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       # taz.de -- Schwierige Suche nach Wulff-Nachfolger: Rückschläge beim Präsidentencasting
       
       > Zwei Koalitons-Kandidaten sagen ab: Andreas Voßkuhle und Norbert Lammert
       > wollen nicht Präsident werden. Dafür werden aktuell Wolfgang Huber, Petra
       > Roth und Joachim Gauck gehandelt
       
   IMG Bild: Wer darf ins Schloss? Joachim Gauck ist noch im Rennen.
       
       BERLIN dpa/dapd/afp | Die Koalition unter Kanzlerin Angela Merkel sucht mit
       SPD und Grünen weiter angestrengt nach einem Nachfolger für den
       zurückgetretenen Bundespräsidenten Christian Wulff. Ihr erster Anlauf für
       einen gemeinsamen Kandidaten scheiterte am Samstag. Alle Beteiligten hatten
       sich nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur in Berlin darauf
       geeinigt, als Nachfolger für Wulff Bundesverfassungsgerichtspräsident
       Andreas Voßkuhle vorzuschlagen. Der 48-Jährige lehnte aber nach kurzer
       Bedenkzeit ab.
       
       Auch Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) wurde am Nachmittag nicht
       mehr als möglicher Kandidat genannt. Als ein möglicher Kandidat war auch
       der frühere Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland,
       Wolfgang Huber, genannt worden. Auch gegen ihn gab es aber Vorbehalte. Die
       Suche nach einem Konsenskandidaten für das höchste Staatsamt gestaltete
       sich am Abend schwierig.
       
       CSU-Chef Horst Seehofer, als momentaner Bundesratspräsident derzeit auch
       amtierender Bundespräsident, sagte in München dennoch: "Wir sind auf einem
       guten Weg." Am Sonntag treffe man sich wieder in Berlin, dann werde sich
       "einiges klären". Ob er bereits für Sonntag mit einer Einigung rechnet,
       ließ er offen.
       
       ## Opposition will keinen Politiker
       
       In einer gemeinsamen Pressekonferenz betonten die Vorsitzenden von SPD und
       Grünen, Sigmar Gabriel und Cem Özdemir, der neue Präsident sollte kein
       Mitglied des schwarz-gelben Kabinetts und möglichst auch kein aktiver
       Politiker sein. Özdemir schränkte ein, dass Kandidaten aber ein Parteibuch
       haben dürften.
       
       Grünen-Fraktionschefin Renate Künast sprach sich ausdrücklich dafür aus,
       auch Frauen zu berücksichtigen. "Wir reden auch über Frauen, logisch",
       sagte sie. In der Geschichte der Bundesrepublik gab es noch nie eine Frau
       im höchsten Staatsamt. Am Abend fiel in Verhandlungskreisen der Name von
       Frankfurts Oberbürgermeisterin Petra Roth (CDU). Die 67-Jährige will sich
       im März nach 17 Jahren von ihrem Amt vorzeitig zurückziehen.
       
       SPD-Chef Sigmar Gabriel nannte als Favorit seiner Partei erneut den
       einstigen Leiter der Stasi-Unterlagenbehörde, Joachim Gauck. Er war 2010
       gegen Wulff angetreten und unterlegen. Gauck ist nach Umfragen auch Favorit
       der Bürger. In einer Forsa-Umfrage für RTL-Aktuell sagten 46 Prozent, sie
       hielten Gauck für geeignet. Beim ARD-Deutschlandtrend hatten sich am
       Freitag 43 Prozent der Befragten für Gauck ausgesprochen. Dahinter lag
       Lammert mit 34 Prozent. 58 Prozent sprachen sich für eine überparteiliche
       Persönlichkeit aus, nur 31 Prozent wollten einen erfahrenen Politiker.
       
       Gabriel sagte, das wichtigste Ziel sei, die Kluft zwischen den Bürgern und
       der Politik wieder zu überwinden. Wulff habe diese Kluft durch sein
       Fehlverhalten enorm vergrößert. Er habe das höchste deutsche Staatsamt
       schwer beschädigt.
       
       ## Streit um Rolle der Linkspartei
       
       Gabriel und Grünen-Chef Cem Özdemir sagten, aus ihrer Sicht könne auch die
       Linke zu den Verhandlungen über einen Konsenskandidaten für das höchste
       Staatsamt eingeladen werden. Linksfraktionschef Gregor Gysi warf Merkel
       vor, mit dem Ausschluss der Linken Millionen von Menschen zu ignorieren.
       Fünf Millionen Menschen hätten bei der Bundestagswahl 2009 die Linke
       gewählt, sagte Gysi dem Fernsehsender Phoenix. Die CDU-Chefin zeige
       deutlich: "Eine Volkspartei aus den neuen Bundesländern interessiert uns
       nicht."
       
       Nach Ansicht von SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles sollte Merkel auch die
       Linke beteiligen. Es gehe nun um einen Neuanfang. "Die natürliche Autorität
       des Bundespräsidenten-Amtes liegt am Boden. Diese Vorbild-Funktion kann man
       nur gemeinsam wieder herstellen", sagte Nahles im Radiosender NDR Info.
       
       Die Linke bekommt bei ihrer Forderung nach Beteiligung an der
       parteiübergreifenden Suche nach einem Bundespräsidenten Unterstützung aus
       der CDU. Der ehemalige CDU-Generalsekretär Heiner Geißler sagte am Samstag
       im Deutschlandradio Kultur: "Es wäre gar nicht schlecht, wenn die auch mit
       dabei wären. Sonst haben wir hinterher ja immer die Debatte, dass man
       jemanden ausgeschlossen hat."
       
       Der künftige Bundespräsident muss nach Überzeugung von Geißler eine
       stärkere Distanz zu Vertretern der Wirtschaft haben. "Es muss auch jemand
       sein, der ein Herz hat für die kleinen Leute, für die Ärmeren", fügte
       Geißler hinzu. Es gebe rund zehn Millionen Menschen, die zum sogenannten
       Prekariat gehörten. "Von denen redet niemand, aber die brauchen auch
       jemanden, von dem sie wissen, dass sie dem vertrauen können."
       
       ## Ermittlungsverfahren gegen Wulff eingeleitet
       
       Die Staatsanwaltschaft Hannover hat derweil am Samstag das
       Ermittlungsverfahren gegen Wulff offiziell eingeleitet. "Mit dem Ende der
       Immunität beginnt automatisch das Ermittlungsverfahren", sagte der Sprecher
       der Staatsanwaltschaft, Hans-Jürgen Lendeckel. "Über weitere Schritte im
       Verfahren sagen wir zunächst nichts."
       
       Die Bundestagsverwaltung hatte bereits am Freitag erläutert, dass sich eine
       Abstimmung des Parlaments über Wulffs Immunität durch dessen Rücktritt
       erledigt hat. Ein Staatsoberhaupt habe nur Schutz vor Strafverfolgung,
       solange er im Amt sei, hieß es.
       
       Die Justiz will gegen Wulff wegen des Anfangsverdachts der Vorteilsannahme
       ermitteln. Im Fokus des Verfahrens steht das dienstlich-private Verhältnis
       zwischen Wulff und dem Filmfondsmanager David Groenewold. Auch gegen ihn
       soll ermittelt werden.
       
       Bisher hatte die Staatsanwaltschaft nicht die Möglichkeit, dazu selber
       Zeugen zu befragen, Dokumente sicherzustellen oder Akten einzusehen. Die
       Justiz in Hannover stützt ihren Anfangsverdacht, Wulff habe eventuell
       Vorteile von Groenewold angenommen, bisher allein auf die Darstellung der
       Vorgänge in den Medien.
       
       Groenewold hatte mit Wulff und seiner Frau Bettina unter anderem Urlaub auf
       Sylt gemacht und zunächst die Hotelkosten bezahlt; Wulff will den Betrag
       später in bar beglichen haben. Die niedersächsische Landesregierung hatte
       einer Firma Groenewolds knapp ein Jahr zuvor eine Bürgschaft von vier
       Millionen Euro gewährt, die aber nicht in Anspruch genommen wurde.
       
       ## Wahl bis zum 18. März
       
       Wulff hatte am Freitag mit sofortiger Wirkung sein Amt aufgegeben. Der
       52-Jährige zog damit die Konsequenzen aus der Affäre um mögliche
       Vergünstigungen von befreundeten Unternehmern, die sich schon seit Mitte
       Dezember hinzog.
       
       Bis zur Wahl des neuen Staatsoberhaupts, die spätestens am 18. März
       erfolgen muss, nimmt Bayerns Ministerpräsident Seehofer als amtierender
       Präsident des Bundesrats die Aufgaben des Staatsoberhaupts wahr. In der
       Bundesversammlung, die den neuen Präsidenten wählt, hat Schwarz-Gelb nur
       eine knappe absolute Mehrheit von derzeit maximal vier Stimmen
       beziehungsweise in einem eventuellen dritten Wahlgang eine knappe relative
       Mehrheit von maximal acht Stimmen.
       
       18 Feb 2012
       
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   DIR Die Politik in Berlin nach Wulff: Wetterleuchten für Schwarz-Rot
       
       Es wäre nicht das erste Mal, dass die Wahl eines neuen Bundespräsidenten
       die Koalition in Berlin beeinflusst. Derzeit spricht demnach alles für eine
       Große Koalition.
       
   DIR Suche nach Wulff-Nachfolge fortgesetzt: Das unattraktive Amt
       
       Die Suche nach einem Bundespräsidenten soll am Sonntag im Kanzleramt
       weitergehen. Die SPD möchte keinen Kandidaten vorgesetzt bekommen. Und auch
       Wulffs Ehrensold wird debattiert.
       
   DIR Jauch talkt über Wulff-Rücktritt: "Ich kann nicht mehr"
       
       Die ARD sendet eine Extra-Ausgabe "Günther Jauch" am Freitag. Die Runde ist
       sich einig: Der Rücktritt des Präsidenten war richtig. Der Moderator will
       Feierabend.
       
   DIR Wulff und die Medien: Einmal Star und wieder zurück
       
       Christian Wulff stolperte auch über seinen Umgang mit Journalisten. Er war
       überzeugt, er habe bei der "Bild" echte Freunde gefunden.
       
   DIR Wulff nach dem Rücktritt: Mein lieber Herr Gesangsverein!
       
       Nach seinem Rücktritt gönnt sich Christian Wulff ein Rücktrittsbier – am
       Stammtisch der Ex-Bundespräsidenten im Bürgerbräukeller. Die taz
       dokumentiert das Gespräch.
       
   DIR Merkel und Wulff: Sein Abgang ist ihre Niederlage
       
       Angela Merkel ist erleichtert. Jetzt muss sie den Schaden begrenzen. Jetzt
       will sie einen Konsens-Präsidenten, um ein Signal für die große Koalition
       zu setzen.
       
   DIR Christian Wulff und David Groenewold: Ein Freundschaftsdienst zu viel
       
       Urlaub und Handy für den einen, Bürgschaft und Werbung für den anderen. Das
       Verhältnis zwischen Wulff und dem Filmmanager Groenewold bestand aus Nehmen
       und Geben.
       
   DIR Kommentar Wulff und Merkel: Merkel bleibt Kanzlerpräsidentin
       
       Wulff hatte darauf spekuliert, mit der Rede zur Gedenkfeier der Naziopfer
       von seinen Problemen ablenken zu können. Nun übernimmt das die
       Bundeskanzlerin.