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       # taz.de -- Evaluationsbericht der Gesetzlichen Kassen: Arme sparen sich den Arzt
       
       > Die Praxisgebühr spült Geld in die Krankenkassen. Die Eigenverantwortung
       > und das Kostenbewusstsein der Versicherten werden jedoch nicht gestärkt.
       
   IMG Bild: Lieber seltener zum Arzt, das spart Geld.
       
       BERLIN taz | Die Praxisgebühr beschert der gesetzlichen Krankenversicherung
       beachtliche Zusatzeinnahmen von knapp 2 Milliarden Euro jährlich. Ihr
       eigentliches Ziel aber – die Eigenverantwortung und das Kostenbewusstsein
       von Versicherten zu stärken und damit medizinische Versorgung sinnvoll zu
       steuern – verfehlt sie: Die Zahl der Arztbesuche in Deutschland liegt mit
       8,2 Konsultationen pro Kopf und Jahr immer noch über dem internationalen
       Durchschnitt von 6,5 Besuchen (Quelle: OECD).
       
       Die einzige Gruppe, die Arztkontakte vermeidet oder verzögert, sind
       Einkommensschwache – und zwar selbst „bei vorliegenden Krankheiten“ und
       damit „subjektiv notwendigen Arztbesuchen“. Das geht aus dem noch
       unveröffentlichten Evaluationsbericht zu „Ausnahmeregelungen von der
       Zuzahlungspflicht“ des Spitzenverbands Bund der Gesetzlichen Krankenkassen
       (GKV) hervor, der der taz vorliegt.
       
       Wörtlich heißt es in dem mehr als 100-seitigen Prüfbericht: „In Deutschland
       gaben 11,7 % der Befragten an, aufgrund von Zuzahlungen trotz Krankheit
       nicht zum Arzt gegangen zu sein. […] Als problematisch erscheint der
       Befund, dass insbesondere Personen mit niedrigem Einkommen und Personen mit
       eingeschränkter Gesundheit angaben, einen Arztbesuch trotz Krankheit
       vermieden zu haben.“ Damit aber explodieren die Ausgaben nach Schätzung von
       Gesundheitsexperten umso mehr: Je später beispielsweise Krebs erkannt und
       behandelt wird, desto höher die Kosten.
       
       Der GKV-Evaluationsbericht im Auftrag des Gesundheitsministeriums wertet
       die amtlichen Statistiken von 2005 bis 2010 aus. Danach liegen die
       Zuzahlungen, auch für Arzneimittel und Krankenhaus, bei durchschnittlich 72
       Euro jährlich pro Versichertem. Die Kritik an der Praxisgebühr ist harsch:
       „Als Fazit lässt sich festhalten, dass die Praxisgebühr die tatsächliche
       Inanspruchnahme der Versicherten nicht nachhaltig gesenkt hat.“
       
       Dennoch besteht die Bundesregierung weiter auf den 10 Euro pro Quartal, wie
       sie jetzt der grünen Abgeordneten Biggi Bender auf deren Kleine Anfrage
       mitteilt. Bender: „Schwarz-Gelb verkennt, was wirklich zur Steuerung
       gebraucht wird: integrierte und bedarfsgerechte Versorgungsstrukturen,
       insbesondere für chronisch und schwer Erkrankte.“
       
       1 Mar 2012
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Heike Haarhoff
       
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