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       # taz.de -- Berlinale Panorama: "Xingu": Im Herzen Brasiliens
       
       > In "Xingu" erzählt Regisseur Cao Hamburger die Geschichte von Brasiliens
       > berühmtestem Indianergebiet und von den Versuchen weißer Pioniere, die
       > Ureinwohner zu schützen.
       
   IMG Bild: "Xingu" ist ein Film über Brüder aus São Paulo, auf deren Initiative die Gründung von Brasiliens berühmtestem Indígenagebiet zurückgeht.
       
       Drei wagemutige Abenteurer machten den Anfang. Mitte des vergangenen
       Jahrhunderts erschlossen die Brüder Orlando, Cláudio und Leonardo
       Villas-Bôas den Dschungel am Fluss Xingu im südlichen Amazonasgebiet.
       
       Ab Samstag zeigt nun Regisseur Cao Hamburger seinen Film "Xingu" über die
       Brüder aus São Paulo, auf deren Initiative die Gründung von Brasiliens
       berühmtestem Indígenagebiet zurückgeht, auf der Berlinale. Der aktuelle
       Bezug ist gewollt und hochbrisant, doch leider läuft das Amazonasepos nur
       im "Panorama".
       
       Der Parque Indígena Xingu in den Bundesstaaten Mato Grosso und Pará ist
       seit 1961 Brasiliens erstes staatlich ausgewiesenes Indianerland. 7.000
       Angehörige von 16 Urvölkern leben auf einer Fläche, die fast so groß wie
       Belgien ist.
       
       ## Druck der Sojabarone
       
       Der Nationalpark gilt als Vorzeigeprojekt der brasilianischen Politik
       gegenüber seinen gut 800.000 Ureinwohnern, knapp 0,5 Prozent der
       Gesamtbevölkerung. Noch macht die Waldzerstörung am Nationalpark halt. Doch
       immer größer wird der Druck der Sojabarone, denen bereits die riesigen
       Ländereien jenseits seiner Grenzen gehören.
       
       "Ich bin gespannt, ob der Film die Deutschen genauso bewegt wie jene, die
       ihn bereits in Brasilien gesehen haben", sagt Cao Hamburger. Bisher ist
       "Xingu" gerade einmal öffentlich gezeigt worden, vor drei Monaten auf dem
       Amazonas Film Festival in Manaus. Es war der krönende Anschluss des
       Xingu-Jubiläumsjahres 2011.
       
       Die aufwändige Produktion, für die Hamburgers Kollege Fernando Meirelles
       ("City of God", "Die Stadt der Blinden") verantwortlich zeichnet, erzählt
       die Vorgeschichte des Nationalparks, der eine Wende in der staatlichen
       Indígenapolitik markierte. 1943, als fast die gesamte Bevölkerung
       Brasiliens an der Küste lebte, entsandte Präsident Getúlio Vargas eine
       Expedition in den Mittleren Westen, der sich die drei Brüder bald
       anschlossen. Ziel war die Erschließung der Urwaldregion für den
       brasilianischen Staat, um sie vor realen oder vermuteten Begehrlichkeiten
       anderer Mächte zu sichern.
       
       Bald übernahmen die Villas-Bôas-Brüder die Federführung bei der Einrichtung
       von Landepisten und Urwaldposten. Dabei widersetzten sie sich der
       klassischen Logik der Kolonisatoren: Bei ihren Begegnungen mit den
       Ureinwohnern gingen sie sehr behutsam vor und wurden bald zu deren
       wichtigsten Verbündeten gegen Militärs und Großgrundbesitzer.
       
       Ein Sohn von Orlando Villas-Bôas schlug Meirelles vor, die auch in
       Brasilien wenig bekannte Geschichte der Brüder zu verfilmen. Der fragte
       seinen Freund und Kollegen Hamburger. "Zuerst war ich skeptisch, denn ich
       wusste kaum etwas", bekennt der Filmemacher, "ich wollte nichts
       Nationalistisches oder Offiziöses machen. Aber bei der Recherche habe ich
       Feuer gefangen".
       
       Hamburger begeisterte sich für die "faszinierenden" Persönlichkeiten der
       Abenteurer und für das "indigene Universum": "Diese Erfahrung hat mich
       verändert. Die Ureinwohner sind sehr entwickelt, ihre Kultur sehr komplex."
       Seinen nächsten Film will er über isoliert lebende Indigene drehen, die dem
       Kontakt mit Weißen aus dem Weg gehen.
       
       ## 
       
       ## Medizin und Gift
       
       Protagonisten in "Xingu" sind die weißen Pioniere einer aufgeklärten
       Indígena-Politik und ihre Versuche, die verheerenden Folgen des kulturellen
       Zusammenstoßes für die Ureinwohner einzudämmen. "Wir sind die Medizin und
       das Gift", sagt einer der Brüder, nachdem ein halbes Dorf von einer
       Grippeepidemie dahingerafft wird.
       
       "Der Film meidet den absoluten Blick, er wirft Fragen auf", meint João
       Miguel, der Cláudio Villas-Bôas spielt. Mit den Archivbildern im Abspann
       wird eine Brücke zur Gegenwart geschlagen: Unter anderem ist der
       Militärdiktator Emílio Garrastazu Médici zu sehen, wie er 1970 in Altamira
       den Grundstein für die Transamazônica legt, ein Symbol des äußerst prekären
       "Fortschritts" nördlich des Xingu-Parks. Vier Jahrzehnte später ist die auf
       5.000 Kilometer angelegte Bundesstraße in Ost-West-Richtung nur zu einem
       Drittel geteert, in der Regenzeit ist sie kaum passierbar.
       
       Gerade ist die Dschungelgemeinde Altamira Schauplatz eines ebenso
       pharaonischen Milliardenprojekts: Letztes Jahr haben die Bauarbeiten für
       den Riesenstaudamm Belo Monte begonnen. Der Rio Xingu, ein Nebenfluss des
       Amazonas, soll für das drittgrößte Wasserkraftwerk der Welt aufgestaut
       werden, dem erbitterten Widerstand der Ureinwohner zum Trotz.
       
       "Die Geschichte wiederholt sich", sagt Fernando Meirelles, "unser Film
       könnte nicht aktueller sein. Die große Frage lautet: Welche Art von
       Fortschritt wollen wir?" Für Hamburger ist der Megastaudamm, der ebenfalls
       in den 1970ern geplant und 2010 schließlich von Präsident Luiz Inácio Lula
       da Silva durchgesetzt wurde, "rückwärtsgewandt, ja reaktionär".
       
       Auch Hamburger findet: "Wir brauchen ein neues Fortschrittsparadigma, das
       über die Industrielle Revolution und das Konsumdenken des 20. Jahrhunderts
       hinausgeht." Von der Beziehung der Indigenen zur Natur könnten die Weißen
       eine Menge lernen, sagt er: "Ohne jede Arroganz begreifen sie sich einfach
       als ein Lebewesen mehr".
       
       ## Stattliches Budget
       
       13 Millionen Euro hat der Film gekostet, für brasilianische Produktionen
       ein stattliches Budget. Als wichtigster Sponsor steuerte der
       Kosmetikkonzern Natura fast ein Drittel bei.
       
       "Erst deswegen konnten wir überhaupt in Amazonien drehen", betont
       Meirelles. In Brasilien kommt "Xingu" im April in die Kinos, zwei Monate
       vor dem Umweltgipfel Rio+20.
       
       9 Feb 2012
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Gerhard Dilger
       
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