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       # taz.de -- Energieverschwendung in der Ukraine: Wo Wärmebildkameras rot sehen
       
       > Trotz des strengen Winters müsste in der Ukraine niemand frieren. Wenn
       > denn die Gebäude und Wärmeleitungen richtig isoliert wären.
       
   IMG Bild: Scheißkalt: Odessa am Schwarzen Meer.
       
       LWIW taz | Maxim ist ein junger kräftiger Mann um die dreißig. Schwarzes
       buschiges Haar, Dreitagebart. Seine Firma ist auf Wärmedämmung
       spezialisiert. Und der junge Unternehmer hat ein Hobby. Nach der Arbeit
       fährt er durch die Plattenbauten am Stadtrand von Lemberg und fotografiert
       sie mit seiner Wärmebildkamera.
       
       Auf den Fotos dominiert eine Farbe: Rot. In verschiedenen Variationen und
       Schattierungen. Rot, Orange, Gelbrot, Purpurrot. Alles ein Zeugnis extremer
       Wärmeverluste. Bei -20 Grad Kälte auf der Straße. In einem Winter, wie ihn
       die Ukrainer schon länger nicht mehr erlebt haben. Sie werden seit drei
       Wochen von einer extremen Kältewelle heimgesucht. Bei bis zu -25 Grad zeigt
       sich die Kälte im westlichen Lemberg noch von ihrer milderen Seite. Im
       Osten betragen die Temperaturen bis zu -35 Grad. Ein Ende der Frostperiode
       ist nicht in Sicht.
       
       Die Wetterkapriolen haben in der Ukraine bereits mehr als 130 Menschenleben
       gefordert. Über 2.000 Menschen mussten mit Erfrierungen in Krankenhäuser
       gebracht werden. Der öffentliche Verkehr kam in mehreren Regionen zeitweise
       zum Erliegen, zahlreiche Busverbindungen zwischen Städten wurden
       eingestellt. In mehreren Orten mussten Einwohner stunden- oder gar tagelang
       ohne fließendes Wasser und Strom aushalten.
       
       In mehreren Regionen wurden die Schulen geschlossen. Die offizielle Regel
       heißt: Wenn die Temperaturen unter -20 Grad Minus fallen, wird der Betrieb
       eingestellt. Dabei ist für die Kinder nicht der Weg zur Schule, sondern der
       Aufenthalt dort gefährlich. Denn die meisten Gebäude sind miserabel
       gedämmt. In Klassenzimmern in ländlichen Gegenden sind Temperaturen knapp
       über dem Gefrierpunkt keine Seltenheit.
       
       ## Wärmeleitungen unter freiem Himmel
       
       "In den Klassenräumen geht es bei uns noch, aber in den Korridoren ist es
       klirrend kalt", sagt die junge Lehrerin Natalia, aus Lemberg. Sie friert
       und hüllt sich in ihren Wintermantel ein. So schicken viele Eltern ihre
       Kinder gar nicht erst in die Schule und lassen sie lieber zu Hause die
       mittlerweile zum Pflichtprogramm gewordenen Aufsätze über die globale
       Erderwärmung schreiben.
       
       Doch schlechte Gebäudedämmung ist nur ein Teil des Problems, wenn auch ein
       gewichtiger. "Eigentlich gibt es in der Ukraine kein Problem mit der Kälte.
       Es gibt ein Problem mit Energieverlusten," sagt Swjatoslaw Pawljuk,
       stellvertretender Geschäftsführer der Stiftung Pauci aus Kiew. Auch er ist
       oft mit der Wärmebildkamera unterwegs und sieht wie Maxim überall Rot.
       
       "Eine gute Wärmedämmung von Schulen oder Kindergärten könnte den
       Energieverbrauch für Heizungen um bis zu 75 Prozent reduzieren," so
       Pawljuk. In privaten Wohnungen, insbesondere in Plattenbausiedlungen, sei
       es nicht viel besser.
       
       Tatsächlich wird mit dem wohlklingenden Wort "Energieverbrauch" die banale
       Energieverschwendung bezeichnet. Denn bereits bevor die Wärme in die Häuser
       kommt, geht etwa die Hälfte davon verloren. An Wärmeleitungen, die schlecht
       isoliert unter freiem Himmel verlaufen, werden an den Außenwänden der
       "Dämmung" nicht selten Temperaturen von bis zu 90 Grad gemessen - bei
       Minusgraden auf der Straße. "Von 100 Kubikmeter Erdgas werden für die
       Heizung letztendlich nur 21 verwendet," sagt Pawljuk. Die restlichen 79
       verpuffen einfach in der Atmosphäre und tragen allenfalls dazu bei, dass
       die Gletscher schneller schmelzen.
       
       Doch der Staat scheint kein Interesse an der Energieeinsparung zu haben,
       wie auch nicht die Gasimporteure und die Besitzer privatisierter
       Wärmekraftwerke. Die maroden Wärmeleitungen bleiben dagegen Eigentum der
       Gemeinden.
       
       12 Feb 2012
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Juri Durkot
       
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