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       # taz.de -- Reisen in Birma: The Road to Mandalay
       
       > Es ist ein Erlebnis der besonderen Art: eine Flusskreuzfahrt quer durch
       > Birma auf einem vor fast 50 Jahren in Köln gebauten Rheindampfer.
       
   IMG Bild: Ein Meer aus Farben: der Irrawaddy-Fluss.
       
       NAYPYIDAW taz | Es gibt solche Leute. Die auf ausgemusterte Züge und
       verrottete Traumhotels stehen. Aber einen ehemaligen Rheindampfer (1964 in
       Köln gebaut) zu kaufen, über den Indischen Ozean zu transportieren und in
       Rangun zu einem luxuriösen Flusskreuzfahrtschiff aufrüsten zu lassen, da
       muss man doch schon ein bisschen verrückt sein - vor allem in den politisch
       beunruhigenden Zeiten, in denen die unbeugsame Friedensnobelpreisträgerin
       Aung San Suu Kyi noch zu Hausarrest verurteilt war und die birmanische
       Militärjunta weltweit geächtet wurde.
       
       Natürlich hört sich die Geschichte nach "Orient Express" an. Firmengründer
       James B. Sherwood scheint mit seinem Geschäftsmodell "Road to Mandalay"
       aber den richtigen Riecher gehabt zu haben mit der Idee, River-Cruises auf
       dem zweitausend Kilometer langen Irrawaddy an eine betuchte internationale
       Klientel zu verkaufen.
       
       Die fliegt seit Jahren bereits fleißig ein, aber erst jetzt, mit dem Ende
       der politischen Isolation, hat der touristische Wettlauf um die besten
       Plätze der sehr speziellen Kulturdestination richtig begonnen.
       
       "Das Wunder von Rangun" titelte der Spiegel, nachdem Hillary Clinton vor
       wenigen Wochen zum Staatsbesuch erst den birmanischen Präsidenten Thein
       Sein und gleich danach die prominente Oppositionelle Aung San Suu Kyi
       konsultierte. Andere Medien schwärmten gar von einem "Birma-Jahr 2012" und
       einer "Zeitenwende".
       
       ## Glänzende Eindrücke
       
       Für die Passagiere der dreiundvierzig vollklimatisierten Mandalay-Kabinen
       beginnt das Programm mit der weltberühmten Shewedagon-Pagode auf dem
       Tempelberg der Fünf-Millionen-Stadt Rangun. Mehr als tausend Besucher
       finden sich im Gewirr goldglänzender Heiligtümer zum Sunset ein, einige
       Dutzend Touristen aus allen Winkeln des Erdballs sind darunter.
       
       In der aufziehenden Abenddämmerung beeindruckt die lichterglitzernde
       ehemalige Hauptstadt als urbane Überraschung: Vom Rest der Welt
       abgeschottet, hatte es immer geheißen, aber tatsächlich laufen vielspurige
       Verkehrsadern in alle Richtungen, Mopeds und Motorroller sind seit
       anderthalb Jahren wegen zunehmender Mobildichte in der City verboten,
       altkoloniale Prachtarchitektur, Reklametafeln internationaler Konzerne,
       romantische Seengebiete mit Restaurant- und Café-Terrassen, auf denen
       Liebespaare zurückgezogene Zweisamkeit genießen, bestimmen das Bild dieser
       wahrhaftigen Metropole.
       
       ## Moderne Selbstdarstellung
       
       Ranguns Airports präsentieren sich blitzsauber und hochmodern. Nur eine
       Stunde dauert der Flug bis zur Königsstadt Bagan, wo das eigentliche
       Flussabenteuer nach dem Einchecken an Bord sogleich mit einem ersten
       Landausflug beginnt.
       
       Auf historisch bewegten Tempelfeldern ragen Hunderte Stupas und Pagoden mit
       burgähnlichen Zinnen, Türmen und schimmernden Kuppeln aus dichtem Grün.
       
       Jeder Blick in eine andere Richtung zeigt eine Filmszene für sich, weshalb
       die Heißluft-Company "Balloons over Bagan" mit ihren acht Fluggeräten an
       den heiligen Stätten meist ausgebucht ist: Frühaufsteher erleben in ihrer
       schwebenden Montgolfiere mystische Zauberbilder von umwerfender Schönheit.
       
       ## Auf dem Fluss in koloniale Geschichten eintauchen
       
       Wer in die Tiefen kolonialer Abstrusitäten eintauchen mag, liegt am Pool
       des Oberdecks und liest. Vorzugsweise George Orwells Roman "Tage in Burma",
       vielleicht Rudyard Kiplings Mandalay-Poesie oder Amitav Goshs "Glaspalast".
       
       Zwei Tage flussaufwärts kommt die alte Königsstadt Mandalay mit
       goldglänzenden Kuppeln in Sicht. Im Klosterbezirk der Sagaing Hills leben
       und meditieren hier über 10.000 buddhistische Nonnen und Mönche. Vom
       Haupttempel, der Soon-U-Shu-Pagode, zeigt der silbrig glitzernde Irrawaddy
       ein unwirkliches Panorama.
       
       Noch vor Jahresfrist hätte sich Kapitän Myo Lwin, 58, der seit 1996 das
       über hundert Meter lange Schiff aus Köln durch die gefährlichen Untiefen
       steuert, zu politischen Fragen auf gar keinen Fall geäußert.
       
       Die Menschen, so sagt er jetzt, glaubten an die neue Regierung. Spätestens,
       fügt er sanft lächelnd hinzu, seit Thein Sein das umstrittene
       milliardenteure Staudammprojekt nahe der chinesischen Grenze stoppte und
       sich nach dem Willen des Volkes mutig gegen die Interessen des einstigen
       politischen und wirtschaftlichen Verbündeten stellte, den mächtigen
       Nachbarn China.
       
       ## "Bloß kein Massentourismus"
       
       "Allerdings", erklärt der praktizierende Buddhist und triggert eine
       philosophische Diskussion über den Sinn westlicher Mehrwert-Gesellschaften,
       was den Tourismus angehe, werde man künftige Entwicklungen mit einem
       strengen Blick aufs benachbarte Thailand bedenken. Massentourismus mit den
       allseits bekannten Folgen könne hier keinesfalls sein, weshalb sein tief
       religiöses Land einen eigenen Weg suchen müsse.
       
       Noch fehlt die Infrastruktur, um überhaupt einen Tourismus größeren Stils
       als Wirtschaftsfaktor zu etablieren - an den endlos langen Sandstränden des
       Indischen Ozeans ebenso wie in der märchenhaften Bergwelt nahe der
       chinesischen Grenze, wohin die "Road to Mandalay" mehrmals im Jahr dampft.
       
       Auf die Frage, ob sein optimistischer Londoner Arbeitgeber, der für 2012
       bereits eine Verdoppelung der Passagierzahlen hochrechnet, schon einen
       weiteren Dampfer bestellt habe, antwortet Kapitän Myo Lwin weise: Es gebe
       ja nur eine Queen. Und auf dem Irrawaddy sei das zweifelsfrei seine.
       
       Jedenfalls, da sei er sich sicher, würden die Deutschen, so oder so, ihrem
       birmanischen Traumschiff aus Köln treu bleiben: Die deutschsprachigen
       Passagiere, von denen im vergangenen Jahr über 10.000 ins Land der Tempel
       und Pagoden einreisten, stellen an Bord des birmanischen Rheinschiffs nach
       den USA und Großbritannien das drittgrößte Segment.
       
       11 Feb 2012
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Roland F. Karl
       
       ## TAGS
       
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   DIR Reiseland China
   DIR Aung San Suu Kyi
       
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