URI: 
       # taz.de -- Konflikte um Kulturverwertung im Netz: Schlachtfeld Urheberrecht
       
       > Acta hat die Debatte ums Urheberrecht neu befeuert. Doch das Abkommen ist
       > nicht der einzige Zankapfel zwischen Wirtschaft, Politik und Nutzern. Ein
       > Überblick.
       
   IMG Bild: Im Netz verliert der Künstler die Kontrolle über die Kunst.
       
       BERLIN taz | Die Sauerstoffknappheit im Hauptstadtsalon eines Autobauers
       deutete darauf hin: zu viele Menschen für zu wenig Platz. Ein gutes Dutzend
       Bundestagsabgeordneter war gekommen, als der Verein der Internetwirtschaft
       Eco kürzlich in die Friedrichstraße lud, um über das Urheberrecht im
       Internet zu diskutieren.
       
       Hauptdarsteller des Abends: der parlamentarische Staatssekretär im
       Bundeswirtschaftsministerium Hans-Joachim Otto. Der war gekommen, um den
       Internetzugangsanbietern, die der Eco-Verband hauptsächlich repräsentiert,
       eine Idee schmackhaft zu machen: die Einführung eines Verwarnmodells.
       
       Wer im Internet beim Filesharing erwischt wird, könnte demnach erst einmal
       eine Verwarnung durch seinen Zugangsprovider erhalten, bevor ihm im
       Wiederholungsfall härtere Sanktionen drohen. Otto hatte eine Studie
       anfertigen lassen, die Sinnhaftigkeit und Machbarkeit eines solchen Modells
       durch Vergleiche mit anderen europäischen Ländern prüft.
       
       Dass er an diesem Abend auf wenig Freunde stoßen sollte, wurde wenige
       Stunden zuvor deutlich: der Verband Eco hatte einen anderen renommierten
       Rechtswissenschaftler um seine Einschätzung zu der Studie gebeten. Und der
       kam in einem Gutachten zu einem vernichtenden Urteil: Das, was die Studie
       vorschlage, sei rechtlich eben nicht machbar.
       
       Es ist ein lang anhaltender Streit, der an diesem Abend für so viel
       Interesse sorgte. Und einer, an dem sich die Geister scheiden. Dabei ist
       die Diskussion um Verwarnmodelle nach französischem Vorbild, wo
       Internetnutzern sogar der Internetzugang durch eine zuständige Behörde
       namens Hadopi gekappt werden kann, nur ein besonders skurriles Blümchen auf
       der Wiese der Urheberrechtsdiskussionen.
       
       Immer wieder fordern Wirtschaftsunternehmen der Medienbranche und ihre
       Verbände, dass die Politik dringend etwas gegen illegale Kopien unternehmen
       müsse. Und die Politik schwankt und zankt.
       
       So auch an diesem Abend. Der CDU-Vizefraktionsvorsitzende Michael
       Kretschmer lässt kaum ein gutes Haar an den Aussagen des mitkoalierenden
       Staatssekretärs. Ihm leuchtet nicht ein, was durch das vorgeschlagene
       Modell besser wäre. Ob er damit in der eigenen Fraktion mehrheitsfähig ist?
       Das weiß Kretschmer vermutlich selbst nicht.
       
       ## Das Lieblingsthema von Springer
       
       Neben dem Warnmodellverfahren, dem auch die der gleichen Partei zugehörige
       Justizministerin bereits eine klare Absage erteilte und dessen Diskussion
       nur noch der Vollständigkeit halber zu Ende geführt werden dürfte, gibt es
       die Debatte um das sogenannte Leistungsschutzrecht für Presseverleger und
       den sogenannten dritten Korb der Urheberrechtsgesetzesnovelle. Das
       Leistungsschutzrecht für Presseverleger ist ein Lieblingsthema – allerdings
       nicht der Politik, sondern von Axel Springer.
       
       Springer strich schon vor Jahren das Wort Verlag aus seinem Namen und
       verdient heutzutage ordentlich Geld im Internet. Aber auch mit dem, was man
       landläufig Presse nennt, möchte man am hinteren Ende der Berliner
       Rudi-Dutschke-Straße Geld verdienen können: Musik- und Filmindustrie
       verfügen über sogenannte verwandte Schutzrechte. Die betreffen in erster
       Linie die Zusammenstellung eines Werkes jenseits der ursprünglichen
       kreativen Leistung des Urhebers. Aber wie könnte so etwas für Zeitungen
       aussehen?
       
       Eines ist klar: Springer hatte in der Vergangenheit Fürsprecher in der
       Politik. Im schwarz-gelben Koalitionsvertrag steht bereits, dass man ein
       solches Leistungsschutzrecht einführen wolle. Am vergangenen Sonntag
       bekräftigte die Runde der Koalitionäre, der Koalitionsausschuss unter
       Vorsitz der Kanzlerin das Vorhaben noch einmal.
       
       Und wer war der Einzige, der genauere Details direkt nach Sitzungsende
       hatte? Bild Online. Demnach soll das Leistungsschutzrecht vor allem für
       eine Geldumverteilung da sein: von den Googles und Facebooks dieser Welt
       hin zu den Springers und vielleicht auch, wenn auch sicher in geringerem
       Umfang, zur taz.
       
       Auch schon da: die Unsicherheit, was das genau bedeuten mag. Will Springer
       nun das Bildblog auf Zitatunterlassung in Anspruch nehmen können, wenn
       dieses dafür nicht an Springer zahlt? Nur eines fehlt noch: ein
       Gesetzesvorschlag für das Zeitungsverlegerschutzrecht.
       
       Ob das nämlich überhaupt rechtlich machbar ist und am Ende auch noch
       funktionieren kann – oder nicht einfach mit dem Rausschmiss der
       Springer-Angebote aus Googles Index endet, wie es belgischen Zeitungen nach
       ähnlichen Manövern vor Jahren passierte, ist noch unklar. Und damit wären
       wir wieder beim sogenannten dritten Korb. Dort könnte schwarz-gelb seine
       Idee nämlich noch einbringen.
       
       ## Ein Korb für „verwaiste Werke“
       
       Der dritte Korb heißt so, weil er die dritte Welle an Überarbeitungen des
       Urheberrechtsgesetzes enthalten soll – zwei waren ihm also bereits
       vorangegangen, ein „Korb“ im Jahr 2003 und einer im Jahr 2008.
       
       Der dritte Korb soll nun vor allem sogenannte „verwaiste Werke“, also
       solche, deren Urheber nicht mehr ausfindig gemacht werden können, und
       Streitpunkte rund um das wissenschaftliche Publikationswesen geklärt
       werden. Wichtig, aber keine ganz heißen Eisen – das geplante
       Leistungsschutzrecht für Presseverlage könnte ihn erst zu einem werden
       lassen.
       
       Doch die Bundesregierung dürfte vorsichtig geworden sein, nachdem zur
       Überraschung aller Beteiligten vor einem Monat die Anti-ACTA-Welle
       plötzlich bundesweit Zehntausende, europaweit Hunderttausende auf die
       Straße trieb. Das ACTA-Abkommen selbst ist alles andere als tot, aber auf
       die lange Bank geschoben. Die Bundesregierung ratifiziert es wohl erst
       einmal nicht. Oder vielleicht dann doch, je nachdem, wem man in der
       Regierung gerade Glauben schenkt.
       
       Auf jeden Fall prüft nun der Europäische Gerichtshof (EuGH) auf absehbare
       Zeit, ob das unter Beschuss stehende internationale Vertragswerk, das sich
       nur zu einem kleinen aber nicht unbedeutenden Teil mit dem Urheberrecht im
       Internet beschäftigt, mit europäischem Recht vereinbar ist. Ob die
       Bundesregierung sich der Klage mit eigenen Fragen an den Gerichtshof
       anschließt, konnte oder wollte das Bundesjustizministerium bislang noch
       nicht beantworten.
       
       Sollte der EuGH jedoch ACTA nicht für unvereinbar mit Europarecht halten,
       hat die Politik nur eines gewonnen: Zeit und etwas Klarheit über bestimmte
       Auslegungsfragen. Woran es aber nichts ändert: Die Politik hat bis heute
       keine Antwort auf die Frage gegeben, wie das Urheberrecht eigentlich in der
       Zukunft gestaltet sein soll.
       
       Die Bruchstellen zwischen alter Medienwirtschaft und tatsächlicher
       Mediennutzung treten immer häufiger, immer lauter knacksend zu Tage. Und
       dazwischen so hilflose wie in ihren Parteien heillos zerstrittene
       Politiker. Von Linken bis zu den Konservativen: Das Thema und seine
       Konsequenzen spalten alle Fraktionen. Und dieser Bruch zieht sich auf
       Bundes- wie auf Landes- und Europaebene durch.
       
       ## Dann kommt IPRED
       
       ## 
       
       In wenigen Monaten erwartet wird in Brüssel die Überarbeitung der
       „Richtlinie zur Durchsetzung des Geistigen Eigentums“ (IPRED). Schon ihre
       alte Version aus dem Jahr 2004 war hochgradig umstritten: Sie enthielt
       ursprünglich zwei Teile, einen zu zivilrechtlichen (IPRED) und einen zu
       strafrechtlichen Durchsetzungsmaßnahmen (IPRED2). Allerdings konnte man
       sich auf den strafrechtlichen Teil nicht einigen, 2010 wurde IPRED2
       offiziell durch die EU-Kommission beerdigt.
       
       Doch mit der anstehenden Revision von IPRED1 und den mittlerweile neuen
       Kompetenzen, die die EU mit den nach 2004 geschlossenen Unionsverträgen
       bekommen hat, könnte das Spiel bei der kommenden Revision noch einmal
       anders aussehen. Ob die Kommission sich jedoch angesichts der Geschehnisse
       um ACTA wirklich traut, hier den Fehdehandschuh in Richtung Protest zu
       werfen? Man kann es bezweifeln.
       
       Gleichzeitig passiert jedoch an einem ganz anderen Fleck der Erde etwas,
       das mittelfristig mehr über die Zukunft des Urheberrechts entscheiden
       könnte, als es ACTA tut. Denn fast alles, was im ACTA-Verhandlungsprozess
       zugunsten weicherer Formulierungen herausflog, und noch einiges darüber
       Hinausgehendes könnte bald in einem anderen Vertrag enthalten sein: dem
       Transpazifischen Partnerschaftsabkommen (TPP).
       
       Von derzeit vier eher unwichtigen Staaten getragen, verhandeln derzeit auch
       Länder wie Japan, die USA und Australien mit Brunei, Neuseeland, Singapur
       und Chile über einen Beitritt zu dem Abkommen und der dadurch entstehenden
       Freihandelszone. Durchgesickerte Dokumente zeigen, was das Handelsamt der
       USA (USTPR) für den richtigen Weg bei der Durchsetzung von Urheberrechten
       halten: Verfolgen, Überwachen, Abschalten, Verurteilen.
       
       Beim Abendempfang der Internetwirtschaft musste sich der Staatssekretär
       einige Kritik gefallen lassen. Seine Vorschläge kamen hier erwartungsgemäß
       nicht sonderlich gut an. Mitte März soll es noch ein Treffen geben. Dann
       sollen auf Einladung von Hans-Joachim Otto Internetanbieter und Vertreter
       der alten Medienindustrien über die Studie zu Warnhinweismodellen und das
       Urheberrecht im Internet diskutieren. Und Nutzervertreter? Die sind bei
       diesem „Wirtschaftsdialog“ natürlich auch nicht erwünscht.
       
       9 Mar 2012
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Falk Lüke
       
       ## TAGS
       
   DIR Singapur
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Schärfere Netzkontrollen in Singapur: Blogger schwärzen ihre Seiten
       
       In Singapur protestieren Blogger gegen ein neues Mediengesetz, das
       strengere Kontrollen für Webseiten vorsieht. Sie fürchten um ihre
       Meinungsfreiheit.
       
   DIR Gesetzentwurf zum Leistungsschutzrecht: Unscharf, unkonkret und unpräzise
       
       Verlage sollen ein besonderes Leistungsschutzrecht bekommen. Doch
       schwammige Definitionen bedeuten juristische Grauzonen für Blogger – und
       was ist eigentlich mit Google?
       
   DIR Acta und der Streit ums Urheberrecht: King Kong gegen Godzilla
       
       Ist Label-Chef Stefan Herwig eine „unfaire Dampfwalze“ und Neupirat Bruno
       Kramm ein Nazi? Auswüchse eines bizarren Streits, bei dem es um mehr als
       Acta geht.
       
   DIR Leistungsschutzrecht für Presseverlage: Die kleine Lösung
       
       Schwarz-Gelb will ein Leistungsschutzrecht für Presseverlage einführen. Für
       Texte und Textzitate sollen Suchmaschinen und Aggregatoren Geld zahlen.
       
   DIR EU-Parlament bremst Acta: Gerüchte und Fakten auseinanderhalten
       
       Nach der EU-Kommission will auch das EU-Parlament den Europäischen
       Gerichtshof einschalten. Die Bearbeitung einer Klage dürfte bis zu zwei
       Jahre dauern.
       
   DIR Acta-Alternative auf Reddit: Die Crowd schreibt am Internetgesetz
       
       Auf der Nachrichtenplattform Reddit schreiben Nutzer gemeinsam an einer
       Alternative zu Acta. Sie haben andere Prioritäten, doch ihre Formulierungen
       sind ähnlich schwammig.
       
   DIR Digitale Bürgerrechtsbewegung: Freiwillige Freizeit-Feuerwehr
       
       Bisher regt sich Internet-Protest immer nur als Reaktion auf einzelne
       Gesetzesvorhaben. Es fehlt noch an professionellen Strukturen, wie sie etwa
       Greenpeace hat.