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       # taz.de -- Medienkünstler Aram Bartholl: Mit der Pappaxt durch Köln
       
       > Aram Bartholl lässt Codes, Icons und Mechaniken aus Internet und
       > Computerspielen mit der Realwelt verschmelzen. Eine Ausstellung und ein
       > Buch zeigen sein Werk.
       
   IMG Bild: Monumental: "Map" in Taiwan.
       
       Ist schon ein bisschen doof, dass Megaupload vom Netz genommen wurde. Wo
       kriegt man jetzt seine Filme her? Bei Torrents kann man sich ja auch kaum
       noch sicher sein, nicht, dass auf einmal das FBI vor der Tür steht. Aber es
       gibt noch die [1][Dead Drops]. Ein anonymes, offlinebasiertes P2P-Netzwerk
       – in Mauerwerkritzen eingemörtelte USB-Sticks, tote Briefkästen, beim
       achtlosen Vorübergehen praktisch unsichtbar. Einfach Laptop dranhalten,
       Daten saugen, eigene Sachen draufspielen, fertig.
       
       775 Dead Drops sind in diversen Städten der Welt verteilt, einer der
       jüngsten befindet sich an der Außenwand der Galerie [DAM] Berlin, wo ihr
       Erfinder, der Medienkünstler Aram Bartholl, aktuell eine Auswahl seiner
       Arbeiten ausstellt. [2]["Reply all"] heißt die unaufgeregte Schau in dem
       recht kleinen und sehr weißen Raum. Er ist ein Überbleibsel des
       Transmediale-Partnerprogramms, auf der Bartholl natürlich auch schon
       ausstellte, 2007.
       
       Das Einsickernlassen und Rückübertragen von Codes, Icons und Mechaniken aus
       Internet und Computerspielen in unsere Kohlenstoffwelt ist eine der
       Lieblingstechniken des seit 1995 in Berlin lebenden Bartholl. In seiner
       Heimatstadt Bremen installierte der 39-Jährige einst [3][vier riesige
       Leuchtpfeile], sodass sich Aufofahrer wie in der Rennsimulation "Need for
       Speed" fühlen konnten. Durch Köln lief er mit einer [4][riesigen Pappaxt]
       aus "World of Warcraft". Auf Berlins Straßen stellte er große
       [5][Holzkisten] aus dem Egoshooter "Counterstrike".
       
       Und dann ist da noch [6]["Map"]: die 6 mal 3,50 Meter große Nachbildung
       eines der roten blasenartigen Stecknadel-Symbole mit großem A, die auf
       Google Maps Suchergebnisse visualisieren. Solche Pins platzierte Bartholl
       in Taiwan, Stettin und anderswo in die Landschaft. Es ist sein schönstes
       Kunstwerk, das aber leider nicht Teil der Berliner Ausstellung ist. Es
       würde auch gar nicht durch die Tür passen.
       
       ## Nachbau eines Counterstrike-Levels
       
       Dafür gibt es in der Ausstellung [7][Aluminium-Nachbildungen von Captchas],
       diesen seltsam verzerrt geschriebenen Wörtern, die man im Internet eingeben
       muss, um zu beweisen, dass man ein Mensch ist. Es gibt
       Architekturzeichnungen und -modelle, die Bartholls Planungsstand für den
       [8][Nachbau eines ganzen Counterstrike-Levels] auf einem Hektar Fläche
       dokumentieren.
       
       Oder auch drei Teile der [9][Google Portrait Series], große handgemalte
       QR-Codes (diese schwarz-weißen Muster, die man mit dem Handy
       abfotografieren kann), die einen ins Netz und auf die erste Seite der
       Google-Suche nach dem Namen von Medienkünstlerinnen wie Vera Molnár und
       Petra Cortright führen.
       
       Zusätzlich zeigen mehrere Screens Videodokumentationen, die bei Aram
       Bartholl ein wesentlicher Teil des Kunstprozesses sind. In den kurzen,
       schnell geschnittenen Filmen gibt sich Aram Bartholl als eloquentes
       Smart-Ass, das die Regeln der Betriebs durchschaut hat. Wie in [10]["How to
       turn code into art"], wo er mehrere FAZ-Seiten mit dem gedruckten
       Bundestrojaner-Code in seinem Stammcafé aufhängt und den Zuschauern
       erklärt: "I recommend using a black frame, because a black frame means: You
       know what you're doing and you are serious about it." Das Werk hängt - weiß
       gerahmt - ebenfalls in der Ausstellung.
       
       In einem anderen Tutorial zeigt Bartholl die Gusstechnik des Vakuumformens
       - wobei er sich nicht zufällig die Guy-Fawkes-Maske des Anonymous-Bewegung
       als Modell ausgesucht hat. Auch dem Chaos Computer Club und der
       DIY/Hacker-Bewegung steht Bartholl offensichtlich nahe. In seinen Videos
       propagiert er die Demokratisierung des Künstlerbegriffs: Oft enden sie mit
       einer "Now it's your turn"-Aufforderung.
       
       Die Dead Drops hat er auch längst nicht selbst alle verbaut,
       verselbständigt hat sich gleichermaßen das von Bartholl erfundene
       Ausstellungsformat der [11][Speed Show], dessen Weltpremiere im Juni 2010
       am Kottbusser Damm stattfand: Man miete ein komplettes Internetcafé und
       nutze die auf den Rechnern installierten Standard-Browser, um Kunst zu
       zeigen.
       
       ## Performances, Readymades, Installationen
       
       Performances, Readymades, Installationen, Interventionen im öffentlichen
       Raum: Bartholls Aktionskunst lebt gleichermaßen von klugen Ideen und ihrer
       liebevollen Umsetzung. Leider gibt die Ausstellung diese Fülle nur bedingt
       wieder: So wie "Reply all" im Computer die Mailantwort an alle Empfänger
       ist, ist auch hier irgendwie von allem was dabei. Das ist zwar ein guter
       Querschnitt durch Bartholls Werk, ein wirklich roter Faden ist aber nicht
       erkennbar – und was da ist, kann im kühlen Ambiente des Ausstellungsraums
       seine Wirkung nicht so recht entfalten.
       
       Einen kompletteren, besser aufbereiteten Einblick in Bartholls Schaffen
       bekommt man in [12]["The Speed Book"], das die Arbeiten umfangreich
       dokumentiert und durch weitere Texte – unter anderem ein Essay des
       Science-Fiction-Autors Bruce Sterling – ergänzt. Die dokumentierenden
       Videos finden sich derweil auch auf Bartholls Website [13][datenform.de].
       
       Wem das Buch aber zu teuer und das Internet zu online ist, oder wer sich
       umgekehrt für ein paar tausend Euro endlich einen echten Bartholl in die
       Wohnung hängen will, kommt an einem Besuch in der Galerie [DAM] nicht
       vorbei. Man kann dann auch gleich schauen, was es Neues auf dem Dead Drop
       Nummer 773 gibt.
       
       "Reply All", Galerie [DAM] Berlin, Neue Jakobstraße 6/7, bis 10. März. "The
       Speed Book", Gestalten Verlag, 39,90 Euro
       
       20 Feb 2012
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] http://deaddrops.com/
   DIR [2] http://www.dam-berlin.de/modules.php?name=mlExhibitions&pa=showpage&pid=73
   DIR [3] http://datenform.de/speed.html
   DIR [4] http://datenform.de/1h.html
   DIR [5] http://datenform.de/dust.html
   DIR [6] http://datenform.de/map.html
   DIR [7] http://datenform.de/areyouhuman.html
   DIR [8] http://datenform.de/dust-rhizome.html
   DIR [9] http://datenform.de/googleportrait.html
   DIR [10] http://fffff.at/how-to-turn-code-into-art/
   DIR [11] http://speedshow.net/
   DIR [12] http://datenform.de/blog/the-speed-book/
   DIR [13] http://datenform.de/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Michael Brake
       
       ## TAGS
       
   DIR Ausstellung
   DIR Kassel
       
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