URI: 
       # taz.de -- OSZE zur Wahl in Russland: Unstimmigkeiten in jedem 3. Wahllokal
       
       > Die Auszählung der Stimmen sei „schlecht“ verlaufen, sagt die
       > Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa. In Moskau
       > werden neue Massenproteste erwartet.
       
   IMG Bild: Zum Heulen: Putin und Medwedew sind gerührt vom Wahlergebnis.
       
       Moskau dpa/dapd/afp | Bei der Stimmauszählung zur Präsidentschaftswahl in
       Russland hat es nach Einschätzung der Organisation für Sicherheit und
       Zusammenarbeit in Europa (OSZE) in jedem dritten Wahllokal Unstimmigkeiten
       gegeben. In einem Drittel der Wahllokale sei die Auszählung „schlecht“
       verlaufen, teilte die OSZE am Montag in Moskau mit. Bereits während des
       Urnengangs waren von Wahlbeobachtern massive Betrugsvorwürfe zugunsten des
       künftigen Präsidenten Wladimir Putin erhoben worden.
       
       Zuvor hatte die russische Wahlkommission Regierungschef Wladimir Putin
       offiziell zum Sieger der Präsidentenwahl erklärt. Der 59-Jährige habe 63,65
       Prozent der Stimmen bei dem Urnengang erzielt. Das teilte Wahlleiter
       Wladimir Tschurow am Montag in Moskau mit. Putin landete damit deutlich
       unter seinem vorigen Ergebnis von 71,3 Prozent im Jahr 2004, aber über
       seinem ersten Wert von 52,9 Prozent im Jahr 2000.
       
       Die Wahlbeteiligung lag am Sonntag bei 65,3 Prozent der rund 110 Millionen
       Berechtigten. Die zur Wahl nicht zugelassene Opposition sowie russische
       Wahlbeobachter sprachen von Tausenden Verstößen am Tag der Abstimmung am
       Sonntag.
       
       Die Behörden haben sich für neue Massenproteste gewappnet. Rund 12.000
       Polizisten und Soldaten sollten am Montag in Moskau im Einsatz sein, wie
       die Nachrichtenagentur ITAR-Tass unter Berufung auf das Innenministerium
       meldete. Die Opposition hat für den Abend zu einer Protestaktion auf dem
       Puschkin-Platz aufgerufen.
       
       In den Monaten vor der Wahl hatten sich zehntausende Menschen an
       Demonstrationen gegen Putin beteiligt. Die Opposition und unabhängige
       Beobachter werfen der Regierung Wahlbetrug vor.
       
       ## Deutschland will bei Modernisierung helfen
       
       Deutschland will nach Putins Sieg die strategische Partnerschaft mit
       Russland fortsetzen. Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) sagte am
       Montag in Berlin, neben den Wirtschaftsbeziehungen gebe es starke
       gemeinsame Sicherheitsinteressen. „Wir können die Sicherheit auch auf
       unserem europäischen Kontinent nicht gegen Russland, sondern nur mit
       Russland gemeinsam übernehmen.“
       
       Berlin wolle Putin bei der Modernisierung Russlands helfen, insbesondere
       beim Aufbau rechtsstaatlicher Strukturen. Moskau müsse nun alle Vorwürfe
       von Unregelmäßigkeiten bei der Wahl ausräumen. „Es liegt ja im russischen
       Interesse selbst, all diesen Kritikpunkten nachzugehen und sie
       aufzuarbeiten.“
       
       Nach Kritik an dem Urnengang signalisierte der scheidende Kremlchef Dmitri
       Medwedew der Opposition - wie zuletzt schon bei der ebenfalls von
       Fälschungsvorwürfen überschatteten Parlamentswahl - Entgegenkommen. Der
       Präsident wies die Generalstaatsanwaltschaft an, bis zum 1. April die
       Verurteilung des inhaftierten Kremlgegners und Ex-Ölmanagers Michail
       Chodorkowski zu überprüfen.
       
       Menschenrechtler und Politologen bewerteten dies als politisches Manöver,
       um die aufgebrachte Menge zu beruhigen. Die Freilassung des politischen
       Gefangenen gehört zu den Hauptforderungen der Opposition, aber auch der
       internationalen Gemeinschaft. Auch andere Hafturteile kämen auf den
       Prüfstand, teilte der Kreml mit. Außerdem forderte Medwedew zwei Monate vor
       seinem Ausscheiden aus dem Amt nun das Justizministerium auf, bis zum 15.
       März die Gründe für die Nichtregistrierung der Oppositionspartei Parnas
       aufzuklären.
       
       Nach Kremlangaben gehen die Anordnungen auf ein Treffen Medwedews mit
       Oppositionellen zurück. Experten bezweifeln immer wieder den Reformwillen
       der Machtführung. Auch nach der umstrittenen Parlamentswahl im Dezember
       hatte Medwedew Reformen für eine Demokratisierung Russlands angekündigt.
       Kommentatoren kritisierten aber, dass den Ankündigungen bisher keine Taten
       folgten.
       
       ## Mehrheit in Moskau verfehlt
       
       Nach der Wahl teilten die Behörden außerdem mit, dass Putin in der
       russischen Hauptstadt Moskau die Mehrheit knapp verfehlt habe. Er landete
       demnach bei 47,22 Prozent der Stimmen. Auch in seiner Heimatstadt St.
       Petersburg blieb der frühere Geheimdienstchef unter dem Landesdurchschnitt.
       Dort erreichte er 58,7 Prozent der Stimmen. In den beiden größten Städten
       des Landes hatte es zuletzt beispiellose Proteste gegen Putin gegeben.
       
       Im früheren Konfliktgebiet Tschetschenien im Nordkaukasus hingegen kam
       Putin den Angaben zufolge bei fast 100-prozentiger Wahlbeteiligung auf fast
       100 Prozent der Stimmen. In der benachbarten Teilrepublik Dagestan wurden
       die Ergebnisse in einem Wahllokal annulliert, weil dort massenhaft vorher
       ausgefüllte Stimmzettel in die Urnen gestopft worden waren.
       
       Auf Platz zwei der Präsidentenwahl landete Kommunistenchef Gennadi Sjuganow
       mit 17,19 Prozent der Stimmen. Der erstmals zugelassene Milliardär Michail
       Prochorow kam auf 7,82 Prozent, der Ultranationalist Wladimir Schirinowski
       auf 6,23 Prozent und der Linkskonservative Sergej Mironow auf 3,85 Prozent
       der Stimmen. Sie verfehlten das Ziel, Putin in die Stichwahl zu zwingen.
       
       Putin hatte sich am Sonntagabend kurz nach Schließung der Wahllokale zum
       Sieger der von Betrugsvorwürfen überschatteten Abstimmung erklärt. Er wird
       nach 2000 und 2004 im Mai zum dritten Mal in den Kreml als Präsident
       einziehen. Gemäß geänderter Verfassung regiert er dann erstmals sechs Jahre
       und damit zwei Jahre länger als zuletzt in diesem Amt mit fast unbegrenzter
       Machtfülle. Medwedew soll dann den untergeordneten Posten des
       Regierungschefs übernehmen.
       
       5 Mar 2012
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Kommentar Russlands unter Putin: Der Kremlherrscher braucht den Westen
       
       Putin kann nicht zum Status quo ante zurückkehren. Er muss auf die Proteste
       reagieren. Ob mit Reformen oder Härte, liegt auch in der Verantwortung des
       Westens.
       
   DIR Protest in Russland: Hunderte Putin-Gegner festgenommen
       
       Auf die unfairen Wahlen folgen unfairer und harter Polizeieinsatz:
       Mindestes 550 Demonstranten wurden in Moskau und St. Petersburg
       festgenommen. Und Putin? Startet politische Manöver.
       
   DIR Russland nach der Wahl: "Ich warne vor Hysterie"
       
       Außenpolitisch dürfte sich Putin künftig noch antiwestlicher geben, meint
       der Moskauer Ökonom Wladislaw Inosemzew. Für Russland bedeutet das Ergebnis
       Stagnation, meint er.
       
   DIR Kommentar Russland-Wahl: Putin, der Totengräber Russlands
       
       Die Zeichen der Zeit hat Wladimir Putin nicht erkannt und rund acht
       Millionen Stimmern verloren. Es ist fraglich, ob er die neue sechsjährige
       Amtszeit überstehen kann.
       
   DIR Putin gewinnt Wahlen in Russland: Damenstrümpfe und Webkameras
       
       Putin wird wieder Präsident. Am Wahltag herrschte an den Urnen in Moskau
       großer Andrang. Trotz ausgefeilter Überwachungstechnik gab es genügend
       Möglichkeiten, zu betrügen.
       
   DIR Wahl in Russland: So tun, als ob
       
       Wladimir Putin inszenierte sich erfolgreich als Retter des gefährdeten
       Vaterlandes. Doch seine Bilanz nach zwölf Jahren an der Spitze ist
       verheerend.
       
   DIR Streit der Woche: „Putins Mehrheit wird diffamiert“
       
       Ist Putin der Richtige für Russland? Klar, sagt die frühere
       ARD-Korrespondentin Krone-Schmalz. Und verteidigt ihn gegen Kritiker aus
       dem Westen.
       
   DIR Debatte Wahlen in Russland: Der geplünderte Staat
       
       Eine neue Generation der Zivilgesellschaft ist Russlands letzte Hoffnung.
       Doch der Kreml ist mächtig – und das Vorbild Europa schwach.