ der SS
       gar keine überzeugten Nazis gewesen, wendet Berzins ein, sondern sie hätten
       nur für die Unabhängigkeit ihres Landes kämpfen wollen. Und viele seien von
       den deutschen Besatzern zum Eintritt in die SS gezwungen worden. Was
       richtig ist. Aber warum muss man auf eine aufgezwungene SS-Uniform dann so
       sehr stolz sein, dass man diese alljährlich auch noch feiern will?
       
       Diese Menschen verdienten Respekt und sie seien keine „Kriegsverbrecher“
       oder „Kriminelle“, meinte Berzins außerdem Ende Februar in einem
       Fernsehinterview. Was die noch lebenden und mittlerweile vorwiegend über 90
       Jahre alten Veteranen angeht, mag er recht haben. Jedenfalls ist nicht
       bekannt, dass im Bericht der „Kommission gegen Rassismus und Intoleranz“
       einer von ihnen als Kriegsverbrecher verurteilt worden ist.
       
       ## Nicht am Holocaust beteiligt
       
       Streng genommen war der SS-Verband als Truppe auch nicht in den Holocaust
       verwickelt. Und das allein schon deshalb nicht, weil bei seiner Aufstellung
       1943 die Schoah, der 70.000 der 85.000 in Lettland lebenden Juden zum Opfer
       gefallen sind, bereits beendet war. Doch bei der Gründung des SS-Verbands
       wurden viele Angehörige von Kommandos der lettischen Sicherheitspolizei in
       diese „Legion“ eingegliedert. Und diese Polizeieinheiten waren an
       Massenerschießungen und Massakern in Lettland und in Weißrussland
       beteiligt.
       
       Besonders berüchtigt war das „Arjs-Kommando“ unter dem Befehl des späteren
       SS-Sturmbannführers und 1979 in Hamburg zu lebenslanger Haft verurteilten
       Viktors Arjs, dem allein die Ermordung von 26.000 Menschen vorgeworfen
       wurde.
       
       Doch um diese historischen Hintergründe gehe es gar nicht, macht der
       Europarat bei seiner Mahnung an die Adresse Rigas klar. Es gehe darum, dass
       diese öffentlich sanktionierte SS-Gedenkveranstaltung riskiert, „Rassismus,
       Fremdenfeindlichkeit, Intoleranz und Antisemitismus zu fördern“. Das sei
       aber keine abstrakte Befürchtung. Das seit 1998 jährliche stattfindende
       SS-Gedenken haben lettische und ausländische Neonazis schon lange für ihre
       Zwecke instrumentalisiert.
       
       Die Teilnehmerzahlen der Veranstaltung, so der Bericht der „Kommission
       gegen Rassismus und Intoleranz“, steigen seit Jahren an und zwei Drittel
       der 3.000 TeilnehmerInnen des letztjährigen Marsches waren unter 30 Jahre
       alt. Es beteiligten sich Parlamentsabgeordnete, unter anderem der
       Nationalen Allianz, die in Lettland Teil der Regierungspartei geworden ist.
       
       Auch für dieses Jahr wurde von dieser Rechtsaußenpartei zur Teilnahme
       aufgerufen. Janis Reiniks, Chef der Sicherheitspolizei, erwartet, dass
       Rechtsextremisten aus dem Ausland, vor allem aus Lettlands Nachbarstaaten,
       aus Skandinavien, Polen und Deutschland an dem Marsch teilnehmen werden.
       Die Einreise dieser Personen wurde in der Vergangenheit nicht behindert.
       
       Wenn es nach Abgeordneten der Nationalen Allianz geht, soll der 16. März
       wieder zu einem gesetzlichen Feiertag aufgewertet werden. Das war er
       bereits in den Jahren 1998 und 1999, bevor internationale Proteste Riga
       zwangen, den „Tag der Legion“ als Feiertag abzuschaffen.
       
       Schon am 11. März wollen Neonazis in litauischen Städten marschieren. Dort
       nutzen sie seit einigen Jahren den Jahrestag der Unabhängigkeitserklärung
       von 1990 für ihre Auftritte.
       
       6 Mar 2012
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Reinhard Wolff
       
       ## TAGS
       
   DIR Lettland
       
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