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       # taz.de -- Präsidentenwahl in Russland: Erlösung nicht in Sicht
       
       > Ein vereiteltes angebliches Attentat kurz vor dem Wahltag kommt Wladimir
       > Putin gerade recht. Nun kann er gegen Tschetschenen hetzen und so seine
       > Popularität steigern.
       
   IMG Bild: Kann sich jetzt als harter Hund präsentieren: Wladimir Putin.
       
       Es ist schon längst nicht mehr nur die Wut über die gefälschten
       Parlamentswahlen vom 4. Dezember 2011, die zehntausende Russen seit Wochen
       auf die Straße treibt. Sie haben die Nase voll von ihrem
       Noch-Regierungschef Wladimir Putin und würden sich seiner am liebsten
       sofort entledigen.
       
       Diese Arbeit hätten möglicherweise fast zwei Islamisten erledigt, die einen
       Anschlag auf das künftige Staatsoberhaupt direkt nach den
       Präsidentschaftswahlen am 4. März vorbereitet haben sollen und jetzt
       festgenommen wurden. So berichtete es am Montag zumindest der staatliche
       russische Fernsehsender Perwy Kanal, dessen plumpe Kremlpropaganda jedoch
       mit Vorsicht zu konsumieren ist.
       
       Die beiden Männer, über deren Nationalität unterschiedliche Angaben
       kursieren, hätten sich in der ukrainischen Stadt Odessa auf ihre Tat
       vorbereitet. Dort war bereits im Januar bei einer Explosion einer ihrer
       Komplizen getötet worden, als sich die Verdächtigen daran versuchten, einen
       Sprengsatz herzustellen – was prompt den russischen und ukrainischen
       Geheimdienst auf den Plan rief.
       
       "Sie haben uns gesagt, dass wir zunächst nach Odessa kommen und lernen
       sollen, wie man Bomben baut", sagte einer der Verdächtigen dem Sender. Ob
       die beiden inzwischen Fortschritte beim Erwerb sprengmeisterlicher
       Fähigkeiten gemacht haben, wurde nicht mitgeteilt.
       
       ## Die Spur führt in den Kaukasus
       
       Auftraggeber des Mordkomplotts soll der tschetschenische Rebellenführer
       Doku Umarow sein. Zugegeben: Zuzutrauen wäre ein solches Attentat diesem
       Mann allemal, der 2007 das kaukasische Emirat ausrief und die Verantwortung
       für zwei Terroranschläge 2010 und 2011 in Moskau mit über 75 Toten
       übernahm.
       
       Dennoch wirft die Aufdeckung und Vereitelung der heimtückischen Killerpläne
       durch das beherzte Eingreifen der Geheimdienste einige Fragen auf. So ist
       es wohl kein Zufall, dass die Spur – offiziellen Angaben zufolge – wieder
       einmal nach Tschetschenien führt. Die widerspenstigen Rebellen taugten
       Putin schon von jeher dazu, sich seinen Untertanen als Beschützer und
       Retter der Nation zu empfehlen. Schon im Jahr 2000 kündigte er, damals noch
       Regierungschef, an, die "Terroristen auf dem Abort kaltzumachen".
       
       Nicht zuletzt auch diese Drohung bescherte dem bis dato Unbekannten
       ungeahnte Popularität und katapultierte ihn ins Präsidentenamt. Zehn Jahre
       später nannte er es "eine Sache des Stolzes für die Sicherheitsorgane, die
       Terroristen aus der Kloake ans Tageslicht zu zerren". Wann immer Anschläge
       das Land in Angst und Schrecken versetzten, waren es nach Lesart des Kreml
       "Tschetschenen", wenngleich die Ermittlungsbehörden Beweise in mehr als
       einem Fall schuldig blieben.
       
       Doch nicht nur die Causa Tschetschenien ist verdächtig. Auch der Zeitpunkt
       der Bekanntgabe der Anschlagspläne – genau eine Woche vor den
       Präsidentschaftswahlen – mutet bizarr an. Schließlich wollen die
       Geheimdienste ja bereits im Januar von den dunklen Machenschaften der
       Terroristen gewusst haben.
       
       ## Zuspruch auf den letzten Metern
       
       Auch wenn derzeit niemand weiß, ob Putin wirklich ins Jenseits befördert
       werden sollte: Alles in allem erscheint die Vermutung einer Inszenierung
       von oben alles andere als abwegig. Denn welches Schreckensszenario wäre
       besser geeignet, um dem selbsternannten "nazionalnij lider" beim Wahlvolk
       auf den letzten Metern vor der bereits entschiedenen Abstimmung doch noch
       ein wenig mehr Zuspruch zu verschaffen.
       
       Doch da unterschätzt Putin wieder einmal seine aufmüpfigen Landsleute, für
       die Proteste gegen die Regierung vielfach immer noch Neuland sind. Bei
       ihnen hat er jegliches Vertrauen ein für alle Mal verspielt. Und sie
       werden, ob der unerfreulichen Aussicht auf schlimmstenfalls noch weitere
       zwölf Jahre Putin im Kreml, auch nach den sogenannten
       Präsidentschaftswahlen weiter demonstrieren gehen – Anschlagspläne hin oder
       her.
       
       27 Feb 2012
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Barbara Oertel
       
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