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       # taz.de -- Entbindung: 45 Minuten bis zum Kreißsaal
       
       > Im Kreis Diepholz hat die letzte Entbindungsstation geschlossen. Wegen
       > hoher Kosten für die Haftpflichtversicherung geben immer mehr Ärzte und
       > Hebammen die Geburtshilfe auf.
       
   IMG Bild: Knapp eine Stunde Autofahrt vor der Entbindung: Danica Wiegmann im Haus ihrer Eltern in Schwaförden (Kreis Diepholz).
       
       HAMBURG taz | "Meine größte Angst", sagt Monika Speith*, "war mit Wehen im
       Auto zu sitzen und nicht mehr weiter zu kommen." 37 Kilometer musste die
       dreifache Mutter von ihrem Wohnort bei Bassum nach Bremen zurücklegen. Dort
       hat sie vor zwei Wochen im Geburtshaus ein Mädchen zur Welt gebracht. Auch
       für eine Klinikgeburt hätte sie nach Bremen fahren müssen, denn im Dezember
       schloss die Entbindungsstation der Klinik Bassum. Die letzte im Landkreis
       Diepholz.
       
       "Eigentlich wollte ich dort gebären", sagt die 37-Jährige. Längst hatte sie
       Kontakt zu einer der freiberuflichen Hebammen aufgenommen, die in der
       Bassumer Klinik die Geburten betreuten. Im sechsten Monat erfuhr sie von
       der Schließung und suchte sich eine Hebamme in Bremen. "Wenn ich zur
       Vorsorge fuhr, habe ich immer auf die Uhr geschaut", erzählt Speith. "Unter
       45 Minuten habe ich es nie geschafft." Deshalb hat sie sich vor zwei Wochen
       auch viel früher auf den Weg gemacht hat als es nach ihrer Erfahrung
       notwendig gewesen wäre. Die Angst, das Kind unterwegs zu bekommen, sei zu
       groß gewesen.
       
       Bassum ist keine Ausnahme. In ländlichen Regionen müssen zunehmend mehr
       Kliniken ihre Entbindungsstationen dicht machen, weil ihnen wie in Bassum
       die Gynäkologen fehlen. Diese arbeiteten dort seit 1988 nicht als
       Klinik-Angestellte, sondern als frei berufliche Belegärzte - neben der
       eigenen gynäkologischen Praxis. Das ging gut, bis die Haftpflichtprämien
       weiter stiegen - in diesem Jahr sind es zwischen 24.000 und 45.000 Euro pro
       Versichertem. Um das zahlen zu können, hätten die Ärzte am Ende zu viel
       arbeiten müssen, sagt Brigitte Bösch, kaufmännische Direktorin des St.
       Ansgar Klinikverbunds, dem Träger der Klinik. "Das Pensum war nicht mehr zu
       schaffen."
       
       Auch Hebammen leiden unter den hohen Versicherungsprämien. In Bassum gleich
       doppelt: Dem frei arbeitenden Hebammenteam brach mit der Schließung der
       Entbindungsstation die Einnahmequelle weg, so dass die meisten die
       Geburtshilfe aufgeben mussten. Doch auch vorher war es schwierig. 4.500
       Euro muss eine Hebamme, die Geburten begleitet, im Jahr für die Haftpflicht
       zahlen. Bei einem Durchschnittsverdienst von 1.180 Euro netto im Monat.
       
       "Als Hebamme kann ich davon nicht leben", sagt Heidi Giersberg, eine der
       Beleghebammen in der Entbindungsstation Bassum. Sie ist eine von vielen.
       "Im Jahr 2010 haben 800 frei tätige Hebammen in Deutschland aufgehört",
       sagt Susanne Steppat vom Deutschen Hebammenverband. Jetzt seien es
       deutschlandweit noch rund 3.000.
       
       Und während das in den Städten dazu führt, dass Schwangere keine Wahl mehr
       zwischen Klinik und Hausgeburt haben, gibt es auf dem Land gar keine
       Geburtshilfe mehr und die Wege werden weit. "Die Frauen haben Angst", sagt
       Jutta Meyer, ehemalige Beleghebamme in Bassum. Die Frauen hätten Angst den
       Zeitpunkt der Geburt falsch einzuschätzen und würden "verfrüht ins
       Krankenhaus fahren".
       
       Dieser Gedanke bedeute Stress für die Frau und das ungeborene Baby, sagt
       Meyer. Im Notfall brauche das Kind sofort Sauerstoff. Wenn die Atmung nach
       drei Minuten noch nicht engesetzt hätte, würde es zu "irreparablen Schäden
       im Gehirn" kommen. Für die werdende Mutter kann es zu "Blutungen vor und
       nach der Geburt kommen", sagt Hebamme Heidi Giersberg. "Man braucht eine
       Umgebung, wo man weiß: hier bin ich geschützt."
       
       "Ich war so angespannt, dass mir die Tränen kamen, als ich das Geburtshaus
       in Bremen erreichte", sagt Monika Speith. Ihr Mädchen wurde in der Nacht
       geboren - alles lief gut. Aber die Hebamme Jutta Meyer prognostizert einen
       weiteren Anstieg der Kaiserschnittrate. Aus Angst, das Kind könne zu früh
       oder auf dem Weg ins Krankenhaus geboren werden, würden Frauen einen
       "Termin für die Geburt" festlegen.
       
       *Name geändert
       
       14 Feb 2012
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Maren Meyer
       
       ## TAGS
       
   DIR Geburtshilfe
       
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