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       # taz.de -- Ethikrat will Kategorie für Intersexuelle: Kein Zwang bei Geschlechtszuordnung
       
       > Schluss mit der Zwangsbehandlung von intersexuellen Kindern, fordert der
       > Deutsche Ethikrat. Vielfalt muss auch bei der Zuordnung des Geschlechts
       > möglich sein.
       
   IMG Bild: Auch die meisten Eltern sind überfordert, wenn sie erfahren, dass das Geschlecht ihres Kindes nicht eindeutig ist.
       
       BERLIN taz | Es kommt selten vor, dass Wissenschaftler einräumen, von Laien
       viel gelernt zu haben, aber Michael Wunder, der Donnerstag die
       [1][Empfehlungen des Deutschen Ethikrats zum künftigen Umgang mit
       intersexuellen Menschen] vorstellte, nahm man es ab. Das drückt sich auch
       darin aus, dass der Ethikrat erstmals seit seinem Bestehen ohne Sondervoten
       auskam.
       
       Die Stellungnahme befasst sich unter anderem mit der Legitimität
       medizinischer Eingriffe an Menschen mit uneindeutigem Geschlecht und den
       notwendigen gesetzlichen Änderungen, um sie vor Diskriminierung zu
       schützen.
       
       Generell wird konstatiert, dass die medizinische Landschaft derzeit keine
       gleichmäßige Diagnostik und Behandlung zulässt. Der Rat plädiert deshalb
       für die Einrichtung von interdisziplinär arbeitenden Kompetenzzentren, die
       auch die Betroffenen und ihre Selbsthilfeeinrichtungen miteinbeziehen.
       
       Mit chirurgischen Eingriffen, so der Rat, sollte gewartet werden bis zum
       einwilligungsfähigen Alter, es sei denn, lebensbedrohliche Situationen
       sprechen dagegen. Er stuft jedoch ab nach Eingriffstiefe und folgt damit
       nicht den Forderungen von Selbsthilfegruppen: Lässt sich durch eine
       chirurgische Korrektur das Geschlecht angleichen, kann nach Maßgabe des
       Kindeswohls auch für den Eingriff entschieden werden.
       
       In jedem Fall sind die Eltern umfassend aufzuklären, und es ist dafür Sorge
       zu tragen, dass die medizinischen Dokumente bis weit ins Erwachsenenalter
       aufbewahrt werden.
       
       ## Ethikrat fordert Entschädigung
       
       Im Hinblick auf die heute Betroffenen schlägt der Ethikrat einen staatlich
       finanzierten Hilfsfonds vor. Die Tatsache, dass in der Vergangenheit 80
       Prozent aller intersexuellen Menschen operiert wurden und sich davon 40
       Prozent in psychiatrischer Behandlung befinden, lässt eine solche
       Entschädigung angemessen erscheinen.
       
       Im Hinblick auf das Personenstandsgesetz optiert der Rat für die
       Möglichkeit, den Eintrag möglichst lange aufzuschieben und sich einer
       dritten Kategorie, "anders", zuordnen zu können, aber nicht zu müssen, wie
       Wunder betont.
       
       Zudem soll intersexuellen Menschen das Recht auf eine eingetragene
       Lebenspartnerschaft eingeräumt werden; das Recht auf Eheschließung, das von
       den zahlreich bei der Vorstellung der Stellungnahme anwesenden Betroffenen
       eingefordert wurde, war im Rat offenbar nicht mehrheitsfähig.
       
       ## Ministerium will prüfen
       
       Staatssekretär Schütte vom auftraggebenden Bundesministerium für Forschung
       sowie Vertreterinnen anderer Ministerien würdigten den gelungenen Dialog
       des Rats mit Vertretern von Nichtregierungsorganisationen und betonten, die
       Stellungnahme "mit Herz" zu prüfen. Über den geplanten Hilfsfonds wollte
       Schütte sich nicht äußern.
       
       Unterschiedlich wurde der Vorschlag beurteilt, eine Datenbank aufzubauen,
       um Langzeitwirkungen von Geschlechtshormonen und operativen Eingriffen zu
       erforschen.
       
       Während eine Elternvertreterin dies explizit begrüßte, wird das von
       betroffenen Menschen abgelehnt. Ihnen geht es gerade darum, der
       medizinischen Deutungshoheit zu entkommen und sich in ihrer Andersartigkeit
       anerkannt zu fühlen.
       
       23 Feb 2012
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] http://www.ethikrat.org/dateien/pdf/stellungnahme-intersexualitaet.pdf
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Ulrike Baureithel
       
       ## TAGS
       
   DIR Intersexualität
       
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