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       # taz.de -- Nein, keine Krise im Radsport!: Eine echte Musterbranche
       
       > Die Velo-Branche jubelt vor Beginn der Rennsaison über den von
       > Großinvestoren begünstigten Aufschwung. Doping und Manipulation werden
       > als statistisches Detail abgetan.
       
   IMG Bild: Das Geld liegt auf der Straße: Die 18 Pro-Tour-Teams und 22 Pro-Continental-Rennställe haben aktuell einen Gesamtetat von 321 Millionen Euro.
       
       BERLIN taz | Im Profiradsport läuft’s antizyklisch. Während Europa von
       Krisen und Krisenantizipationen erschüttert wird, erklimmt die
       Entertainmentbranche der rollenden Räder neue ökonomische Höhen. Passend
       zum Beginn der großen europäischen Rennsaison mit der Lehmstraßenschlacht
       der Strade Bianche (Start am Samstag) sowie den Fernfahrten Paris–Nizza
       (Start Sonntag, bis 11. 3.) und Tirreno–Adriatico (7.–13.3.) brachten die
       Wirtschaftsprüfer von Ernst & Young einen Jubelbericht zum Radsport heraus.
       
       Danach hat sich der Etat der Rennställe der ersten und zweiten Division in
       den letzten drei Jahren um mehr als ein Drittel erhöht. Die 18
       Pro-Tour-Teams und 22 Pro-Continental-Rennställe haben jetzt einen
       Gesamtetat von 321 Millionen Euro. 2009 brachten es insgesamt 39 Teams noch
       auf 235 Millionen. Das Geld kommt sogar bei den Werktätigen an. Das
       durchschnittliche Jahressalär eines Profis stieg von 190.000 Euro (2009)
       auf 264.000 Euro.
       
       Mit dieser Arbeitnehmerbeteiligung ist der Profiradsport eine echte
       Musterbranche. Zwar werden nicht alle davon profitieren. Die meisten
       Neuprofis verharren bei 24.000 Euro Jahresgehalt und ein großer Teil des
       Radprofi-Proletariats dürfte nahe dem Minimum von 30.000 Euro liegen. Doch
       immerhin handelt es sich damit noch um ein Proletariat und kein Prekariat.
       
       Zu verdanken sei die Geldspritze allerdings nicht einem gesunden Wachstum,
       sondern nur „der Kohle von vier Leuten“, lautete ein angesäuerter Tweet vom
       Rennstalleinsteller Gerard Vroomen (Cervelo). Das sei „nicht nachhaltig“,
       kritisierte Vroomen.
       
       ## Massig Extrakohle
       
       Als die vier Leute mit der Extrakohle können der Schweizer
       Hörgeräteunternehmer Andy Rihs (BMC), der russische Rohstoffmagnat und
       Katusha-Finanzier Igor Makarov, Leopard-Trek-Gründer und aktueller
       Radioshack-Fusionär Flavio Becca (Luxemburg/Immobilien) und der
       australische Caravan-König und GreenEdge-Gründer Gary Ryan ausgemacht
       werden.
       
       Als Favorit ins Sonnenrennen geht allerdings keines der neuen Protzteams,
       sondern der alte Mittelstandsbetrieb von Patrick Lefevere: Quick Step
       bietet mit Deutschlands neuer Hoffnung Tony Martin nicht nur den
       Titelverteidiger auf. Der aktuelle Zeitfahrweltmeister kann sich auch über
       gleich zwei Zeitfahretappen freuen.
       
       Und mit Neuzugang Levi Leipheimer (ausgemustert bei der Mega-Fusion von
       Leopard Trek und Radioshack) und Sylvain Chavanel hat der belgische
       Radrennstall noch zwei weitere heiße Eisen im Feuer von Paris–Nizza.
       Härteste Gegenwehr ist von Radioshack – unter anderem mit den Oldies Voigt
       und Klöden (Sieger 2000, 2. 2011) – zu erwarten.
       
       Mit am Start stehen auch beider Kapitäne Fränk und Andy Schleck. Letzterer
       hatte Teamchef Johan Bruyneel verbreiten lassen, er sähe sich nach der
       dopingbedingten Disqualifikation von Alberto Contador nicht als Sieger der
       Tour de France 2010 und strebe weiter seinen Debütsieg an. Genauso
       großzügig – oder ist es vielleicht feige oder nur stinksauer wegen der
       langsam mahlenden Mühlen der Sportjustiz? – verhielt sich der nachträglich
       zum Giro-Sieger gekürte Michele Scarponi.
       
       ## Ein echter Verlierer
       
       „Das ist nur ein Detail für die Statistik“, meinte er. Man kann zu dem
       ehemaligen Fuentes-Klienten Scarponi und dem Bruder des Fuentes-Klienten
       Schleck stehen, wie man will: Im Gegensatz zu einem scheidenden
       Bundespräsidenten, der mitnimmt, was ihm ehrenhalber eher nicht zusteht,
       verzichten diese beiden auf ihnen rechtmäßig angetragene Meriten. Das ist
       doch was.
       
       Einen echten Verlierer gibt es bei dem sonnigen Saisonauftakt aber auch.
       Saxo-Bank-Boss Bjarne Riis muss befürchten, dass seine Truppe nach dem
       Abzug der Siegpunkte vom gesperrten Contador die Pro-Tour-Lizenz verliert.
       Geschieht das, muss er auf Wild Cards bei den großen Rennen hoffen. Das
       wird spannend, zumal der Giro dieses Jahr ausgerechnet in Dänemark beginnt.
       
       2 Mar 2012
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Tom Mustroph
       
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