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       # taz.de -- Kommentar Lettland: Idiom der Besatzer
       
       > Lettland hat Russisch als Amtsprache abgelehnt. An einer Integration der
       > Russen führt aber kein Weg vorbei. Eine Spaltung der Gesellschaft ist
       > gefährlich.
       
   IMG Bild: Auch im Jahr 2009 marschierten SS-Veteranen durch Riga, bewacht von der Polizei.
       
       Die Ablehnung durch drei Viertel der Abstimmungsberechtigten, Russisch in
       Lettland als zweite Amtssprache einzuführen, überrascht nicht. Die
       Sprachenfrage ist, wie in anderen Nachfolgestaaten der Sowjetunion mit
       einem großen russischen Bevölkerungsanteil auch, seit der Unabhängigkeit
       1991 ein Politikum.
       
       Für die überwiegende Mehrheit der Letten war und ist Russisch das Idiom der
       ehemaligen Besatzer. Diese Sprache zu stärken ruft historische
       Ressentiments wach und lässt viele um die Souveränität des Landes fürchten.
       Ohnehin hat die Minderheit den Ruf einer "fünften Kolonne Moskaus", deren
       Einfluss es zu begrenzen gilt.
       
       Demgegenüber fühlen sich viele Russen diskriminiert und wie Bürger zweiter
       Klasse behandelt. Aus ihrer Sicht zu Recht - besitzen doch 15 Prozent
       beziehungsweise 300.000 Angehörige der Minderheit wegen einer nicht
       bestandenen Sprachprüfung keine Staatsbürgerschaft. Sie sind von Wahlen
       sowie der Ausübung bestimmter Ämter im Staatsdienst ausgeschlossen und
       damit in ihrer Teilhabe am politischen Leben stark eingeschränkt. Dieser
       Umstand ändert jedoch nichts daran, dass viele Russen sich weigern,
       zumindest Grundkenntnisse im Lettischen zu erwerben.
       
       Dennoch: die Regierung wäre schlecht beraten, sich nach dem Volksentscheid
       als Siegerin zu fühlen. Denn an einer Integration der Russen führt kein Weg
       vorbei. Eine Chance dafür wurde nach den Parlamentswahlen im September
       vertan, als der Partei der russischen Minderheit eine Regierungsbeteiligung
       verwehrt wurde. Das Referendum sollten beide Seiten jetzt für einen Dialog
       nutzen, um alte Feindbilder zu überwinden. Andernfalls besteht die Gefahr,
       dass sich die Spaltung der Gesellschaft weiter vertieft. Für Lettland wäre
       das alles andere als zukunftsweisend.
       
       19 Feb 2012
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Barbara Oertel
       
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