URI: 
       # taz.de -- Berlinale 2012: Srdjan Dragojevics "Parada": "Die Aggression ist brutaler geworden"
       
       > Kann man über Homophobie und Nationalismus in Serbien eine Komödie
       > machen? In "Parada" versucht Regisseur Srdjan Dragojevic Unterhaltung als
       > Therapie.
       
   IMG Bild: Scheinen sich nicht unbedingt wohl zu fühlen: Filmszene aus "Parada".
       
       taz: Ihr Film "Parada" ist ein komödiantisches Roadmovie über die
       lebensbedrohliche Situation der Homosexuellen in Serbien. Ein serbischer
       Kriegsveteran und ein schwuler Tierarzt fahren in einem rosa Mini Cooper
       durch das ehemalige Jugoslawien und versuchen kroatische, bosnische und
       kosovarische Exkombattanten als Sicherheitskräfte für die Belgrader Gay
       Pride 2010 zu mobilisieren. Warum haben Sie eine derart abwegige Handlung
       gewählt? 
       
       Srdjan Dragojevic: Manche Leute glauben, dass ich die Kriminellen in meinem
       Film idealisiert dargestellt habe. Aber das ist falsch. Diese Gangster
       denken und reden wirklich so, die haben Witz. "Parada" ist kein
       Märchenfilm. Ich glaube tatsächlich daran, dass so etwas passieren kann.
       
       Dass ein homophober, machistischer, brutaler Paramilitär sein Herz für
       Schwule entdeckt? 
       
       Ja, warum nicht? Ich wollte einen Film machen, der die Herzen erweicht.
       Limun, die Hauptfigur in "Parada", gibt es tatsächlich. Er ist heute ein
       angesehener Belgrader Gentleman und Geschäftsmann. Er hat uns, nachdem er
       den Film gesehen hat, erlaubt, seinen Namen zu benutzen.
       
       Warum haben Sie das Thema Homophobie und Nationalismus verbunden und als
       Komödie inszeniert? 
       
       "Parada" ist kein Film für liberal denkende Menschen, sondern für
       Homophobe. Diese Leute erreicht man nicht mit einem hermetischen Kunstfilm,
       sondern mit Unterhaltung. Ich bin ein ausgebildeter Psychotherapeut und
       betrachte meine Filme als therapeutisches Mittel. "Parada" soll dem
       durchschnittlichen Bewohner des ehemaligen Jugoslawiens die einfache
       Wahrheit vermitteln, dass alle Menschen gleich sind, egal mit wem sie ins
       Bett gehen, an welchen Gott sie glauben oder welcher Nationalität sie
       angehören.
       
       Der schwule Tierarzt Radmilo trinkt Wein mit gespreiztem kleinen Finger,
       sein Freund Mirko arbeitet als Ausrichter kitschiger Hochzeitsfeiern. Warum
       benutzen Sie ausschließlich Stereotype? 
       
       Warum haben Shakespeare oder Moliere Klischees benutzt? Weil Klischees das
       Herz treffen. Man muss sie benutzen, um sie ein kleines bisschen zu
       verschieben.
       
       "Parada" wird mit dem Satz angekündigt, dass sich seit dem Sturz von
       Milosevic an der Situation der Homosexuellen in Serbien nichts geändert
       hat. 
       
       Es ist viel schlimmer, ihre Situation hat sich sogar noch verschlechtert.
       Zu jugoslawischen Zeiten war ich Punk. Wir hingen in einem Belgrader Park
       ab. Ein paar Bänke weiter trafen sich auch die Homosexuellen. Dort wurden
       wir und sie immer wieder mal von Typen aus der nahe gelegenen Militärschule
       angegriffen und grün und blau geschlagen. Heute jedoch bekommt eine Lesbe
       auf offener Straße ein Messer in den Rücken. Die Aggression der
       Jugendlichen ist viel brutaler geworden.
       
       Woran liegt das? 
       
       An der absoluten Perspektivlosigkeit. Es gibt keine Jobs und keine Aussicht
       auf ein besseres Leben. Neureiche und Tycoons, die für diese Misere
       verantwortlich sind, kontrollieren die Medien und lenken die Aggression von
       sich auf Homosexuelle und andere Minderheiten.
       
       Anders als die Belgrader Gay Pride 2001 wurde Ihr Filmteam aber weder
       zusammengeschlagen, noch wurde ihm aus Sicherheitsgründen abgesagt wie der
       Pride 2009 – oder von 6.000 Polizisten geschützt wie die Pride 2010. 
       
       Wir waren durchaus mit Drohungen und Vorurteilen konfrontiert. Uns wurde
       Provokation und Unterstützung durch die Gay-Lobby unterstellt. Wahr ist,
       dass wir uns mangels ausreichender Finanzierung 100.000 Euro von Gangstern
       leihen mussten.
       
       Gangster haben "Parada" finanziert? 
       
       Ja. Kleingangster, die zehn Prozent Zinsen nehmen. Aber es zahlt sich aus.
       Wir haben über 500.000 Zuschauer in Zeiten, in denen das Kino ausstirbt.
       
       Der Film ist im ehemaligen Jugoslawien tatsächlich ein Kassenschlager. Die
       bürgerliche Presse überschlägt sich mit Lob, während linke Medien ihn als
       verharmlosend und oberflächlich kritisieren. 
       
       Die größten Feinde meiner Filme sind immer die Radikalen, Rechte wie Linke.
       Radikale sind anale Charaktere. Sie haben keinen Sinn für Humor. Ich habe
       versucht, einen politischen völlig inkorrekten Film zu machen, um den
       absurden Hass gegen Homosexuelle und andere Nationalitäten in der gesamten
       Region aufzubrechen.
       
       Aber mögen die Zuschauer den Film vielleicht gerade deswegen, weil Sie
       Verbrecher und Krieger durchweg als sympathische Kerle zeigen? 
       
       Sie meinen, weil der gewöhnliche Kroate sich mit dem homophoben,
       kriminellen Macho identifizieren kann? Ja, natürlich. Diesen Trick habe ich
       benutzt, weil ich an die positive Manipulation glaube.
       
       Sie haben mal gesagt, dass ein Kuss die bessere Waffe sein kann als eine
       Ohrfeige. Warum dürfen sich Radmilo und Mirko in "Parada" nicht küssen? 
       
       Ich wollte nicht provozieren. Ich wollte einen sanften Herzschmerzfilm
       machen. Mit einer schwulen Kussszene hätte ich den normalen Homophoben vom
       Balkan niemals ins Kino gekriegt.
       
       Ich habe nichts gegen Schwule, aber die sollen nicht in aller
       Öffentlichkeit Händchen halten. Das ist doch die Haltung, gegen die sich
       die homosexuelle "Out of the closet"-Bewegung immer gerichtet hat. 
       
       Das stimmt. Aber erst mal müssen die Leute einsehen, dass Homosexuelle
       Menschen sind. Wie erfolgreich die Strategie meines Filmes ist, werden wir
       erst im Oktober sehen, wenn die Belgrader Gay Pride stattfindet, und ob wir
       immer noch 6.000 Polizisten brauchen, die sie schützen.
       
       12 Feb 2012
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Doris Akrap
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR "Glück" von Doris Dörrie: Liebesdienst mit Küchenmesser
       
       Kinderschaukeln und knackige Männerkörper: In Doris Dörries "Glück" sind
       die Emotionen billig zu haben. Für das Publikum soll es nicht zu
       kompliziert werden.
       
   DIR Karmakars "Angriff auf die Demokratie": Die Märkte und die Politik
       
       In "Angriff auf die Demokratie - eine Intervention" werden neun
       intellektuelle Statements zur Krise des Euro und des Politischen zum Film
       montiert. Zum Augen schließen.
       
   DIR "Glaube, Liebe, Tod" im Panorama: Emotionaler Amoklauf
       
       Peter Kern reckt in "Glaube, Liebe, Tod" auf der mecklenburg-vorpommerschen
       Seenplatte den Mittelfinger. Gegen die Familie und das risikoscheue
       Förderkino.
       
   DIR "Barbara" im Berlinale-Wettbewerb: Ein kompliziertes Happy End
       
       Christian Petzold erzählt eine melodramatische, glaubwürdige und berührende
       Geschichte aus der Provinz der DDR: "Barbara" im Wettbewerb.
       
   DIR Drama um Geschwisterliebe: Menschliche Krähen
       
       In "Delta" vermag es eine dörfliche Gemeinschaft nicht hinzunehmen, dass
       zwei Menschen sich geltenden Normen entziehen wollen. Eine meditative
       Reise.
       
   DIR "Captive" im Berlinale-Wettbewerb: Der Einsatz zahlreicher Sprengmittel
       
       Perfekt für den Festivalparcours: "Captive" von Brillante Mendoza ist eine
       internationale Koproduktion mit Isabelle Huppert und nach wahren
       Begebenheiten (Wettbewerb).
       
   DIR Berlinale Special: Die Dokumentation "Marley": Er glaubte sich näher bei Jah
       
       Der britische Regisseur Kevin Macdonald zeichnet die Karriere der Legende
       "Marley" nach. Er tut das methodisch genau und mit dem Segen von Marleys
       Familie.
       
   DIR Berlinale Special: Herzogs "Death Row": Das Gefühl von Regen auf der Haut
       
       Auch Täter sind Menschen: In seiner Dokumentation "Death Row" interviewt
       Werner Herzog fünf Todeskandidaten und erklärt sich höflich als Gegner der
       Todesstrafe.
       
   DIR Deutsche Filme auf der Berlinale: Rollbrettfahren auf Super 8
       
       Skateboarder in der DDR, Poetry Slam auf deutschen Bühnen: "This ain't
       California" und "Dichter und Kämpfer" behandeln US-Kulturimporte ins
       Deutsche.
       
   DIR Berlinale Special: Angelina Jolies Regiedebut: Bosnien wirkt wie ausgewaschen
       
       Zunächst erstaunlich stilsicher, dann ein Werbefilm für militärische
       Interventionen: der Jugoslawienkriegsfilm "In the Land of Blood and Honey"
       von Angelina Jolie.