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       # taz.de -- Französischer Arzt berichtet aus Syrien: Zurück "aus der Hölle von Homs"
       
       > Der französische Arzt Jacques Bérès hat in der Protesthochburg Verletzte
       > behandelt. Es fehlte an allem – Strom, Wasser, Medikamenten. Die Angst
       > war allgegenwärtig.
       
   IMG Bild: „Vergleichbar nur mit Grosny“: Aufnahme von Homs aus dem syrischen Staatsfernsehen.
       
       PARIS taz | „Es war schlimmer als Bagdad während des Irakkriegs.“ Der
       71-jährige französische Arzt Jacques Bérès war einer der Mitbegründer von
       Ärzte ohne Grenzen, er hat an zahlreichen Kriegsschauplätzen schon
       Furchtbares gesehen. Was er während seines kürzlichen medizinisches
       Einsatzes in der syrischen Stadt Homs erlebte, übersteige jedoch alles, was
       er bisher gesehen hatte.
       
       Am ehesten noch würde er die Situation mit dem in den 80er Jahren von
       russischen Panzern belagerten und weitgehend zerstörten Grosny in
       Tschetschenien vergleichen, sagte er auf einer Pressekonferenz nach seiner
       Rückkehr „aus der Hölle von Homs“.
       
       Bérès reiste illegal nach Syrien ein, um seinen syrischen Kollegen bei der
       ärztlichen Versorgung der aufständischen Bevölkerung zu helfen. Was er in
       Homs sah, war ein einziges Bild der Verwüstung: von Bomben und
       Mörsergeschossen zerstörte und noch rauchende Häuserruinen, brennende
       Autos, dazu kam die allgegenwärtige Angst vor der ständigen Bombardierung,
       vor Scharfschützen oder den Panzern der Regierungstruppen.
       
       Desolat seien die Bedingungen der Behandlung der Verwundeten: „Es gibt
       Verletzte, die grundlos amputiert werden, andere können nicht gepflegt
       werden oder sie werden entführt und umgebracht. Es ist ein Horror. Am
       meisten hat mich diese Grausamkeit, die Perversion und die Ungerechtigkeit
       betroffen gemacht.“ Die regulären Krankenhäuser seien von Assads Soldaten
       besetzt. Für die Aufständischen seien Notlazarette in Privathäusern
       eingerichtet worden. Dort fehle es an allem: an Strom, Wasser, Nahrung,
       Medikamenten und Verbandsmaterial.
       
       ## „Lächerlich, was man tun kann“
       
       Beschränkt waren unter diesen sehr prekären und gefährlichen Bedingungen
       aber auch seine eigene Interventionsmöglichkeiten als Arzt: „Es ist fast
       lächerlich, was man aus medizinischer Sicht tun kann. Von der
       Sterilisierung (der Instrumente) wage ich nicht mal zu reden.“ Für
       Schwerverletzte, die am Kopf oder an der Brust getroffen worden waren, habe
       er beim besten Willen nicht viel tun können. Die allermeisten Patienten
       seien Zivilisten gewesen, viele von ihnen ältere Menschen und Kinder.
       
       Von den 98 Personen, die er während seines Aufenthalts operiert hat, seien
       neun gestorben. Die Angehörigen hätten dies mit erstaunlicher Würde
       hingenommen: „Wir mussten ihnen einen Toten zurückgeben, und dennoch haben
       sie uns gedankt. Es war zum Weinen. Ich habe mit der Zeit begriffen, dass
       sie uns auf diese Art danken wollten, dass wir zu ihnen gekommen sind.“
       Bérès war der einzige ausländische Arzt im Homs. Er schätzt die Zahl der
       Todesopfer der Repression landesweit auf mehr als 10.000.
       
       Trotz der enormen Risiken hat Bérès vor, im Auftrag der Vereinigung Union
       des associations musulmanes de Seine-Saint-Denis und des Kollektivs
       France-Syrie Démocratie nach Syrien zurückzukehren. Das ist für ihn der
       Sinn des Eides des Hippokrates, den er als Arzt geschworen hat. Die großen
       humanitären Organisationen haben bisher von den Behörden in Damaskus keine
       Erlaubnis bekommen, Helferteams in die aufständischen Städte zu entsenden
       und gehen das Risiko einer illegalen Einreise ohne Visa und einer minimalen
       Garantie für die Sicherheit ihres Personals nicht ein.
       
       Zu seiner eigenen Motivation als Samariter in solchen blutigen Konflikten
       sagte Bérès: „Ich mache das seit vierzig Jahren. Ich habe einen Horror
       davor, aber es ist mein Beruf, den ich zutiefst liebe.“ Persönlich sei es
       für ihn eine Bereicherung, Leute zu treffen, die fast nichts haben, aber
       menschlich so viel zu geben hätten. Von den Menschen in Homs weiß er eines:
       „Sie wollen, dass wir von ihnen reden und dass die Journalisten und
       humanitären Helfer den Mut haben, zu ihnen zurückzukommen.“
       
       5 Mar 2012
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Rudolf Balmer
       
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