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       # taz.de -- Kommentar Organspende-Regelung: Neuregelung, die Misstrauen schürt
       
       > Der Gesetzentwurf zur Organspende blendet zentrale, kritische Fragen zu
       > dem sensiblen Thema aus. Viele Menschen werden sich so der großen
       > Befragungsaktion verweigern.
       
   IMG Bild: Mein Herz gehört mir – auch nach dem Tod?
       
       Am Ende ist die Neuregelung der Organspende also doch noch eine ganz große
       fraktionsübergreifende Harmonieveranstaltung geworden: Es gibt jetzt
       tatsächlich einen gemeinschaftlichen Gesetzentwurf von CDU, CSU, FDP, SPD,
       Linken und Grünen, und dies zu einem der sensibelsten bioethischen Themen
       überhaupt – den Umgang mit dem eigenen Körper nach dem Tod.
       
       Künftig soll sich jede Bürgerin und jeder Bürger mindestens alle fünf Jahre
       aktiv mit der Frage auseinandersetzen, ob sie oder er bereit ist zur
       Organspende. Und wenn das ganze Parlament der Meinung ist, dass dies der
       richtige Umgang mit der Organspende sei: Kann das Volk dann überhaupt noch
       anders, als bitteschön zu Lebzeiten eine klare Entscheidung zu treffen?
       
       Es kann nicht nur anders. Es wird sich – jede Wette – auch anders
       verhalten, als viele Politiker in ihrer Euphorie über den Konsens jetzt
       glauben wollen. Und dies nicht nur, weil der Gesetzentwurf ausdrücklich
       anerkennt, dass das Recht auf Selbstbestimmung auch immer das Recht
       beinhaltet, sich nicht verhalten zu müssen.
       
       Der Grund, weswegen viele Menschen sich der großen Befragungsaktion
       verweigern dürften, ist ein anderer. Er lautet: So begrüßenswert es ist,
       mehr Menschen für die Organspende begeistern zu wollen, um das Leben
       schwerstkranker Patienten zu verlängern – man gewinnt diese Menschen nicht,
       indem man die zentralen kritischen Fragen im Zusammenhang mit der
       Organspende ausblendet. Genau das aber tut das geplante Gesetz: Ist das
       Hirntodkonzept noch haltbar? Ist es hinnehmbar, dass nichtstaatliche
       Vereine und privatrechtliche Stiftungen nach kaum kontrollier- und
       einklagbaren Regeln darüber entscheiden, wie die knappen Organe akquiriert
       und verteilt werden?
       
       Im Klartext: Wollen wir, dass weiterhin Experten-Cliquen darüber bestimmen
       dürfen, wer lebt und wer stirbt? Und warum informiert der
       Organspendeausweise immer noch nicht darüber, dass Organentnahme
       Intensivmedizin voraussetzt und damit im Widerspruch steht zu dem Wunsch
       vieler, ohne Apparatemedizin sterben zu dürfen?
       
       Es ist die bewusste Nicht-Beantwortung dieser Fragen, die Misstrauen schürt
       und damit dem Ansehen der Organspende schadet. Eine Studie im Auftrag der
       Deutschen Stiftung Organtransplantation hat kürzlich herausgefunden, dass
       die in unserer alternden Gesellschaft wachsende Nachfrage nach
       Spenderorganen selbst dann nicht annähernd befriedigt werden könnte, wenn
       sämtliche Organe aller Hirntoten in Deutschland entnommen werden dürften.
       Aber auch darüber redet in der großen parlamentarischen Harmonie niemand.
       Schade eigentlich.
       
       2 Mar 2012
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Heike Haarhoff
       
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